Gesammelte Werke. Oskar Panizza

Gesammelte Werke - Oskar Panizza


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mußt dich präziser ausdrücken. Was hast du gesehen?« – »Sir, es war zum Grausen; es war ein Verbrechen wider die Natur; ich stund wie angewurzelt; ich konnte mir nicht helfen!« – »Hast du denn deine Pfeife nicht gezogen?« – »Sir, da war nichts zu pfeifen!« – »Du konntest doch immerhin pfeifen!« – »Sir, es war kein Fall zum Pfeifen!« – »Aber bei der Merkwürdigkeit des Vorfalls, wie du sagst, war es doch immer geraten, durch die Pfeife deinen Kameraden an der nächsten Ecke wenigstens zu avertieren!« – »Sir, der Vorfall war so wenig nach der Richtung geeignet, daß er die Möglichkeit der Anwendung der Pfeife direkt ausschloß!« – »Johny, paß auf: Die Geneigtheit des Vorfalls steht doch in keinem Verhältnis zu der Möglichkeit der Inbewegungsetzung der Pfeife!« – »Sehr wohl, Sir, die Möglichkeit des Pfeifens war nicht ausgeschlossen; aber ich hielt einerseits den Gegenstand nicht für wertvoll genug, um mir durch die Pfeife materiellen Beistand zu sichern; andererseits ging er doch wieder zu weit über die Bedeutung des Pfeifens hinaus; mit anderen Worten, er war extraordinary, aber nicht gefahrdrohend; – abgesehen davon wäre mir der Ton beim Versuch in der Kehle steckengeblieben.« – Hier wandte mir der Richter wieder sein Gesicht mit jenem eigentümlichen Zuge zu, wobei er die beiden Reihen Zähne entblößte, leise bemerkend: »Es ist ein Prachtkerl! Der Bursch paßt zum Theologen, zum Sophisten, zum Swedenborgianer, zu allem. Ich halte seine Karriere noch nicht für abgeschlossen. – Haben Sie ähnliches in Deutschland?« – Ich verneinte kopfschüttelnd. Sir Edward fuhr dann laut zum Polizisten gewandt weiter: »Also, Johny, gepfiffen hast du nicht, soviel scheint festzustehen. Jetzt mach deine Sache kurz und sag uns, was du gesehen hast.« – »Sir, ich muß darauf zurückkommen, was ich schon gesagt, es…« – »Was du bis jetzt gesagt,« – unterbrach der Richter – »ist gar nichts; da wird keine Katz klug. Du mußt uns den Fall in seiner Materie auseinandersetzen; du mußt uns vor allem die Spitzbuben nennen!« – »Sir, um Spitzbuben in dem gewöhnlichen Sinne des Worts handelte es sich hier nicht.« – »In welchem Sinne denn?« – fügte mein Chef gleich mit Nachdruck hinzu. »Im Sinne des Großartig-Unmenschlichen!« – Wieder Kopfbewegung von Sir Edward zu mir herüber, und die Flüster-Bemerkung: »Das ist Swedenborg!« – Laut: »Warum gingst du denn nicht auf die Sache los?« – »Ich fürchtete, sie zu stören, Sir. Ich wollte die vollendete Scheußlichkeit erst konstatieren!« – »Welche Scheußlichkeit?« – »Das weiß ich nicht!« – »Worin bestand sie?« – »Es waren Tollheiten.« – »Was für Tollheiten?« – »Es waren Berührungen, Sir,« – rief der Polizist und holte tief Atem – »wie sie vor Gott und der Welt nicht erlaubt sind, es waren Liebkosungen, Entblößungen, Entleerungen, es war ein Gekicher, ein Schleifen, ein Von-sich-Geben, ein Umranken, eine Art Küssen… ein Küssen, Sir…« – »Ja, in drei Teufels Namen, hast du denn niemand gesehen? Zogst du nicht deine Blendlaterne heraus?« – »Sir, es war niemand da. Die Rosen und Magnolen waren unter sich. Auch waren die Geräusche und Berührungen nicht menschliche.« – »Nicht menschliche?« – frug mein Chef – »ja, was war es dann?« – »Sir,« – schrie und schluchzte der junge fanatische Polizist – »die Rosen und Magnolen im Tavistock Park trieben Selbst-Befleckung, es war veritable Pflanzen-Onanie!« –

      In diesem Moment sprang Mister Edward Thomacksin, Vorstand der police station of Marylebone Street, wie von einer Tarantel gestochen in die Höhe. Einen Augenblick starrte der alte, ausgemergelte Mann, der, wie mir schien, in seinen Erwägungen hinsichtlich der Angaben des jungen Jonathan sich in einer ganz andern Richtung bewegt hatte, mit glasigen Augen den kühnen Polizisten an. Dann, als er sah, daß hier keine Illusion mehr möglich, streckte der verzweifelte Swedenborgianer krampfhaft die Hände empor, und mit einer veränderten heulenden Stimme, wie ich sie niemals von ihm gehört, schrie er zur Decke hinauf: »Lord, holy Lord, wende ab Dein Aug von der Schöpfung! Das scheußlichste Verbrechen haben jetzt die Rosen, die keuschesten Blumen, glücklich den Menschen abgeguckt. Lord, sie warten nicht mehr auf Deine Erlaubnis für den infernalen Akt. Du hast ihnen die Fähigkeit verliehen, sich zu vermehren. Aber das genügt ihnen nicht. Sie wollen um jeden Preis sündigen. Lord, schicke eine neue Sündflut und verderbe Deine Schöpfung, oder die Welt geht aus ihren Fugen!« – Dann stürzte Thomacksin, dessen Gesicht wie Mörtel geworden war, schluchzend zusammen und mußte fortgetragen werden. – Ich kam bald nach diesem Vorfall von London weg und hatte die Affäre wohl schon vergessen. Erst mehrere Jahre später bekam ich durch Zufall Gelegenheit, mit einem Freund mich über Londoner Neuigkeiten zu unterhalten. Sir Edward, so hörte ich, bekam eine höchst einflußreiche und wohldotierte Ober-Richterstelle und befand sich wohl. Er war sehr dick geworden. Nur der arme Jonathan kam ins Irrenhaus.

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