Gesammelte Werke. Oskar Panizza

Gesammelte Werke - Oskar Panizza


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sondern die sein Kopf wollte – also nicht unter einer äußeren, erziehlichen Notwendigkeit, sondern aus einem innern Antrieb, mit dem er sich ebenso identifizieren mußte wie mit seinen Gedanken; er mußte seine Gedanken contre cœur anerkennen, ich sag’ Ihnen: eine Komplikation…« – »Kenn’ ich,« – fuhr das auf einmal lebhaft gewordene Männchen dazwischen – »kenn’ ich, weiß ich, wir sind vollständig orientiert über die Bedürfnisse des Jahrhunderts, wir wissen, wo es unserer Rasse gebricht, wir haben das Neueste!…« – Diese letztere kaufmännische Wendung machte mich wieder nüchtern und daneben mißmutig und mißtrauisch. – Wir traten in einen der großen Parterre-Säle, aus dem uns ein heißer Schwaden entgegenschlug. Alles war reichlich beleuchtet. In den Ecken mehrere mit Ton verschmierte, kapselförmige Öfen mit Gucklöchern. Bevor wir bis zur Mitte des Saales gelangt waren, kam aus dem Nebenzimmer ein Arbeiter im verstaubten Gewand mit einer Laterne in der Hand heraus, und ohne über meine Anwesenheit im mindesten erstaunt zu sein, sagte er: »Herr Direktor, soeben haben wir den Chinesen herausgebracht.« – »So,« – antwortete mein Begleiter mit fast väterlicher Milde – »sind die Augenschlitze gut ausgefallen?« – »Etwas glasig!« – meinte der Arbeiter. – »Glasig?« – wiederholte das alte Männchen erstaunt, aber nicht unfreundlich – »das tut mir leid. Lassen Sie ihn jetzt sich erst ausschnaufen; mit den Augen wollen wir sehen, was zu machen ist.« Der Arbeiter entfernte sich mit einer zustimmenden Kopfbewegung. – »Sie scheinen die ganze Nacht hindurch zu arbeiten?« – sagte ich mit dein Ton des Grausens über das eben Gehörte. – »Die Prozedur erlaubt keine Unterbrechung!« entgegnete das Männchen. – »Und Sie scheinen sich nicht auf das Nachmachen der Leute Ihrer eigenen Nation oder der Völker des Abendlandes zu beschränken! Sie greifen bis in den Orient hinein!« – »Die sind jetzt sehr beliebt!« – »Beliebt, sagen Sie, was soll das heißen? Beliebt! Sie können nicht damit meinen, daß Ihr verbrecherisches Fabrikat bei den Menschen der alten Zunft gut aufgenommen werde!« – Und nach einer Pause brach ich mit neuer Vehemenz los: »Um Gottes willen, sagen Sie mir, was das alles heißen soll. – Fürchten Sie sich nicht vor dem allmächtigen Schöpfer des Weltalls? – Wollen Sie dem lieben Gott Konkurrenz machen? – Wird sich dieses freche Fabrikat nicht wie eine Parodie ausnehmen? – Mit welchen Gesichtern müssen sich Abkömmlinge zweier derartig verschiedener Rassen auf der Straße begegnen?! – Muß der Kontrast nicht größer und vor allem entsetzlicher sein als zwischen einem Weißen und einem Polynesier, beide Gottesgeschöpfe!? – Mit welchem Mißtrauen muß ein Mensch der alten Erde an ein solch neues, künstlich geschaffenes Wesen herantreten, es beriechen, betasten, um seine geheimen Kräfte herauszubekommen! – Und wenn die neue Rasse nach einem bestimmten, reif überdachten Plan gemacht ist, besitzt sie vielleicht größere Fähigkeiten als wir, wird im Kampf ums Dasein den alten Erdenbewohnern überlegen sein! – Ein fürchterlicher Zusammenstoß muß erfolgen! – Denkt die neue Rasse nicht, wie Sie vorhin erwähnten, schafft sie nur nach ihrer spezifischen, ihr eingeimpften Anlage, die maschinenmäßig zum Ausdruck kommt, wie kann sie verantwortlich für ihre Fehler gemacht werden?! – Die Moral, als Grundlage unseres Denkens und Handelns, hört auf! – Neue Gesetze müssen geschaffen werden! – Eine gegenseitige Aufreibung der beiden Klassen wird unvermeidlich sein! – Was haben Sie getan!? Was haben Sie unternommen?! – Was ist Ihr Ziel? – Ein Umsturz der gegenwärtigen Gesellschafts-Ordnung!« – Mein Begleiter blickte mich nach diesem neuen Fragen-Schwall sanft und beruhigend an und meinte nach einiger Zeit: »Die neue Rasse – sind Sie dessen versichert – wird sich nicht in der Welt breitmachen und nicht in einen Wettkampf mit ihren Brüdern und Schwestern nobler Abkunft treten. Sie wird ruhig bei Ihnen im Salon sitzen, anspruchslos und bescheiden. Und Sie, die alten Menschen, werden sich in heiterer Anschauung dieser glänzenden, schöpfungsfrischen Wesen begeistert und gehoben fühlen. Deswegen kann ich Ihnen nur raten, sich eine nicht zu kleine Anzahl dieser feinen Geschöpfe zu erwerben.« – »Erwerben!« – entgegnete ich – »wie soll das geschehen?« – »Wir verkaufen sie. – Zu was wäre die Fabrik da?! – Und wovon sollte sie bestehen, da unsere fabrizierte Rasse nichts arbeitet, nichts verdient und an und für sich höchst teuer herzustellen kommt!« – Ich wurde sichtlich beruhigt durch diese letzte Erklärung und schämte mich fast meiner explosiven Fragen von soeben. – Wir schritten auf einen der größeren Öfen in der Ecke zu. – »Natürlich,« – sagte mein Begleiter – »der Prozeß ist Geheimnis! – Wir nehmen Erde dazu, wie der Schöpfer des ersten Menschenpaares im Paradies, wir mischen sie, wir manipulieren mit ihr, wir lassen sie verschiedene Wärme-und Hitzegrade durchmachen – und das alles kann ich Ihnen zeigen –, aber den eigentlichen Kernpunkt, das Beleben und besonders das Erwachen unserer Menschen ist Fabrik-Geheimnis.« – »Ich will Ihre infernale Kunst nicht kennen,« entgegnete ich, »und ich wollte, Sie kennten sie auch nicht,« fügte ich hinzu; »jährlich vielleicht Tausende von Kreaturen in die Welt zu setzen, die nichts weiter sind wie Faulenzer…« – »Bitte, beobachten Sie einmal diese Formen!« – unterbrach mich der kleine Direktor, ohne auf meine letzte Bemerkung einzugehen. Ich sah durch das Guckloch. In einem anscheinend feuchtwarmen, von der Außenluft abgeschlossenen Baderaum lag ein wunderschönes Mädchen, anscheinend schlafend, halb bekleidet, an einem künstlichen Rasengrund angelehnt, aber alles ganz weiß, wie aus feuchtem Ton erst hergestellt und augenscheinlich unvollendet; Formen, Positur, Draperie, die Füßchen, Schuhe, die durchbrochenen Strümpfe, der Spitzen-Besatz, alles in reizender Harmonie und mit künstlerischer Vollendung. – »Wenn Sie jetzt noch etwas auszusetzen haben,« sprach der Direktor vom anderen Guckloch her, welches er eingenommen hatte, »so ist’s jetzt noch Zeit; jetzt ist alles noch weich, eindrucksfähig, dehnbar; sind die Augen einmal fertig, erscheint die Röte des Herzschlages auf ihren Wangen, erwacht sie, dann ist es zu spät; dann ist sie, was sie ist, ein Mädchen, heiter, launisch, kokett, eigensinnig, dick, dünn, schwarz, brünett, mit allen Fabrikfehlern.«

      Was mir auffiel, war, daß die Kleider anscheinend fest mit dem Körper verbunden waren. Ich teilte dem Direktor mein Bedenken mit, mit dem Bemerken, daß es für das arme Kind schwer sei, bei der Unwandelbarkeit seiner Formen immer die richtigen Kleider zu finden. – »Kleider bedarf es keine«, antwortete er. – »Wie, Sie müssen ihr doch die Wäsche wechseln lassen!« – »Wir kreieren Wäsche und Kleider im Schöpfungsakt mit, und zwar ein für allemal.« – »Das ist doch das Wahnsinnigste, was ich je gehört habe! – Sie erschaffen also angezogene Menschen?« – »Gewiß!« – »Und die so erschaffenen Menschen bleiben angezogen ihr ganzes Leben?« – »Natürlich! Es ist doch einfacher! Die Kleider bilden einen Teil der Gesamt-Konstitution!« – »Denken Sie nur an die Ausdünstung, um von allen andern Fragen abzusehen!« – »Die haben wir auf ein Minimum vermindert! – Übrigens kann ich auf diesen Punkt nicht näher eingehen, da er an den innersten Kern, sozusagen an das geheime Lebensprinzip unserer Menschen rührt.« – Wir gingen langsamen Schrittes vom Ofen weg; ich nachdenklich und fast verwirrt wie immer. – »Wenn ich’s recht überlege,« – bemerkte ich endlich – »die Prinzipien bei Ihrer Menschen-Erzeugung sind nicht so übel. Sie statten jeden Ihrer Menschen beim Schöpfungsakt mit einer bestimmten Anzahl körperlicher und geistiger Güter aus, und die lassen Sie ihnen auch unveränderlich.« – »Natürlich!« – fiel mir das alte Männchen fast feurig in die Rede und wie erfreut, daß ich endlich seinen leitenden Gedanken erfaßt. – »Natürlich! Bei den heutigen schwankenden Zeitverhältnissen, bei der Unzuverlässigkeit der meisten Menschen, der Zweifelsucht, der Schwierigkeit der Wahl des Berufs, dem Zaudern und Zögern auf allen Gebieten mußte sich schließlich das Bedürfnis einstellen, Menschen zu haben, von denen man weiß, was sie sind, was sie für Anlagen haben, welchem Temperament sie zuneigen und daß Anlagen und Temperament sich unverbrüchlich gleich bleiben. Wir statten unsere Menschen bei der Geburt mit einer nach den besten Mustern hergestellten Kollektion geistiger und leiblicher Vorzüge aus, und die verbleibt ihnen unter allen Umständen. Ich versichere Sie – unter uns gesagt –, unsere künstlich erzeugten Menschen sind mir lieber als die alte, berühmte Menschenrasse!« – »Aber die Willensfreiheit!« – entgegnete ich. – »Die ist bei den andern auch nur ein Hirngespinst!« disputierte das Männchen weiter! – »Aber die süße Täuschung, sie zu besitzen!« – »Ihren Verlust spürt meine Rasse auch nicht!« – »Die Philosophen,« – bemerkte ich kopfschüttelnd – »wenn Sie das Denken abschaffen! Die Philosophen werden mit Ihrer Fabrik-Arbeit sich nicht befreunden können.« – »Sagten Sie nicht selbst, Verehrtester, vor einer Viertelstunde,


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