Gesammelte Werke. Oskar Panizza

Gesammelte Werke - Oskar Panizza


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in denen es stark nach Kampfer, Kräutern und Essenzen roch und wo umherliegende Instrumente der merkwürdigsten Art andeuteten, daß hier fortwährend fleißig gearbeitet werde. Namentlich überraschte mich ein sorgfältig verschlossener Glaskasten, in dem fertig gebildete Körperteile, wie Herzen, Ohren, Fingerglieder, mörtelartig, wie aus Urstoff geformt, zu sehen waren; daneben aber auch merkwürdigerweise Attribute, Symbole, wie Pfeile, Kronen, Waffenstücke, Blitze und dergleichen. – Nun aber kam ein ganz anderes Bild: In der fünften oder sechsten Abteilung nach dem Ofen-Saal begrüßte uns eine fröhliches herzige Kinderschar; es mögen acht oder zehn gewesen sein; alle mit vor Übermut strahlenden Augen und frischen, roten Backen. Ich glaubte schon, es seien die Kinder des Direktors; bemerkte aber doch, daß die Mienen etwas steif waren; auch fiel mir auf, daß, während einige frei standen oder auf zierlichen Stühlchen saßen, andere auf einem Postament ruhten und Mörtelspritzer drumherum zu sehen waren. »Hier stell’ ich Ihnen nun meine Kinder vor!« wandte sich mein Begleiter wieder an mich. –»Was?« – rief ich bestürzt – »sind es Ihre eigenen Kinder?« – »Nun ja!« antwortete er etwas trocken. – »Ihre eigenen Kinder, meine ich – von Ihnen erzeugt?« – ergänzte ich lebhaft. – »Nicht nach der alten Methode, – es ist mein Fabrikat; aber das ist ganz gleich; diese sind sogar schöner!« – »Um Gottes willen,« – entgegnete ich – »wie kommen Sie auf den Gedanken, auch künstliche Kinder zu machen?« – »Die große Miserabilität unserer heutigen Ehen hat mich auf die Idee gebracht.« – »Was, Sie werden doch unser heutiges Menschengeschlecht und seine Fortpflanzung nicht in Frage stellen wollen?!« – »Wir wollten nur einige Verbesserungen anbringen!« – »Einige Verbesserungen am Menschengeschlecht anbringen?! – Fühlen Sie denn nicht das Horrende, das Unerhörte, was in dieser Phrase liegt, die Sie kaltlächelnd aussprechen?« – (Achselzucken) – »Sie zucken mit der Achsel? – Wollen Sie denn das sittliche Band zwischen Eltern und Kindern zerreißen?« – »Diese hier werden sehr gern gekauft!« antwortete mit unverbrüchlicher Ruhe der Alte, indem er auf sein Fabrikat deutete. – »In welche Bahnen treiben Sie das Menschengeschlecht!« – fuhr ich mit großer Bewegung fort –, »was würde Hegel dazu sagen?! – Wissen Sie nicht, daß Hegel das gesamte Menschengeschlecht von den ältesten Zeiten an bis auf unsere Tage als fortlaufende Erscheinungsform der ›absoluten Idee‹ konstruiert hat und in weiser Voraussicht seine Berechnungen noch bis zum Schluß des neunzehnten Jahrhunderts fortführte, so den Menschen eine gesicherte Bahn sittlicher und geistiger Vervollkommnung vorschreibend! – Was würde er zu Ihren verbrecherischen Versuchen, das Menschengeschlecht durch ein künstliches, der Willensfreiheit beraubtes zu ersetzen, sagen?!« – »Wir können auf Konkurrenten unmöglich Rücksicht nehmen!« – »Hegel war doch kein Konkurrent! – Er war doch kein Fabrikant! – Ihm genügte, Welt, Natur und Menschen in ihren prägnantesten Erscheinungsformen festzuhalten und in ein gedachtes System zu bringen, in dem alles als mit Notwendigkeit entstanden erscheint…« – Ich fuhr in diesem geschraubten Stil noch einige Zeit fort, bemerkte aber bald, daß mein Begleiter vollständig interesselos für meine Ausführungen an einem der Kinderschürzchen herumkratzte, wo die Farbe etwas matt ausgefallen war. – »Sie sehen hier, mein Verehrtester,« – begann er nach einiger Zeit, als wenn das Vorausgehende gar nicht gesprochen worden wäre – »einen weiteren Entwicklungsprozeß unserer Erzeugnisse; wenn selbstverständlich auch von einem Leben noch keine Rede ist, so erscheint doch alles schon lebhafter, leuchtender, fast pulsierend. – In der Form ist hier schon alles vollendet und unabänderlich. Die Qualitäten, die diese reizenden Geschöpfchen in sich tragen, können, sollte der Werkmeister etwas versäumt haben, nicht mehr vermehrt werden; aber die da sind, bleiben unveränderlich; bleiben auch auf der Stufe; dieser reizende Kindersinn bleibt ihnen fürs ganze Leben; ich habe aus Fröbel da manches gelernt. Betrachten Sie diesen blauen Augenstern. In Kinderaugen sind wir besonders berühmt.« – Ich schwieg zu diesen gotteslästerlichen Auseinandersetzungen. Wir schritten zum Saal hinaus, der hier in der gleichen Flucht keine Fortsetzung mehr hatte. Auf dem Korridor kamen wir dann zunächst an mehrere mit Eisentüren doppelt und mit großer Sicherheit verschlossene Gewölbe, aus denen ein heftiges Brausen und Zischen herausdrang. Arbeiter, zu zweit, in großer Hast, mit glühenden Stirnen, in einem gefalteten Leintuch eine große Last tragend, aus der oft wimmernde Laute hervordrangen, kreuzten oft unsern Weg. – »Hier, bitte ich, sich nicht aufzuhalten« – bemerkte der Alte, mich scharf ins Auge nehmend – »und nicht umzusehen; hier ist jener Teil der Fabrik, der ununterbrochen in Gang ist und wo eine unvorsichtig offengelassene Tür Sie leicht der Besinnung berauben könnte. Werfen wir lieber noch einen Blick in den Vorrats-Saal meiner fertigen Menschen!«

      Wir gingen lange schweigend nebeneinander. Der Vorrats-Saal lag in einem der Hinter-Gebäude. Alle Abteilungen der Fabrik waren durch bedeckte Gänge miteinander verbunden, offenbar, um sie von Witterungs-Einflüssen so unabhängig wie möglich zu machen. Überall atmete man eine heiße, dampfgesättigte Pflanzen-Luft. – Die Kinder wollten mir nicht aus dem Kopfe. Daß es Kinder blieben, damit konnte man sich schließlich noch abfinden. Das war eine verrückte Idee dieses Menschen-Verbesserers: ebenso wie man kleinen Hunden und Jockeis Schnaps gibt, damit sie klein bleiben. Aber der Mangel jeder sittlichen Anlage, das Mechanische ihres Lachens, und ihrer Kinder-Lieblichkeit, das Fehlen jeder erziehlichen Tendenz, mit einem Wort, das Nichtvorhandensein eines sittlichen Bodens, auf Grund dessen Kinder fragen: Warum? Weshalb? auf Grund dessen sie Gut’ und Böses unterscheiden, war für mich, einen Protestanten, etwas Unerträgliches. In der Erwägung, daß es an dieser Krämer-Seele von einem Direktor nicht viel zu beleidigen gebe, rückte ich ohne Umschweife heraus: »Können Sie es denn, Herr Direktor,« – begann ich – »leichten Herzens zulassen, daß diese Kinder, die wir im letzten Saal gesehen, so ganz verkommen?« – »Die verkommen nicht,« sagte er sehr ruhig, »solange sie kein ungeschicktes Dienstmädchen in die Hand bekommt!« – »Das mein’ ich nicht,« – erwiderte ich ärgerlich – »ich meine, haben Sie nicht daran gedacht, diesen armen Geschöpfchen einen sittlichen Funken ins Herz zu legen? Und, da Sie doch alles mechanisch und starr konstruieren: Wo haben Sie bei den Kleinen den sittlichen Boden angebracht? Im Kopf? In der Brust?« – »Ach, mein lieber Herr, das ist schwer; dieser Boden würde nicht bemerkt werden! Abgesehen davon, daß wir froh sind, wenn es uns gelungen ist, unsere Rasse äußerlich so herzustellen, daß sie sich wie nette und noble Menschen ausnimmt.« – »Nette und noble Menschen!« – wiederholte ich – »als ob das das Ziel wäre, auf das wir lossteuern! Brave und ehrliche Menschen, – ist das nicht viel mehr? Ja, sehen Sie, Herr Direktor, wenn Sie nach der Richtung vorgegangen wären,« – ich sprach sehr lebhaft und gestikulierte fortwährend mit der rechten Hand – »wenn Sie mit vorwiegend sittlichen Impulsen begabte Menschen geschaffen hätten – wie soll ich sagen? – eine Moral-Rasse, die auf Grund eines eingepflanzten, wenn auch konstruierten, später hart gewordenen Triebes nur moralisch zu handeln vermöchte – ja, dann hätte ich Respekt vor Ihnen; eine Rasse, die überall ihr blankes, sittliches Schild zu zeigen vermöchte und als leuchtendes Beispiel ihren fleischlich gesinnten Brüdern und Schwestern stets vor Augen stünde…« – »Die wäre absolut unverkäuflich!« – »Das macht nichts; die Regierung sollte sie auf Staatskosten aufkaufen, ebenso wie man vortreffliche Gemälde kauft und sie öffentlich zur Nachahmung ausstellt. – Denken Sie, welcher Fortschritt für die ethische Entwicklung unseres Menschengeschlechts, dessen Moral zur Zeit so schon im argen liegt!« – »Sie sind ein Idealist!« bemerkte der Alte kurz, »da kann ich Ihnen nicht folgen; ich nehme die Welt, wie sie ist; wir waren froh, die Menschen so, wie sie gegenwärtig herumlaufen, imitiert zu haben. Ich versichere Sie, es war keine leichte Aufgabe; wir haben uns viel geplagt und haben viel Geld hineingesteckt!« – Diese merkantile Wendung brachte mich wieder zum Schweigen. Ich empfand die ungeheure Kluft, die uns trennte. Dieser Spekulant wollte mit seinen Menschen vor allen Dingen Geld verdienen. Alles andere war ihm Nebensache. – Wir gingen wieder lange schweigend einher. – »Ich begreife nur eines nicht,« – nahm ich nach einiger Zeit wieder das Wort –, »wenn Sie Menschen machen wollen, müssen Sie doch ganz genaue Kenntnisse der Anatomie und Psychologie haben. – Prometheus machte Menschen aus einer Art Ur-Dreck, aber Pallas Athene hauchte ihnen erst das Leben ein. Was haben Sie, das Ihnen die göttliche Hilfe entbehren läßt?« – »Chemie und Physik läßt uns heute über manches hinwegsehen!« – »Gut, die Naturgesetze sind uns heute in einem Grade bekannt, der staunenswert ist; aber wie selbe in einem menschlichen Körper applizieren, wo doch ganz andere Bedingungen herrschen


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