Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Klaus möge ihm das gewichtige Schwert tragen, bis es zur Schlacht komme.
»Davon schreibt Lukas noch lange nichts!« brummte das Dasselsche Blut. »Tragt’s Euch selber oder reitet darauf; aber schneidet Euch um Gotteswillen um Eurer Frau wegen nicht daran!« lachte der Spötter und drehte sich auf den Fersen kurz um und wies dem ehrbaren Herrn den Rücken. Der Bürgermeister sah sich wütend nach seinem Ratsdiener um, daß er den verwegenen Burschen beim Kragen nehme. Da aber Schöppelmann, der Stadt-Haltefest, eben mit an der Donnerbüchse auf dem Burgturm beschäftigt war, so mußte der ergrimmte Herr seine Wut hinterschlucken.
Näher und näher kam der Fackelschein, immer deutlicher vernahm man die Hornklänge, das Geschrei der Schiffenden. Immer größer wurde die Angst und Aufregung des Städtleins Holzminden.
Jetzt war das Schrecknis grade der Stadt gegenüber funkensprühend und waffenblitzend!
Eine tiefe Stille trat ein; die tapfersten Herzen klopften sehr vernehmbar, die stärksten Kniee schlugen aneinander!
»Eins – zwei – drei!… Drei Schiffe! Drei Schiffe voll Kriegesvolk!« ging es durch das atemlose Volk. Die Lunten waren aufgeschroben, die Spieße gesenkt; alles hielt sich bereit zur mutigen Abwehr des unbekannten Feindes; und das blutdürstige, brandsüchtige, heillose Geschöpf, der Komet, richtete vor Vergnügen seinen Schweif steilrecht empor, und manch ein ehrlicher Bürger behauptete nachher sogar, es habe damit gewedelt.
Und nun hielten die Schiffe grade auf das rechte Ufer und die Stadt zu; aber damit – endete auch die Angst, denn zwischen dem Jauchzen und Rufen vernahm man deutlich ein lustiges und friedfertiges Becherklingen, und aus Schlachtgesängen wurden Trinklieder; einige scharfäugige Bürger erkannten die Farbe des Zeltdaches über dem ersten Kahn und die Zeichen des Banners, welches sich im Vorderteil entfaltete.
»Die Klosterschiff von Corvey! Die Fahn von Spiegelberg! Das Banner von Pyrmont!« schallte es jubelnd aus jedem Mund. Alle Not und Angst machte sich in einem unendlichen Geschrei Luft. Jedes Herz wurde leicht, jede Brust atmete freier!
Man feuerte zum Willkommensgruß die Büchsen in die Luft und versparte die Ladung der Kartaune auf eine andere Gelegenheit. Man sprang und tanzte das Ufer entlang, man fiel sich um den Hals, langjährige Feinde schlossen einander in die Arme.
Fröhliches Getümmel drängte sich um die landenden Schiffe und um Herrn Philipp von Spiegelberg, welcher grüßend an das Land trat und nicht wenig über den geharnischten Bürgermeister und seine mit allerlei Schwierigkeiten verknüpften Verbeugungen lachte. Noch mehr lachte der der Stadt wohlbefreundete Herr über die verworrene Erzählung der Bürgersleute und den unnötigen Angstschweiß, den sie sich immer noch von den Stirnen wischten.
Der Graf zu Pyrmont war ein lustiger junger Bursch, kaum sechsundzwanzig Jahre alt, und fuhr nicht gern umsonst in solch lauer Vorfrühlingsnacht den alten Weserfluß hinab.
Die hübschen niedersächsischen Mädchengesichter in den Haustüren und Fensteröffnungen den Strom entlang, die Wirtshäuser rechts und links waren wohl schon manchmal eines kleinen Aufenthaltes wert, und ein lustiges Abenteuer war auch nicht zu verachten. Ob das hübsche Mädchen oder das gute Bier protestantischen oder katholischen Ursprungs war, kümmerte den Spiegelberg wenig.
Wie hätte er vorüberfahren können, ohne der guten Stadt Holzminden einen Abendbesuch abzustatten und wie der gemütlichste Vetter Michel ein klein Geschwätz zu halten mit dem Senat und Volk? Einen Becher Rheinwein, Bastard oder Muskatell aus dem Ratskeller auf das Wohl der Stadt, ihrer Bürger und Bürgerinnen zu leeren, hatte auch durchaus nichts Unangenehmes an sich.
Solches geschah nun, und gewaltiger Jubel schlug an das Ohr des geschwänzten Ungetüms oben in der Luft. In ritterlichem Barett und grünem Jagdgewand, die goldenen Sporen an den Stiefeln, stand der Graf im Kreise der Bürgersleute, wohlgemut den Becher, welchen des Bürgermeisters schönes Töchterlein errötend kredenzt hatte, in der Hand haltend.
Von allem mußte Philipp von Spiegelberg wissen: von Heirat, Taufe und Tod, vom letzten großen Viehsterben und vom greulichen Haselwurm, welchen man im Pipping gesehen haben wollte.
Auf jede Gesundheit, welche im Kreise ausgebracht wurde, stieß er freudig an und lachte herzlich über jede Schnurre, welche zu Tage gefördert wurde. Über die Schulter des Bürgermeisters aber glotzte Klaus Eckenbrecher und hielt das jetzige Ereignis für die günstigste Gelegenheit, hinauszukommen in die weite Welt.
Er wußte ganz genau, daß Herr Philipp von Spiegelberg nur seinetwegen in dieser Nacht an der Stadt Holzminden vorüber geschifft worden war.
»Also einen solchen Schrecken hab ich euch eingejagt, ihr guten Leut?« rief nochmals lachend Herr Philipp. »Das ist mir wahrlich ein großes Leid, Herr Bürgermeister. Auf Euer Wohl, Herr Pastor! … Ja, denk wohl, ihr hättet mir ein heißeres Willkommen gebracht als dies Gläslein kühlen Weines, wenn ich kommen wär, eure Stadt mit Sturm anzulaufen! Na, nichts für ungut: wir bleiben doch Freunde und Nachbaren, nicht wahr, ihr wackeren Männer und lieben Freunde, ihr schönen Frauen allgesamt?«
»Ja, ja, ja – das sind und bleiben wir – vivat der Graf von Pyrmont!« schrie und jauchzte man umher.
Nachdem man noch mancherlei hin und wider geredet hatte, nahm der Graf Abschied und wandte sich, um in sein Schifflein zurückzutreten. Nun aber sprang ihm der Klaus in den Weg, sein Barett in der Hand.
»O, gnädiger Herr, noch ein einziges Wörtlein! Braucht Ihr nicht einen Jäger, einen Reiter, einen Büchsenspanner? O, gnädiger Herr, wollt Ihr mich nicht mit Euch nehmen? Ach, wenn Ihr doch wüßtet, wie es mir hier zu eng geworden ist im Nest!«
Graf Philipp warf einen gutlaunigen Blick auf die frische, kecke Gestalt vor ihm.
»Ho, ho, zu enge ist’s dir hier worden? Was will das bedeuten, mein Meister?«
»Gnädiger Herr«, fiel eifrigst der Bürgermeister Uhlenhut hier ins Gespräch, »zu ewiger Dankbarkeit wär Euch die Stadt verpflichtet, wenn Ihr dem Buben seine Bitte gewährtet.«
»Wahrlich, Herr Graf zu Pyrmont, nehmt ihn mit Euch!« sagte die ehrliche, rauhe Stimme des alten Fichtner. »Vielleicht wird er draußen besser tun und gedeihen als hier, wo er nichts als Unfug anstiftet.«
»Nehmet ihn mit, nehmet ihn mit, gräfliche Gnaden!« erschallte es im Chor rund umher, und alle ältern Weiber waren voran dabei. Die jungen Mädchen jedoch hielten sich ganz still; ihnen war der Eckenbrecher jedenfalls am wenigsten verhaßt, und wenn ihn der Graf mit sich fortnahm, ging ihnen der beste Tänzer auf den Kirchweihen, wenn man den Rosenkranz sang und den Ringelreihen schlang, verloren.
»Nehmet das Unkraut mit Euch!« klang es lachend und ärgerlich zugleich, und Herr Philipp von Spiegelberg lachte am lautesten und hellsten über den Eifer, welchen das Weichbild von Holzminden, das räudige Schaf loszuwerden, an den Tag legte.
»Wahrlich, mein Bub«, sprach er, »du scheinest mir ein loser Vogel zu sein. Was hast du ausgefressen, daß niemand ein gutes Wort von dir zu sagen weiß?«
Klaus seufzte, schaute schief empor zum großen Kometen und zog nur die Achseln ein wenig zusammen, als jetzt alle Schleusen sich öffneten und eine wahre Flut von Vorwürfen und Anschuldigungen auf ihn einschoß.
»Ein Taugenichts, ein Tagedieb, ein Nichtsnutz ist er! Ein Vagant, ein Galgenstrick, ein Fuchsschwänzer!«
»Nein, Herr Graf«, sprach aber der Pastor Fichtner, »nein, ein Fuchsschwänzer ist er nicht, sondern nur ein Tollkopf, welcher sich die Hörner abrennen muß. Aber dazu ist’s auch die allerhöchste Zeit! … Vielleicht kann noch durch Hunger, Durst und Prügel bei ihm Rat geschafft und der Hangmann um seinen Hals betrogen werden. Wollt Ihr Euch damit befassen, dem Burschen die Ränke und Schwanke, deren er voll sitzt, wie der Buchenbaum voll Maikäfer, auszutreiben, so greifet Ihr ein verdienstlich Werk an.«
»Und Euer Töchterlein, die süße Monika, führ ich doch heim!« schrie Klaus Eckenbrecher schluchzend. »O, Herr Graf, kehret Euch nicht an das, was sie sagen; ich tue wohl schon gut; aber meinen Schatz muß ich mir erreiten können!«
»Ha«,