Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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gibt, und bitten unsere Leser, die Existenz unseres jetzigen Helden Klaus Eckenbrechers anzuerkennen.

      Wir lassen denn auch zur Belohnung den Vorhang fallen und ziehen ihn erst wieder im folgenden Kapitel auf, wo sich die Welt verändert hat, wie noch nie in so kurzem Zeitraum auf Erden, wo mancherlei, was vorher oben gestanden hat, nach unten gekommen ist und umgekehrt, wo aber Klaus Eckenbrecher als ein zwanzigjähriger Bursch in Wehmut und Kummer noch immer auf der Mauer des Pfarrgartens sitzen wird! –

      Drittes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Wie Herr Philipp von Spiegelberg, Graf zu Pyrmont, mit dem Abt von Corvey zu Tisch saß, einen Brief erhielt, dem Gemeinwesen von Holzminden einen gewaltigen Schreck einjagte und den Klaus Eckenbrecher mit sich nahm.

      Ja, was war alles in dem kurzen Zeitraum von 1519-1556, dem Jahre des großen Kometen, geschehen in der Welt!

      Welche Namen hat während dieser Spanne Zeit die Geschichte eingegraben auf ihre ehernen Tafeln!

      Was knüpft sich alles an die leuchtenden Zeichen: Karl der Fünfte – Franz der Erste – Soliman der Große – Luther – Melanchthon – Zwingli – Calvin – Ulrich Hutten – Albrecht Dürer – Cortez – Magalhaens – Thomas Münzer – Fiesco – Ariosto – Raffael – Michelangelo – Theophrastus Paracelsus – Lucas Cranach – Kopernikus – Holbein! Hundert mindere nicht zu nennen!

      Die Bibel war übersetzt, der Jesuitenorden gegründet, und der Zwiespalt der deutschen Nation war zum Besten der Welt, zum Jammer des Vaterlandes aber, von nun an auf lange, lange schwere, sich mühende, ringende Zeiten ein Faktum geworden!

      Und diese Teilung des Volkes in die zwei großen geistigen Heerlager war auch auf den kleinen Schauplatz unseres stillen Wesertals nicht ohne Wirkung geblieben. Von dem rechten Ufer des Stromes war der Katholizismus ziemlich vollständig verdrängt worden durch das Licht der neuen Lehre. Die gelben Fluten rauschten hier nun als Grenzmarke der beiden Glaubensparteien, in welche sich die Nation geschieden hatte.

      Doch was schwatzt der Geschichtenerzähler davon?

      Möge er sich genügen lassen, von dem zu sagen, was er versteht, und möge er seine Nase nicht in Dinge stecken, welche sehr kluge Leute viel besser verstehen als er. –

      Jetzt zogen nicht mehr die Zisterziensermönche von Amelungsborn, die Benediktiner von Corvey, die Franziskaner aus den Paderbornschen Klöstern auf der rechten Seite der Weser umher, zu taufen, zu trauen, zu firmeln und zu begraben. Überall saßen hier die lutherischen Pastöre bereits fest genug in den lutherischen Pfarrhäusern neben den lutherischen Kirchen, deren Turmhähne nach wie vor nur nach dem Wind sich drehten und nicht nach den großen Weltbegebenheiten.

      In Holzminden aber saß Ehrn Valentin Fichtner, predigte das unverfälschte, reine Wort Gottes und schrieb an seinem gelehrten Werke: De Daemonibus. Ehrn Valentin hatte noch den großen Doktor zu Wittenberg lehren hören und war ihm mit aller Glut der Seele zugefallen. Er war auf derselben Universität zum Magister gemacht worden und hatte bald darauf eine Nonne aus einem aufgehobenen und ausgeflogenen Kloster geheiratet. Katharina hieß diese treue Gefährtin, welche ihm den Johannes und die Monika geboren hatte und dadurch selig wurde, wie Katharina von Bora, deren Bildnis Meister Lucas Cranach zu Wittenberg mit der Inschrift gemalt hat: K. von Bora salvabitur per filiorum generationem, d. i. Katharina von Bora wird selig werden durch Kindergebären.

      Längst ruhte nun die Gute auf dem Stadtkirchhof zu Holzminden dicht neben der Kirche unter einem schmucklosen Leichenstein, auf welchem nur das Jahr ihrer Geburt und ihres Todes eingegraben war, auf welchem aber ebensogut wie auf jenem römischen Stein hätte stehen können:

      Fuit lanifica pia, pudica, frugi, casta, domiseda.

      Katharina Fichtnerin ahmte nicht jener dritten Katharina, dem Ehegespons des guten Philipp Melanchthon, nach, von der Camerarius leider schreiben muß, sie sei et victus et cultus negligens gewesen. Katharina Fichtnerin war fromm, eine gute Hausfrau und Mutter, sandte mit blutendem, aber ergebenem Herzen den einzigen Sohn in den heiligen Krieg, beweinte ihn und starb drei Jahre nach der Geburt der kleinen Monika, welche im Jahre 1556 kaum achtzehn Jahre alt war und welche der Taugenichts Klaus Eckenbrecher mit seinem starken Arm erobern wollte.

      Wir lassen die Toten und schauen wieder nach, wie die Lebendigen mit den Verwickelungen des Lebens fertig werden!

      Mancherlei trieb sich unter den wirren, blonden Locken und der harten Hirnschale Klaus Heinrich Eckenbrechers im Kreis, wie er in seinem Kummer auf der Mauer des Pastorengartens saß und, wie man zu sagen pflegt, mit den Beinen den Esel ausläutete. Mit dem, was ihm sein Vater als Erbteil hinterlassen hatte, war er ohne große Mühe bald genug fertig geworden. Von hundert Bürgern und Bürgerinnen Holzmindens haßten und fürchteten ihn neunundneunzig wie das Wildfeuer, den Brand im Getreide oder den Fuchs im Hühnerstall und den Marder auf dem Taubenschlag. Er war verrufen wie der Türke und der Papst, und sämtliche Hausväter der Stadt hätten ihn, seiner Streiche und Eulenspiegeleien wegen, nur allzugern zu Brei geklopft, wenn sie es gewagt hätten. Aber ein jeder hütete sich wohl, in ein Wespennest zu schlagen, und ein jeder kratzte sich gar bedenklich und trübselig hinter dem Ohr, wenn er des Schwanzes gedachte, den der Klaus, als ein Anführer und Häuptling aller wilden, unbändigen Gesellen des Gemeinwesens, hinter sich herzog.

      Die Monika aus dem Pfarrhause war bis jetzt fast das einzige Menschenwesen gewesen, welches den Tollkopf bändigen konnte. Und Tränen, bittere Tränen rannen eben diesem Tollkopf jetzt über die Wangen, wie er daran dachte, daß die gute Maid ihn nun nicht mehr ausschelten und nachher, hinter dem Rücken des Vaters, streicheln und küssen werde, sintemalen der »Alte« nun gar scharfe Wacht halten werde mit seinen scharfen Augen und Fußangeln und Selbstschüsse legen werde durch den ganzen Garten und rund um das Haus und rund um das holde Töchterlein her.

      Eben dieser Alte hatte es versucht, sich einen Gotteslohn an dem verwaisten Klaus zu verdienen, indem er denselben nach dem Tode des Trompeters, als niemand sonst sich um die junge Brut kümmern wollte, ins Haus nahm. Er gedachte dabei seiner eigenen hungrigen, durstigen, frierenden Jugend, seines Gesanges vor den Türen mildherziger Leute, und wie er zuletzt doch ein stattlicher, wohlangesehener Mann und Pastor zu Holzminden geworden sei mit Gottes Hülfe durch Gebet und Arbeit. Er hatte sich vorgenommen, aus dem Jungen etwas Rechtes zu machen – einen Lateiner, einen Gelehrten, ein Licht der evangelischen Kirche. Aber er hatte die Rechnung abgeschlossen, ohne das Musikantenblut und das Dasselsche Räuberblut, welches in den Adern seines Zöglings floß, als Faktoren aufzustellen. Je gedeihlicher der Bube an Körper aufwuchs, desto weniger wollte er mit den Büchern zu schaffen haben, und er fürchtete dieselben fast so sehr, wie die Nachbarn ihn fürchteten. Am liebsten strich er in Wald und Feld umher auf der Jagd nach Vogelnestern und dergleichen. Wie ein Fisch konnte er schwimmen, laufen wie ein Rehbock, klettern und springen wie ein Eichhorn. Körperliche Schmerzen und Anstrengungen achtete er nicht, um desto mehr aber geistige. Wie viele Prügel bekam er! Wieviel Gleichnisse, gute Lehren und Exempel ließ er zum rechten Ohr hinein, zum linken hinaus gehen!

      Gutmütig war der Bursch, eine frische, helle Stimme hatte ihm die Natur ebenfalls gegeben, mit ihr auch ein feines Gefühl für jede Musik, sei es, daß sie hervorgebracht wurde durch herumziehende Sänger und Pfeifer oder durch die Vögel im grünen Wald oder durch die Orgel in der feierlichen Kirche. Sein Lieblingsinstrument blieb aber das ganze Leben hindurch die Zinke – das hing ihm an wie die Erbsünde.

      Die Jahre kamen und gingen: der Knabe wuchs heran gleich einer jungen Tanne, welche einen guten Stand hat. Was er wollte, lernte er, und der Pastor Valentin Fichtner hielt es für sehr wenig. Er sagte deshalb auch seinem Zögling öfters voraus, daß er ihn einmal aus dem Hause werfen müsse und werde. Und – dictum, factum! – nach einer große Klage sämtlicher Nachbarn und Nachbarinnen trat das Vorhergesagte ein.

      »So geh, wenn du es nicht besser haben willst, du verlorener Sohn. Geh, und komm mir nicht wieder vor die Augen; in Unschuld wasch ich meine Hände!«

      Und der Klaus ging.

      Beim


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