Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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V. Tob. 3.«

      »In der fünften Ordnung sind die Prestigiatores, die Zaubergeister. Ihr Fürst ist Satan, das ist: Feind und Widersacher Gottes.«

      »Zum sechsten stehen die acreae potestates, die Luftgeister. Dieser Fürsten nennen sie Meririm.«

      »Im siebenten Gliede sind zu zählen die Furiae, die unruhigen Geister, durch welche in der Welt greulicher Aufruhr, Zwietracht, Haß, Neid, Mord, Empörung und allerlei Uneinigkeit angerichtet wird. Diesen setzen sie zum Fürsten Abadonna, davon in der Offenbarung Johannis am neunten Kapitel gemeldet wird.«

      »Zum achten folgen die Criminatores, die Schmähgeister, deren Fürst ist Diabolus, ein Lästerer. Es tun etliche Gelehrte aber hinzu die Daemones exploratores, welcher Fürst Astaroth sein soll, ein Erforscher und Verführer.«

      »In der neunten und letzten Ordnung sind die Tentatores et insidiatores, die Verführer und arglistigen Geister, welche dafür gehalten werden, daß ein jeder insonderheit einen Menschen zu verführen in die Hand nehme. Sie werden auch genii mali, das ist: böse Engel genannt. Den Fürsten unter ihnen nennen sie Mammon.«

      Das war nun in der Tat eine diabolische Nomenklatur, bei deren Abfassung ein Theologe des sechzehnten Jahrhunderts wohl scheue Blicke nach dem dunklen Nachthimmel, allwo die Zornrute des allmächtigen zürnenden Gottes, der große Komet, in furchtbarlichster Schrecklichkeit brannte, werfen konnte.

      Von Zeit zu Zeit erhob sich der Alte auch unruhig genug aus seinem umfangreichen, gradlehnigen, schwarzbeschlagenen Lehnsessel und trat, die Feder in der Hand, an das niedere Fenster seiner Studierstube. Dann schüttelte er jedesmal bedächtig, sorgenvoll das ergrauende Haupt und hatte seine zweifelnden Gedanken, ob der im vorigen Jahre zwischen Kaiserlicher Majestät und den protestierenden Ständen zu Augsburg abgeschlossene Religionsfriede wohl stichhaltig und von Dauer sein werde.

      »Was Gott nicht hält, das geht zu Grund,

       Wenn’s gleich auf eisern Mauern stund!«

      murmelte er mehr als einmal, wenn er so stand und die sorgengefurchte Stirn gegen die kalten Glasscheiben drückte.

      Jedesmal ging er schwer seufzend zurück zu seinem Tisch und seiner Arbeit, und die stumpfe Feder nahm ihren abgebrochenen Weg wieder auf über das handfeste Papier jener Zeiten.

      Wahrlich, es mußte das Papier damals handfester sein als das unsrige!

      Sie schrieben mit gar gewichtiger Faust, die alten Kämpfer im Chorrock und Mönchsgewand, die Kämpfer in ritterlicher Rüstung!

      Und die gewaltigen Folianten, die riesenhaften Dintenfässer paßten ganz zu dem Papier und den Handschriften. Wohl waren diese Dintenfässer geeignet, dem Gegner wie dem Teufel damit ein Loch in den widerborstigen Kopf zu werfen!

      Und wie das Rüstzeug, so waren auch die Leibesgestalten. Schaut diesen grübelnden Streiter des neuen Glaubens!

      Wie vierschrötig, gediegen steht der Mann auf seinen Füßen! Es gehört ein tüchtiger Sturm dazu, diese knorrige Eiche umzuwerfen. Auf dem kurzen Halse über den breiten Schultern hebt sich ein Kopf, wie man ihn sich nicht charakteristischer vorstellen kann. Breite Stirn und breites Kinn, graue, kluge, leuchtende Augen, kurz geschnittenes, graues, sprödes Haar und ein Bart von gleicher Art und Farbe – sind äußere Merkmale: wer kann das innerliche Feuer des wunderbaren Jahrhunderts, welches aus diesen Augen glüht, malen? ist nicht dieser lutherische Pastor zu Holzminden ein prächtiges Beispiel dieses Geschlechtes, welches so gewaltig war in seinen Siegen wie in seinem Unterliegen, in seinen Leiden wie in seinen Freuden, in seinem Haß wie in seiner Demut, in seinem Stolz wie in seiner Liebe?

      Seht ihn euch an, wie er da sitzt in dem schwarzen, pelzbesetzten Gewande seiner Zeit – tausend und aber tausend Bilder euerer Vorfahren in euren alten Bürgerhäusern zeigen ihn euch! – –

      Und jetzt legte Ehrn Valentin Fichtner, der Prediger der Kirche Gottes zu Holzminden, seine Feder zum letztenmal an diesem Abend nieder und trat wiederum an das Fenster.

      »Jawohl, tentatores et insidiatores!« murmelte er. »O wie ist die Welt voll davon in jeglicher Gestalt! O wie ist ihrer Zahl Legion!«

      Rückwärts über die Schulter blickte er auf das lebensgroße Bildnis des großen Doktors und teuren Mannes Gottes, Martin Luther, welches neben dem Ofen von der Wand herabschaute und neben welchem das Schwert hing, welches Johannes Fichtner, der einzige Sohn des Alten, so wacker geführt hatte vor Ingolstadt, bei Rochlitz und in den bösen Unglücksschlachten bei Mühlberg, wo der Johannes den Ritter-und Märtyrertod für den reinen Glauben starb, wo der Kurfürst gefangen wurde und der Schmalkaldische Bund, wie die Zeitgenossen sagten, wirklich zu einem »schmalen« und »kalten« Bunde ward.

      Das Bild, die Bibel, das Schwert und – die Monika, das waren die vier Schätze, an welchen das Herz des alten Pastors hing in dem Jammertale dieser Welt.

      Das Bild, die Bibel und das Schwert des toten Sohnes befanden sich an ihrem gewohnten Platze: wo aber war das Töchterlein, die Monika?

      »Was hat sie noch zu schaffen im Garten zu solcher nächtlichen Zeit, wenn solche unheimlichen Zeichen am Himmelsgewölbe einherziehen?« fragte sich der Pastor Fichtner, welcher plötzlich durch das Knarren einer Tür aus seinen tiefen Gedanken aufgeschreckt wurde und welcher gleich darauf einen Schatten durch den Garten gleiten sah.

      Er nahm sich vor, sein holdes Kind darüber auszufragen während der Abendmahlzeit, und schritt zu dem Ofen, um neues Holz auf die erlöschende Glut zu werfen; denn man spürte den abziehenden Winter doch noch recht gut an solchem Märzabend, und draußen ging ein gar kühles Wehen. –

      Wir lassen den von der Arbeit und dem Nachdenken und der Sorge ermüdeten Prediger seinen Sessel vor die Glut rücken und übergeben ihn bei den aufknatternden Flammen seinen Träumereien. Wir steigen die enge Treppe hinunter, welche in die untern Räume des Hauses führt, und gelangen durch den Hausflur, vorüber an dem großen Schranke, in welchem die fleißige Monika langsam ihre selbstgesponnenen Schätze an Leinen und feinen Tüchern sammelt und aufhäuft und allerlei allerliebste und heimliche Gedanken dazu legt, – durch einen abschüssigen, dunklen, engen Gang in den Garten.

      Die jungen, eben sich erschließenden Blattknospen des niedern Gebüsches sind mit Tautropfen behängt, einige frühe weiße und gelbe Blümchen leuchten von den Beeten matt durch die dämmerige Nacht, unter der Mauer des Gartens rauscht und murrt der alte Fluß, und, an die Brüstung gegen den Fluß zu gelehnt, steht die Monika Fichtner und blickt träumerisch scheu über den Spiegel der Weser, in welchem die Sterne und der große Komet ihr tausendfach gebrochenes Bild beschauen. Am gegenüberliegenden Ufer im Dorfe Stahle leuchten einige helle Hüttenfenster unter dem Wirenberge, auf welchem die Kapelle der holdseligen Jungfrau Maria steht, durch die Nacht. Der hellste Lichtschein fällt aus dem ebenfalls dicht am Ufer gelegenen katholischen Pfarrhause, wo der junge Vikarius Festus über seinem Breviarium sitzt, aber ohne darin zu lesen. Der uralte, halb blinde Pfarrer Chrysostomus hat bereits das Lager gesucht; er ist jetzt immer so leicht müde und weiß recht wohl, daß die Stunde nicht mehr fern sein kann, wo er der weckenden Hand und dem leisen Zuruf seines jungen Vikars nicht mehr antworten wird, wo sein Schlummer zu einem ewigen geworden ist. Er fürchtet diese Stunde durchaus nicht, er hofft sogar auf sie. – –

      Die Gärten der Bürger von Holzminden erheben sich terrassenförmig in ziemlicher Höhe über dem Flusse und werden durch schräge, tüchtige Mauern, die aber doch sehr oft nicht ausreichen, gegen die anstürmende Wut der Frühlingswasser geschützt. Zwischen diesen Gartenmauern und dem Strome läuft ein abschüssiger Kieselweg hin, zertreten von den Schiffern und Schifferpferden. Allerlei verwelkte Wassergewächse des vergangenen Jahres, Narrenkolben, Weiden, Rohr und Schilf flüstern und säuseln und rascheln am Ufer entlang, und dazwischen erschallt jetzt, kaum vernehmbar, ein elastischer Schritt. Ein Schatten schlüpft über den Pfad gegen die Mauer des Pfarrgartens heran; höher und ängstlicher beginnt das furchtsame Herz des jungen Mädchens auf der Höhe zu klopfen.

      Jetzt drückt sich eine jugendliche Männergestalt in den Schatten der Mauer, und leise ruft’s empor:

      »Monika, liebe Monika! Bist du da, liebe Monika?«


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