Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
mich nicht so an, Königin – heute mir, morgen einem andern – das ist der Krieg, das ist das Leben. Meinst du, ich soll jammern und Gebete murmeln wie ein Pfaff am Leichnam des Freundes? Ha, wären wir am Strande des ligurischen Meeres, mit Rosen und Myrten wollten wir uns die Haare kränzen, die schöne Nacht zu feiern! Im Namen der Rache, im Namen des Sieges, so komm in meine Arme, du wilde Geusin, so komm und sei mein, du holde Ketzerin.«
Mit einem gellenden Schrei klammerte sich Myga van Bergen an den Pfosten des Lagers, auf welchem der bleiche, blutige Leib Antonio Valanis ausgestreckt lag. Bei dem Toten suchte sie Schutz! Aber mit wildem Lachen riß Leone della Rota die Unglückliche empor in seine Arme. Mit glühenden Küssen bedeckte er ihren Mund und ihre nackten Schultern, – da klang ein dumpfer Fall über seinem Haupte, daß die Lampe an der Decke davon erzitterte. Ein Schrei! – ein Ringen – ein zweiter Fall – ein Stampfen und Trappeln vieler Füße – ein wildes Geschrei – der scharfe Knall eines Handrohres – der schreckensvolle, unheilvolle Ruf:
»Die Geusen! Die Geusen! Die Geusen an Bord! Verrat! Verrat! All’arme! All’arme!«
»Was ist das? Diavolo!« rief der Leutnant, das Mädchen freilassend und nach dem Schwerte greifend. – – Von dem blutigen Lager hob sich noch einmal der Leib Antonio Valanis, noch einmal öffneten sich die Augen weit und starr und hafteten auf dem Leutnant:
»Schütze das Schiff – Ver – räter! Niederträchtig –« ein Strahl schwarzen Blutes schoß aus dem Munde hervor, zurück sank Antonio Valani – der Tod hielt nun wirklich seine Beute.
Auf dem Deck ward nach dem Fall der ersten Wacht das Getümmel immer allgemeiner und lauter; das wirre, überraschte Schiffsvolk stürzte hervor mit den ersten besten Waffen in der Hand –
»Zu den Waffen! Verrat! Die Geusen!«
Flüche – Gestöhn – Rufe um Pardon.
Auf die Knie sank wieder Myga van Bergen, während der Leutnant, das Schwert aus der Scheide reißend, die Kajütentreppe hinaufeilte. Auf dem Verdeck stolperte sein Fuß schon über Leichen und zu Boden liegende Verwundete. Wild wogte es hin und her, und das Triumphgeschrei der Niederländer und der schreckliche Geusenruf: »Lieber Türk als Pfaff!« fingen bereits an, den Waffenruf der so schrecklich aus dem Schlaf erweckten Genuesen zu übertönen.
Und immer noch kletterte es katzengleich an den Wänden des Andrea Doria empor. Auch die nächstliegenden Handelsschiffe und kleinen Kriegsfahrzeuge schienen überfallen zu sein, denn auch auf ihnen erhob sich Kampfgeschrei, fielen Schüsse, leuchteten Fackeln auf.
In der Verzweiflung warf sich Leone della Rota den nächsten Feinden in den Weg, mit Zuruf und Tat seine Leute zum Widerstand ermutigend. Auf dem Wachthaus am Kai erwachte eine Trommel und wirbelte den spanischen Weckruf.
»Die Geusen, die Geusen! Die Geusen vor Antwerpen! Verrat, Verrat, die Geusen in der Stadt!«
Fackeln irrten am Ufer umher, Lichter erschienen in den Häusern hinter der Stadtmauer.
»Lieber Türk als Pfaff! Viktoria, Viktoria! Die schwarze Galeere! Die schwarze Galeere! Viktoria, Viktoria!« riefen die Geusen an Bord der genuesischen Galeone, alles vor sich niederwerfend. Pardon wurde nicht gegeben, was nicht niedergestochen und -gehauen ward, wurde über Bord gestürzt. Das Wort: die schwarze Galeere! erfüllte die Herzen der Italiener mit wildem Grauen und brach mehr als alles ihren Mut. Ein Teil floh ans Land, ein größerer Teil wurde im ersten Überfall niedergehauen; am Hauptmast, in dem Lichtkreise der Schiffslaterne kämpfte noch eine verzweifelte Schar. Hier hielt der Leutnant Leone della Rota mit den tapfersten seiner Mannschaft stand, und zuletzt drängte das ganze Gefecht sich hier zusammen. Schon war der Boden schlüpfrig von Blut und bedeckt mit Leichen; manch wilder Geuse fiel von dem Schwert des italienischen Leutnants.
»Mut, Mut, tapfere Kameraden – an mich heran! Es kommt Hilfe vom Lande! Mut, Mut!« rief Leone, einen Seeländer zu Boden streckend; aber an der Stelle desselben erstand ein neuer Kämpfer, über den Gefallenen wegtretend.
»Vorwärts, vorwärts, ihr Meergeusen! Nieder mit den welschen Tyrannen – nieder die Schandflagge! Herab vom Mast mit ihr! Kennst du mich, du welscher Schuft, – du feiger Mädchenräuber?«
»Diavolo!« rief der Leutnant, starr vor Schrecken und Verwunderung; doch faßte er sich sogleich. »Nicht ersoffen bist du, du Bettler? Hei, desto besser, – friß kaltes Eisen denn – da!«
»Da! Da! Myga! Myga! Rettung! Rache! Da, du Hund, fahr zur Hölle und grüß deinen Spießgesellen von Jan Norris, dem Meergeusen!«
Zu Boden in sein Blut sank Leone della Rota aus Genua, und Jan Norris setzte dem Gefallenen den Fuß auf die Brust und schrie ihm ins Gesicht: »Gerettet ist die Myga! Gewonnen ist das Schiff! Erzähl’s in der Hölle!«
Damit stieß er seinem Todfeind das Schiffsmesser in den Hals.
Gefallen waren unterdessen auch die andern Genuesen, die sich nicht durch die Flucht gerettet hatten; der Kampf an Bord des Andrea Doria war beendet, und schon warfen sich die Geusen auf die Ketten, die das Schiff an den Kai fesselten.
In der Kajüte lag Myga van Bergen ohnmächtig in den Armen Jans, welcher die Braut aus dem schrecklichen Raume, aus der Gesellschaft des toten Kapitäns Antonio Valani forttrug die Treppe hinauf in die freie Luft.
Noch dauerte das Gefecht auf einigen der ebenfalls von den Niederländern überfallenen Fahrzeuge fort, aber schon glitten einige derselben, von Geusenhänden gelenkt, in den Strom hinaus, und wild harmonisch erschaute der Gesang der Sieger durch die Nacht:
»Wilhelmus von Nassaue
Bin ich von deutschem Blut,
Dem Vaterland getreue
Bleib’ ich bis in den Tod –«
Vom Stern des Andrea Doria blies jetzt der Trompeter der schwarzen Galeere dieselbe Weise zur Stadt hinüber, und im wilden Chor fiel die siegreiche Mannschaft ein:
»Daß euch die Spanier kränken, O Niederlande gut,
Wenn ich daran tu denken,
Mein edel Herz, das blut’t.«
Selbst die zum Tod wunden Geusen richteten sich unter den feierlichen harmonischen Klängen vom Boden auf – die nicht mehr singen konnten, bewegten doch die Lippen nach den Worten des Liedes. Auch Myga van Bergen erwachte dadurch wieder zum Leben, und lachend und weinend sang sie in den Armen Jans den Freiheitsgesang mit.
»Sieh, ich halte doch Wort; unter Kanonendonner und Glockengeläut und Trompetenklang führe ich dich heim! Gerettet, gerettet!« jauchzte Jan Norris.
Von der Zitadelle ertönte ein Alarmschuß über den andern. Trommel auf Trommel fiel auf den Mauern und Wällen der Stadt ein in den ängstlichen Ruf der ersten am Kaikranen. Und immer lauter regte sich hinter ihren Mauern und Wällen die große flandrische Stadt, und manch ein bedrücktes, zorniges Herz schlug höher bei den stolzen, verbotenen Tönen, die so trotzig den spanischen Trommeln entgegenwogten und immer höher schwollen, je mehr jene dagegen ankämpfen wollten. Die Sturmglocken läuteten dazu von allen Türmen. Und nun rasselte und klirrte es aus der Stadt und von der Zitadelle herab hervor gegen den Kai; Fähnlein auf Fähnlein rückte auf die Stadtmauern, Fähnlein auf Fähnlein drängte gegen den Fluß herab.
Aber immer stolzer klang es über allen Tumult:
»Mein Schild und mein Vertrauen
Bist du, o Gott, mein Herr,
Auf dich so will ich bauen,
Verlaß mich nimmermehr,
Daß ich doch fromm mag bleiben,
Dir dienen zu aller Stund,
Die Tyrannei vertreiben,
Die mir mein Herz verwund’t.«
Tausend und aber tausend Herzen lauschten hinter den Mauern, die Paciotti um die Stadt Antwerpen baute, in süßem Zittern diesen Klängen; tausend und aber tausend Augen wurden darum feucht.
Nun aber galt kein Besinnen