Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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Herr Philipp von Spiegelberg und schob das Barett ein wenig zur Seite, um sich bequemer am Hinterkopf kratzen zu können. Dabei blickte er böse über die Schulter nach dem Schlosse zurück und seufzte:

      »Das weiß der liebe Gott!«

      Um seinen Ärger nicht noch zu steigern und den schönen Morgen sich nicht noch mehr verderben zu lassen, vermied er mit seinem Begleiter das Lager um den heiligen Born und gelangte, indem er einen Bogen um die Zelte, die Hütten und das schlafende Volk machte, unter die ersten, zerstreuten Bäume des Waldes am Bomberg. Hier atmete er freier auf, tat einen Sprung über wenigstens drei Büsche und drang mit den lustig bellenden Hunden und dem Eckenbrecher tiefer in das Gehölz ein. Allmählich schwand nun das Gefühl von Beklemmung, welches seit dem gestrigen Abend auf ihm lastete, der letzte Nachhall des Spukes, den die vergangene Nacht mit ihm getrieben hatte, aus seiner Seele. Laut jauchzte er auf in der Waldesfrische und wunderte sich im geheimen, wie ihn die Erscheinung jener fremden Maid so seltsam hatte erschrecken und erregen können. Fest nahm er sich vor, nach seiner Rückkehr ins Schloß sogleich kurzen Prozeß zu machen und das Mädchen noch an diesem selben Morgen dem fremden Arzte, welcher doch wohl recht haben konnte, über die Grenze nachzusenden. Hallo! Hussa! Eifrig folgte der Graf der Spur eines Wildes, welches die Hunde aufgescheucht hatten; aber das Getier, längst verschüchtert durch den ungewohnten Lärm der letzten Zeit, ließ sich nicht mehr so leichtlich überraschen wie früherhin; abgehetzt und schweißtriefend mußte Herr Philipp die Jagd aufgeben.

      »Weshalb das gute Wasser nur nicht bei den singenden, betenden, glockenläutenden Paderbornschen Pfaffen aufgesprungen ist?« rief er ärgerlich. »Denen wär’s ein gesundes Fressen gewesen! Die hätten es wahrlich besser brauchen können als der Graf zu Pyrmont! Die würden auf ihre Weise schon gesorgt haben, daß sie keinen Schaden dabei litten. Hoho, was haben die Hunde nun wieder? Ich tue keinen Schritt mehr ihnen nach. Ruf sie zurück, Klaus!«

      »Sie werden einen Fuchs wittern«, sagte Eckenbrecher und folgte dem Grafen, welcher ungeachtet seines letztausgesprochenen Vorsatzes bereits dem Gebell nachsprang.

      Nach fünf Minuten gelangten die beiden jungen Männer auf eine kleine Waldlichtung, wo sich ihren Augen ein unerwartetes Schauspiel darbot. Wütend umkreisten die Hunde ein kleines Zelt, welches hier aufgeschlagen war, und sprangen schnappend gegen einen ältlichen Mann an, welcher sich ihrer mit dem Kolben seiner Büchse kaum erwehren konnte. Ein anderer, jüngerer Mann, mit langem, schwarzem Bart und geschlossenen Augen, gekleidet in ein langes, schwarzes Gewand, welches um die Hüften durch einen feuerroten Gürtel zusammengehalten wurde, saß ruhig unter dem Zelt und schien sich nicht im mindesten um den Kampf seines Gefährten zu kümmern. Zwei Reitpferde und ein Lastpferd waren in der Nähe des Zeltes angebunden und benagten die herabhängenden Baumzweige.

      Auf den Ruf ihres Herrn ließen die Hunde von ihren Angriffen ab und zogen sich knurrend hinter den Klaus zurück.

      »Wer seid Ihr, und was treibt Ihr hier?« fragte der Graf ziemlich barsch, erbost über diese neue Beunruhigung seines Jagdgrundes. »Wer gab Euch die Erlaubnis, hier Euer Lager aufzuschlagen?«

      »Und wer seid Ihr, daß Ihr solche Fragen auf so schnöde Art stellet?« fragte der Mann unter dem Zelte.

      »Einer, der Euch hängen kann, wenn es ihm beliebt; Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont.«

      Der Mann, welcher mit den Hunden gekämpft hatte, zog betroffen den Hut ab und trat zurück. Der andere Mann, welcher unstreitig der Herr war, erhob sich.

      »Verzeihet, gnädiger Herr«, sprach er, indem er sich mit großer Würde verneigte, »mein Diener hat einen armen, blinden Mann zu schützen. Verzeihet meine Barschheit.«

      »Richtig, er ist blind! Wieder jemand, welchem der heilige Born helfen soll!« murmelte Klaus Eckenbrecher.

      »Wie nennet Ihr Euch?« fragte der gutmütige Herr Philipp, dessen Zorn sich bereits gelegt hatte.

      »Simon, gnädiger Herr.«

      »Simon? Wieder ein Simon? Gott schütze uns! … Und was treibet Ihr? Wer seid Ihr?«

      »Sie nennen mich Simon den Magier. Ich bin ein Arzt!«

      »Alle guten Geister – Klaus Eckenbrecher, ich gehe nicht mehr hervor aus dem Schloß, ohne den Kaplan auf den Fersen zu haben. – Und was wollt Ihr hier, Meister Simon?«

      »Die Kranken heilen, die Besessenen befreien, die Bezauberten erlösen! Der Herr hat mir große Macht gegeben.«

      »Der Teufel mag Euch große Macht gegeben haben!« brummte Klaus Eckenbrecher, der Skeptiker, leise; aber des Blinden scharfes Ohr hatte die Zweifel an seiner göttlichen Sendung doch vernommen.

      »Ich weiß nicht, wer Ihr seid, der da eben sprach: aber – ob vornehm oder gering, hütet Eure Zunge! Der Herr liebt es nicht, daß man seiner Begnadeten spotte.«

      Klaus Eckenbrecher, welcher sich vor dem bösen Feinde nicht ganz so sehr fürchtete wie ein Professor der Theologie oder ein Oberkonsistorialrat des neunzehnten Jahrhunderts, tat einen Pfiff und wollte eben antworten, als ihm der Graf zu schweigen befahl.

      »Und Ihr wollt auch, weiser Meister Simon, Euere geheime Kunst zeigen am heiligen Born zu Pyrmont?«

      »Nicht meine Kunst will ich der sündhaften Welt zeigen, sondern die Gnädigkeit des allerhöchsten Gottes.«

      »So will ich Euch nicht hindern. Aber ich selbst warne Euch nun, daß Ihr zuschauet, daß Euch gelehrte und fromme Männer nicht des Teufelsdienstes überweisen. Hütet Euch, ein Holzstoß ist baldigst aufgebaut.«

      »Ich werde mich hüten!« sprach der Blinde, und ein unmerkliches Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

      »Steiget also nieder ins Tal! Ihr sollt mir willkommen sein«, sagte der Graf. »Steigt hernieder, wir sind begierig, Eurer Kräfte und Künste zu genießen.«

      Simon der Magier verbeugte sich tief, und der Graf zog sich mit seinem Begleiter zurück. Hätte den beiden die aufgehende Sonne nicht so wohltuend und beruhigend auf die Köpfe geschienen, wer weiß, ob der Herr Graf zu Pyrmont trotz seiner Ritterlichkeit und Meister Klaus Eckenbrecher trotz seiner Wagehalsigkeit nicht ein leises Frösteln über den Körper und ein Kribbeln der Haare unter dem Barett gespürt haben würden. So aber eilten sie festen Schrittes durch den Wald; den Berg hinunter auf dem gradesten Wege dem Schlosse zu. Bald gelangten sie, aus dem Walde hervortretend, zu den Lagerstätten des Volkes, welche der Graf dieses Mal nicht vermied, obgleich nun das lebendigste Leben überall herrschte. Demütig drängte sich das Volk mit abgezogenen Hüten und Mützen an den Weg des Grundherrn und schielte nach einem gnädigen Blick oder einem Almosen. Es erhielt jedoch nichts von beiden, sondern der Graf schleuderte statt dessen mit einigen ärgerlichen Fußtritten verschiedenes Hausgerät, Körbe mit Lebensmitteln, Plunder und schreiende Kinder aus seinem Pfade fort und stieß seinen Büchsenkolben jedem ihm begegnenden arglosen Hunde so nachdrücklich in die Rippen, daß die Bestie jedesmal heulend davonflog.

      Auf diese Weise bahnte er sich seinen Weg und war fast in die Mitte des heiligen Angers gelangt, als ihn ein neues Abenteuer aufhielt. Zwischen dem gewöhnlichen Lärm und Tumult der Menge erklang auf einmal ein durchdringender Schrei, so ungewöhnlich, so schrill und herzzerreißend, daß im nächsten Augenblick sich die tiefste Stille über die drängenden Haufen legte, daß jedes Ohr in Schrecken horchte, ob dieser Schrei sich nicht wiederholen werde.

      Wirklich erklang er von neuem, und dann vernahm man einen wunderlichen, wildfremden Gesang, der in kurzen Absätzen von einem gellen, unnatürlichen Gelächter zerrissen wurde. Dann teilte sich dicht vor dem Grafen scheu das Volk, ein kreischendes, singendes, lachendes Weib sprang hervor und begann einen wilden, wahnsinnigen Tanz. Ihre Augen rollten, ihre gelösten Haare flogen, der Schaum stand ihr vor dem Mund. Das Volk sah im höchsten Entsetzen dem schrecklichen Schauspiel zu; der Graf und sein Reiter wußten nichts Besseres zu tun.

      Jetzt traten zwei Franziskanermönche, ihre Kreuze in den Händen erhebend, vor die Tänzerin hin, um den bösen Geist, von welchem sie dieselbe besessen glaubten, als tapfere geistliche Ritter zu bannen. Die Kruzifixe hielten sie ihr vor, Beschwörungsworte schrieen sie ihr zu.


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