Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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der heiligen Dreifaltigkeit, bei den Geheimnissen der Menschwerdung, bei der allerseligsten Jungfrau«, brüllte der eifrigste der Barfüßer, »Satan, maledico te in maledicta tua arte! – ich verfluche dich, Satan, in deiner verfluchten Kunst! Fahre aus, du höllischer Gast, welcher du dieses Weib marterst!«

      Wie vom Blitz getroffen stürzte plötzlich das Weib nieder und wand sich in Krämpfen auf dem Boden. Der andere Mönch kniete neben ihr nieder und legte sein am Rosenkranz befestigtes Kreuz auf das Haupt der sich im Staube Windenden:

      »Fahre aus, aus, aus, o irreverendissime et irreligiosissime! Hebe dich von diesem Weibe, so du quälest!«

      »Komm, Klaus, ich habe genug davon!« rief Herr Philipp von Spiegelberg. »Komm fort, sie laden mir sonst auch noch dieses unglückliche Geschöpf auf. Beim Teufel, das ist ein Segen, der auf mein armes Land gefallen ist! Aus dem Wege, wenn’s Euch beliebt, aus dem Wege sag ich!«

      Fort stürzte der Graf, und wiederum erklang hinter ihm der Schrei der Besessenen; atemlos, seufzend und mit den Zähnen knirschend kam der Spiegelberger in den Hallen seiner Ahnen wieder an.

      »Elsabe! Jadwiga! Kathinka! Fedora!« klang hier eine leider nur zu wohlbekannte Stimme ihm ins Ohr. Durch die Korridore des Schlosses stürzten die Dienerinnen; Fräulein Ursel von Spiegelberg, ebenso außer Atem wie ihr Bruder, eilte die Treppe empor: ihre kurfürstlichen Gnaden waren von ihrem alten Übel, dem Magenkrampf, befallen worden und schrieen aus vollem Halse und höchst gesunden Lungen nach Kraftwassern und heiß gemachten Topfdeckeln.

      »Bei meiner ritterlichen Ehre, wenn ich mir nicht vorkomme wie ein Hund voller Flöh und Fliegen, so will ich mich hängen lassen, wie ein –« rief der Graf, die Büchse an die Wand hängend. »O du heiliger Blasius, wie das Frauenzimmer schreit! … Wo ist die Walburg, du Affe?«

      Diese letztere Frage galt einem Adelbursen, der ihm in den Weg kam.

      »Im Schloßgarten pflückt sie Rosen«, lautete die Antwort, und seufzend sagte Graf Philipp:

      »Das Kind ist die einzige, welche noch ein leichtes Herz hat im Schloß Pyrmont; Gott möge es ihr gesegnen! Arme Ursula!«

      Trotz seinem Mißmut entwickelte der Spiegelberger beim einsamen Morgenimbiß im großen Saale einen tüchtigen Appetit, bis er zufällig in die Tasche griff und das zerknitterte Schreiben des Arztes Simone Spada hervorzog. In demselben Augenblick waren Hunger und Durst vergangen, der letzte Bissen blieb dem Grafen im Munde stecken.

      »O, o, o!« sagte er und versank in tiefes Sinnen und Grübeln, aus welchem er mit der Frage erwachte: ob man die Dirne im Turmgemach auch mit allem Nötigen versehen habe?

      Der Zauber, den er für alle Ewigkeit abgeschüttelt zu haben glaubte, hatte ihn mit dreimal stärkerer Gewalt gefaßt, und vergeblich waren alle Anstrengungen, sich seiner Macht zu entziehen. Auch die übrigen Vorkommnisse des Tages, als da waren; lange, lange, ziffernbedeckte Rechnungen des Haushofmeisters Plückebüdel, lange, lange, schöne Reden des Hauskaplans, kurze, spitzige Bemerkungen der Frau Hedwig von Brandenburg über Vernachlässigung, ferner die Botschaft des Stallmeisters über die Erkrankung eines Lieblingsrosses, ferner die Nachricht des Falkenierers von dem Unwohlsein des Lieblingsfalken – vermochten nicht mehr als des Grafen eigene Anstrengungen.

      Das Bild Faustas war wieder emporgestiegen und schwebte siegreich dem Grafen auf Schritt und Tritt voran.

      Gegen Abend war Philipp von Spiegelberg ganz in der Stimmung, an den blinden Simon und seine Kunst zu glauben.

      Und grade um die sechste Stunde des Nachmittags brach ein so gewaltiges Geschrei los am heiligen Born, daß die Bewohner des Schlosses Pyrmont, welche doch gewiß durch die letzten Wochen an gräßlichen Lärm und Getöse gewöhnt waren, erschreckt auffuhren und an die Fenster oder aus dem Tore stürzten, die Bedeutung dieses Geschreis zu erkunden. Das Getöse legte sich nur, um im nächsten Momente desto kräftiger anzuschwellen. Alle die Tausende, die um den Gesundbrunnen lagerten, waren in Bewegung, gestikulierten mit den Armen und Händen in der Luft und sperrten die Mäuler so weit als möglich auf:

      »Wunder! Wunder! Wunder! Simon Magus! Wunder! Simon Magus! Wunder! Wunder!«

      Simon der Blinde war am heiligen Born erschienen und hatte seine erste große Tat vollbracht. Simon der Blinde hatte den ersten Teufel ausgetrieben, und niemand war auf dem heiligen Anger, der daran zweifelte.

      »Wunder! Wunder! Wunder!«

      Und in dem Augenblick, wo dieses Wunder-Geschrei das Waldtal von Pyrmont erfüllte, hatte Herr Philipp von Spiegelberg den Schlüssel jenes Turmgemaches, welches man der schönen Fausta angewiesen hatte, gedreht und stand auf der Schwelle und hielt sich an den Pfosten der Tür. Besiegt hatte ihn der Zauber, die enge Wendeltreppe hatte er ihn heraufgezogen. Ein blauer Nebel, in welchem alle Gegenstände tanzten, welchen tausend Funken und Lichter durchsprühten, lag vor den Augen des jungen Grafen, als sich die Tür öffnete; ihm schwindelte, er befand sich in einem durchaus unzurechnungsfähigen Zustande, und Fausta La Tedesca – wußte, daß er kommen würde!

      Sie lag, wie es schien, im tiefsten, ruhigsten Schlummer auf ihrem Lager. In üppiger Pracht rollten ihre schwarzen Locken ihr über die Schultern. Halb auf die Seite gewendet lag sie da, und nur das regelmäßige Senken und Heben der Brust verkündete, daß Leben in dem herrlichen Bilde sei. Die linke Hand der Schläferin hing an der Seite des Lagers ein wenig herab – diese Hand, welche der große Meister Tiziano Vecelli da Cadore einst so bewundert hatte.

      Mit blödem Herzen und bestürztem Mute stand der Graf zu Pyrmont, der sich heute morgen vorgenommen hatte, »kurzen Prozeß zu machen mit der Fremden«, in der Tür, und würde noch lange Zeit so gestanden haben, wenn nicht sein ihm nachfolgender großer Wolfshund es für angemessen gehalten hätte, ebenfalls sich nach dem, was es in diesem Turmzimmer gab, umzuschauen. Gravitätisch schob er sich neben seinem Herrn durch, und ehe dieser es verhindern konnte, hatte der Hund seine kluge, feuchte Schnauze ausgestreckt und beschnüffelte vorsichtig, ohne sich etwas Arges dabei zu denken, die wundervolle Hand, welche Tizian Vecelli in mehr als einem herrlichen Bilde der Nachwelt aufbewahrt hat.

      Mit einem in romantischen Erzählungen selten so richtig und wohl begründeten Schrei fuhr die schöne Schlafende empor, strich mit der rechten Hand die wirren Locken aus der Stirn und zog mit der linken die herabgesunkenen Gewänder züchtig und schamhaft über dem Busen zusammen.

      Wie die unschuldigste Unschuld, aus dem Schlaf aufgeschreckt, den Störenden anschauen kann, so blickte Fausta La Tedesca zu dem Grafen empor, und dieser – gab seinem Hunde einen Fußtritt und sagte zu seiner Gefangenen: »Verzeihung!«, was sehr viel war für einen Grafen des Heiligen Römischen Reiches einer Landstreicherin gegenüber.

      »Und guten Tag!« setzte er hinzu, wodurch er klärlich bewies, daß die Männer in außergewöhnlichen Fällen und Vorkommnissen damals schon ebenso geistreich sein konnten wie heutzutage.

      Die Weiber wissen sich seit Evas Apfelbiß bei derartigen Gelegenheiten viel besser zu benehmen. Schon hatte sich die schöne Fausta dem Herrn Philipp zu Füßen gestürzt. Sie schluchzte, rang die Hände, stieß unverständliche Worte und Sätze hervor und drohte in Ohnmacht zu fallen, welches letztere sie jedoch aus uns unbekannten Gründen nicht tat. So verblüfft und ratlos wie möglich machte sie den guten, ehrlichen, blondlockigen deutschen Tölpel.

      Die große Vagabondin hatte ihre Rolle gut durchdacht und spielte sie noch besser.

      Fausta La Tedesca, welche in Bologna, in Venedig, in Padua, in Rom, in Neapel alle Männer durch Schönheit und Geist bezwungen hatte, Fausta La Tedesca zwang den deutschen Grafen durch Schönheit und gut dargestellte Verzweiflung und Verrücktheit.

      Großartig, herrlich war sie in ihrem Wahnsinn! Herrn Philipp von Spiegelberg standen die Haare zu Berge – er rief nach Hülfe, nach seinem Hauskaplan, nach seinen Schwestern, er rief nach Simon dem Blinden, nach Simon dem Magier!

      Ja, nach Simon dem Teufelsbanner rief der Graf, und – »Wunder! Wunder! Wunder!« schrie das Volk am heiligen Born über denselben Teufelsbanner, welcher eben das unglückliche Weib, das heute morgen auf dem heiligen Anger angekommen war, aus den Krallen


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