Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
gerade aus die enge Gasse hinunter und in die Thür der Schmiede des Meisters Martin Bart, man hört die Hämmer, man sieht das Herdfeuer und den Leutnant on half pay auf seiner Bank – – –
Da bin ich wieder in der Schmiede, Sever! Ach Sever, ich kann nichts dafür. Diese Schmiede hat mich behext; – es muß wohl im Blute liegen, mein Urgroßvater war ein Schmied, und ich wär’s gern, gern ebenfalls geworden, wenn meine Mutter nicht höher mit mir hinaus gewollt hätte, und so ein Gelehrter aus mir geworden wäre.
Nun Sever, ich sehe das Gesicht, welches Du schneidest, ganz klar vor mir und befinde mich schon wieder in meiner Schulstube und frage zum zehntenmal an dem heißen Nachmittag nach dem Futurum Indicativi Activi irgend eines beliebigen leidigen lateinischen Zeitwortes, – und durch das Trillern der Lerchen über mir höre ich die schläfrige, greinende Stimme des aufsagenden Buben:
» Amabo, ich werde lieben,
amabis, du wirst lieben,
amabit, er wird lieben,
amabimus, wir werden lieben,
amabitis, ihr werdet lieben,
amabunt, sie werden lieben.«
O diese Fliegen, diese Wolken von Fliegen, welche die Schulstube füllen! Und man muß die Bengel, welche Jagd darauf machen, gar noch zur Ordnung rufen! –
Was sollte ich auch in der Schmiede, Sever? Der Meister Bart, der Braunschweiger und der Lehrbursche haben lange nicht das Interesse für mich, als der Leutnant der Legion, und dieser bringt sein krankes Pflegekind in den Wald, und auf seiner Bank an der Thür finde ich höchstens einen Sachsenhagener Philister, welcher über die schlechten Zeiten klagt und die Schlachten der vergangenen noch einmal und besser schlägt. Wo mag der Trautenstein, der stille Ort im Gebirge, wohin man das Ännchen geführt hat, wohl liegen? … Mitten im Gebirge, sagt man. –
Wie die Lerche in der blauen Luft jubelt, wie die segenschweren Ähren nicken, wie der Wald hinter mir leise rauscht! Augen und Ohren muß ich zuschließen, um die widerspenstigen Gedanken von neuem in die dumpfe Schulstube einsperren zu können. Wäre der Blick durch das Fenster nicht, so – – – – – – – – – – O Sever, zwei Ziegen und drei Schafe gehen in dem hohen Grase des Wiesenthales, und oft schwebt durch den Sonnenglanz und die schläfrige lateinische Stunde das allerlieblichste Bild. Die Annie ist durch die Totenpforte geschlüpft, die Annie, welche die deutsche Sonne nicht fürchtet. Drunten am Bache wandelt sie. Manchmal bückt sie sich nach einer Blume, manchmal sitzt sie wohl eine Viertelstunde lang unbeweglich und blickt nieder in den wellenlosen Spiegel des Bachs. Keine Blume, die ihr Köpfchen über das Wasser hängt, ist lieblicher als das Ännchen aus der Schmiede von Sachsenhagen.
Ich kann es nicht leugnen, Sever; während meine Knaben das Verbum amare konjugieren, verwende ich nicht den Blick von der elfenhaften Gestalt drunten in der grünen Tiefe. Aber es ist doch nicht Liebe, was mich zu ihr hinzieht, – sei unbesorgt, Severus! Ich sehe, wie die Ziegen und Schafe der Poggenmühle, welche an dem Wiesenbache weiden, kommen und ihr die Hände lecken.
Trotz der Hitze ist es mir leid, wenn die Glocke vier schlägt, und der Kollaborator das Buch zuschlagen muß. Ein großes Getöse des Aufbruchs erfüllt nun die Klasse, und hinter der rechten und linken Zimmerwand summt, brummt, poltert und trappelt es ebenfalls. Allgemeines Herausstürzen aus den dumpfen Schulstuben, – ein hundertstimmiges Jauchzen.
Die Kollegen treffen sich auf dem Korridore und fächeln die Stirnen mit Taschentüchern und seufzen: »Gottlob!« Alle sehen aus, als hätten sie kaum noch Kraft, das Haus und den Kaffeetopf, den die Kollega bereit hält, zu erreichen. Nur der Quintus scheidet fast ungern von seinem Katheder, aber er darf doch nicht allein in seiner leeren Klasse bleiben. Noch einen Blick durch das Fenster, während er seine Bücher zusammensucht! Dann schreitet er, dem Schatten der Linden und Kastanien, dem Schatten der Stiftskirche folgend, unter den Augen seiner Scholaren und seiner Frau Rektorin gesetzten Schrittes seiner Wohnung zu. Hat er aber seine Hausflur erreicht, o, wie schüttelt er dann jegliche Gravitas von sich ab, gleich der schwersten Bürde. Mit drei Sätzen springt er die Treppe hinauf, wirft seine Bücher, seinen Rock weit von sich und sich selbst der Länge nach auf sein baufälliges, knackendes Lotterbett. Die Arme legt er unter den Kopf, die Augen schließt er, im Halbschlaf konjugiert er:
amo, amare – amor, amari. –
Und aus dem Grase springt der Kollaborator in die Höhe. Wie kann er auf solche unverantwortliche Art die Zeit verträumen?
Ferien! Ferien! Ferien und Sonnenschein und wolkenloser Himmel!
Hinter dem Walde liegt das blaue Gebirge; – nur wenn die Häupter der Ähren am tiefsten durch den Wind geneigt werden, tauchen vor mir die blitzenden Turmknöpfe von Sachsenhagen auf. Auch dahinter erheben sich Berge mit Winken und Locken: Komm, komm Schulmeisterlein, wir halten und haben alles, wonach Dein Herz verlangt, grünen Schatten, murmelnde Quellen, Elfen in dem Schatten, Nixen in den Bächen; – komm Schulmeisterlein, schnüre den Ranzen und nimm den Wanderstab in die Hand. Wir erwarten Dich, und unsere süßesten Geheimnisse sollen Dir offenbart werden. In unserm romantischen Dunkel sollst Du verborgene Schätze graben; – komm, ahnungsvoll und frohmütig – wir erwarten Dich, zaudere nicht!
So fahre wohl, Severus, finsterer Freund, und schlage Dir nicht Deine Welt mit schwarzem Trauertuch aus, wie die altenglischen Tragöden ihre Bühne, wenn sie ein Trauerspiel geben wollten.
Was Deine Frage betrifft, so erinnere ich mich, irgendwo gelesen zu haben, daß ein Doktor Hieronymus Bonaparte um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu Novara im Mailändischen gelebt hat. Der Mann hat Bücher geschrieben über Empirie und Krisen. Der Titel des einen Werkes ist: Annotationes in Galeni libros de crisibus. Venet. 1547. 4°. –
Lebe wohl!
F.
Achter Brief.
Auf der Wanderung.
Glücklich die Leute, welchen das Datum so gleichgültig ist, daß sie es nie wissen. Ich gehöre jetzt vierzehn Tage zu diesen Glücklichen, Sever, und fühle mich unsäglich wohl, frei und leicht. Jetzt kann ich’s Dir wohl gestehen, Freund, es hatte sich doch mancherlei seit meinem Einzuge in Sachsenhagen auf meiner Brust aufgehäuft, was mich schwerer drückte, als ich mir habe merken lassen. Auch Deine Briefe sind mit schuld daran gewesen, daß der Kollaborator Fritz Wolkenjäger die Nase tiefer gegen den Erdboden gesenkt trug, als sonst seine Gewohnheit ist. Wahrlich, Sever, so lange ich unter den Menschen weilte und durch jedes Lebensbedürfnis an sie gekettet wurde, habe ich in verlorenen Momenten mit Dir gefühlt, daß die Gemeinheit eine schreckliche Herrscherin ist. Da habe ich Dir oft, oft, oft mit Seufzen recht geben müssen in Deinen grimmigen Auslassungen; mit Dir habe ich verzweifelt an dem Einzelnen, mit Dir habe ich verzweifelt an dem Vaterlande. Die uralte schreckliche Klage habe ich angestimmt:
Endlich empor zum Olympos vom weitumwanderten Erdreich
Beid’ in weiße Gewänder den schönen Leib sich verhüllend.
Gehn von den Menschen hinweg in der ewigen Götter Versammlung;
Scham und heilige Scheu und zurück bleibt trauriges Elend Hier den sterblichen Menschen und nicht ist Rettung dem Unheil.
Ja, Sever, in der Menschen kleinlichem Getümmel, in dem selbstsüchtigen Kampfe des Ichs mit dem Ich habe ich mit Dir gefragt, weshalb eben die Hunderttausende geblutet, weshalb die Mütter und Jungfrauen geweint und geklagt haben. Auch auf meiner Brust hat sich die Schmach und Niederträchtigkeit, die sich von neuem auf der Zeit häuft, gleich einem unerträglichen Alp gesammelt. Mit Dir, Sever, habe ich gesehen, daß sie um das Gewand der alten Mutter Germania würfeln, wie die Kriegsknechte um den Rock des Herrn. Mit Dir, Sever, habe ich ihrem Schachern, Lächeln und Flüstern gelauscht, und ohnmächtig die Hände sinken lassen, wo Du sie ohnmächtig ballst.
O Sever, Sever, mit Dir habe ich gefragt, wie kommende Geschlechter