Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
Der Abbé nahm seine Prise, der Alte schlug ein Schnippchen, und der Taugenichts hielt die Rose vor den höhnischen Mund.
Bis jetzt war das Fechten ein Spiel gewesen, bei welchem nichts herauskommen konnte, da jeder mit Leichtigkeit die Stöße des andern übersah und parierte. Die scharfgeschliffenen Spitzen, welche vor ihren Augen herumflirrten, übten aber eine unwiderstehliche Lockung, und beide gingen fast gleichzeitig in ein rascheres Tempo über. Heinrich, welcher der Hitzigere und Betörtere war, in welchem auch eine Menge Weines glühte, wurde noch ungestümer und entschiedener, und unversehens trat Lys mit einem leisen Schrei einen Schritt zurück und sank dann auf einen Stuhl.
Er war in die rechte Seite getroffen, das Blut tropfte erst langsam durch das weiße Kleid, bis der Arzt die Wunde untersuchte und offenhielt, worauf es in vollen Strömen sich ergoß. Nach einigen Minuten, während welcher Ferdinand sich munter und aufrecht hielt, beruhigte der Arzt die Anwesenden möglichst und erklärte die Verletzung zwar für gefährlich und bedenklich, aber nicht für unbedingt tödlich. Die Lunge sei verletzt, und alle Hoffnungen oder Befürchtungen eines solchen Falles müßten mit ruhiger Vorsicht abgewartet werden.
Heinrich hörte dies aber nicht, obgleich er dicht bei dem Verwundeten stand und denselben umfaßt hielt. Er war nun totenbleich und sah sich ganz verwundert um. Die Kraft verließ ihn, und er mußte sich selbst auf einen Stuhl setzen, wo er wie durch einen Traum hindurch das rote Blut fließen sah.
Erikson, welchen es trieb, die Freunde aufzusuchen und, da er sich nun geborgen sah, in gemütlichem Scherze den verunglückten Ferdinand zu trösten und etwas zu hänseln, trat jetzt ein und sah mit Schrecken das angerichtete Unheil, nicht wissend, was es bedeute.
»Was zum Teufel treibt ihr denn da?« rief er und eilte bestürzt und besorgt auf Ferdinand zu.
»Nichts weiter«, sagte dieser schmerzlich lächelnd, »der grüne Heinrich hat nur die Feder, mit welcher er seine Jugendgeschichte geschrieben, an meiner Lunge ausgewischt – ein komischer Kauz –«
Weiter konnte er nicht sprechen, da ihm Blut aus dem Munde drang und eine tiefe Ohnmacht ihn befiel.
Vierter Band
Erstes Kapitel
Da der wunderliche Zweikampf in Ferdinands Wohnung vorgefallen war und der schwer Verwundete ohne Aufsehen daselbst gepflegt wurde, so konnte der unglückliche Vorfall ohne Mühe gänzlich geheimgehalten werden. Es wurde ausgesagt, Lys habe eine Reise angetreten, und Heinrich hielt sich ebenfalls in seiner Werkstatt verschlossen, ohne sich sehen zu lassen.
Agnes saß in trostloser Traurigkeit in ihrem Häuschen; sie hatte die vorgebliche Abreise Ferdinands vernommen, daß er weit, weit fortgegangen sei, und wähnte der alleinige Grund dieser plötzlichen Entfernung zu sein. In der Stadt hatte sich das Gerücht gebildet, daß das seltsame Mädchen sich an dem Feste höchst leidenschaftlich und ungebärdig übernommen, sich berauscht und so den reichen Holländer, dessen Hand ihr schon sicher gewesen sei, von sich abgeschreckt und zu eiliger Flucht bewogen hätte. Diese Sage drang auch in ihr Haus, die zornige Mutter, welche eine geborgene glanzvolle Zukunft sich entschwinden sah, überhäufte die Arme mit ihren singenden monotonen Vorwürfen, und so saß Agnes, welche selbst einen Teil dieses Geredes für wahr hielt und sich schuldig glaubte, voll Scham und Furcht und in verlorner Sehnsucht da.
Da Heinrich in jener Nacht über dem Streite mit Ferdinand ganz seine Absicht vergessen hatte, Agnesens Mutter von dem Unfalle zu benachrichtigen, und also weder diese noch Ferdinand, noch Heinrich wieder in dem Landhause erschienen, so hatte sich das verlassene Mädchen aufgerafft und entschieden begehrt, in die Stadt gebracht zu werden. Sie war daher in einen Wagen gesetzt und durch die Gärtnersfrau begleitet worden. Überdies hatte sich der rheinische Gottesmacher auf den Bock gesetzt und war treulich besorgt gewesen, die kranke Schöne in ihrer Behausung unterzubringen.
Als einige Tage verflossen waren und die Blume jenes Gerüchtes völlig aufgegangen, versammelte der Gottesmacher einige Musikgenossen, mit welchen er gewöhnlich Quartett spielte, und übte mit ihnen einen ganzen Tag lang. Am Abend führte er sie vor Agnesens kunstreiches Häuschen; der Violoncellist, welcher ein Landschafter war, hatte seinen Feldstuhl mitgenommen und setzte sich auf denselben zum Spiele, die anderen drei standen neben ihm, und nachdem sie leise und sorgfältig die Saiten gestimmt, erklangen die harmonischen, gehaltenen Töne der Geigen über den kleinen, stillen Platz. Augenblicklich öffneten sich alle Fenster in der Runde, die Nachbaren steckten neugierig entzückt die Köpfe in die laue Märznacht hinaus, und die Frauen und Mädchen spähten, wem die unerwartete Serenade gelten möchte.
Die Musiker spielten einige ernste, klagende Stellen aus älteren Tonwerken, deren edle, kräftige Unbefangenheit süß und wohllautend das helle Mondlicht durchklang und in ihrer klaren Bestimmtheit mit den scharfen Umrissen der voll beleuchteten Gegenstände wetteiferte. Agnes saß zuhinterst in der matt erleuchteten Stube; die schöne Musik tönte in ihren dumpfen Schmerz hinein, sie erhob das schwere Köpfchen und lauschte alsobald mit kindlich neugierigem Wohlbehagen den Tönen, ohne sich zu wundern noch zu kümmern, woher sie kämen. Ihre Mutter dagegen eilte ans Fenster, und sobald sie sich überzeugt hatte, daß die Herren nur an ihr Haus hinaufspielten, rief sie »Bei Marias Hilf und frommer Fürbitte! Wir haben ein Ständchen! Wir haben ein Ständchen!« Sie zündete sogleich die zwei rosenroten Wachskerzen an, welche sonst immer wie Altarleuchter vor ihrem Bildnisse standen, und stellte dieselben feierlich auf den Tisch, damit jedermann an der hell erleuchteten Stube sehen sollte, wem die Musik gelte. Dann zog sie ihre Tochter, die sie kurz vorher gescholten hatte, freundlich zum Fenster, und Agnes sah lächelnd auf die freundlichen Musiker nieder. Diese gingen nun in einen raschern Takt und in hellere Weisen über, und nachdem sie dieselben mit kräftigem Bogenstrich geschlossen, begannen sie plötzlich, ebenso geübt im Gesange wie im Spiel, ein vierstimmiges Frühlingslied zu singen, daß der wohltönende Gesang heiter in die Lüfte stieg. Sie begleiteten sich selbst auf ihren Instrumenten, bald mit zartem Bogenstrich, bald mit der Hand die Saiten rührend.
In der zarten und doch festen Tüchtigkeit dieses Vortrages tat sich ein wohlbestelltes Gemüt kund, und die zusammenklingenden Männerstimmen richteten Agnesens Seelchen auf und drangen mit ehrendem und tröstendem Schmeicheln in ihr verzagtes Blut.
Sie errötete freundlich und schlief diese Nacht wieder zum ersten Mal froh und ruhig, in beiden zierlichen Ohrmuscheln die wohltuenden Töne bewahrend.
Am andern Tage fand sich der Gottesmacher im Häuschen der Malerswitwe ein und stellte sich als den Urheber des nächtlichen Konzertes vor. Die Alte errötete noch mehr als ihre Tochter, und alle drei befanden sich in einiger Verlegenheit. Um diese zu unterbrechen, erbat sich der Rheinländer Entschuldigung für die Freiheit, die er sich genommen, so ohne weiteres mit einer Nachtmusik aufzuwarten, und zugleich die Erlaubnis, seine Besuche fortsetzen zu dürfen. Diese wurde ihm gewährt; das junge Mädchen fand sich durch die musikalische Ehrenrettung aus einer peinvollen und öden Lage erlöst; sie fühlte nun reiner das süßherbe Weh des Liebesunglückes, und in ihr Leid um Ferdinand Lys mischte sich mit nicht abzuwehrender Wärme die Dankbarkeit gegen den wohlgesinnten Gottesmacher.
Dieser brachte mehrere Male seine Freunde samt den Instrumenten mit und führte mit ihnen in Agnesens Wohnung kleine Konzerte auf, denen niemand zuhörte als sie und ihre Mutter. Die klare Musik, die wohlgemessenen Töne hellten ihren Geist auf und erweckten reifende, bewußte Gedanken in ihr, so daß eine ernste Haltung, ein inhaltsvollerer Blick mit ihrer Kindlichkeit und ihrem naiven Wesen sich mit großem Reize vereinigten.
Als eines Abends der Gottesmacher sich mit seinen Freunden entfernt hatte, kehrte er gleich darauf allein zurück und in sonderbarer angenehmer Aufregung, und indem er einen glänzenden Blick auf die reizende Gestalt des Mädchens warf, küßte er der Mutter die Hand, nahm sich zusammen und hielt, im