Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер


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unseren Fluren zu ahnen und sie mit dem armen Volke in den geschmückten Tempeln zu verehren, in denen wir so wohl zu Hause sind, als uns den Kopf zu zerbrechen und für das, was uns beglückt, gelehrte heidnische Namen oder gar nur tönende Worte zu gebrauchen? Wenn ich erst einmal anfinge, mich in solche Dinge einzulassen, so hätte ich nicht mehr Zeit, mein Silber zu treiben; denn mein Kopf ist nicht zu leichten Übergängen eingerichtet und muß alles gründlich einüben. Also schlage ich vor, daß wir uns diese Sache nicht unnötig schwer machen, vielmehr dieselbe, sozusagen, der Heiligen Jungfrau selbst überlassen! Was jenen unglücklichen Verräter betrifft, so wage ich zu hoffen, daß ich sein Andenken je länger, je weniger zu fürchten brauche, ja sogar daß das Bestreben, in Glauben oder Unglauben zu gefallen, eines Tages sich mir gänzlich zuwenden werde; denn ich fühle eine solche Ganzheit und Sicherheit der Liebe zu dir in mir, daß ich mir Meisterschaft und Kunst genug zutraue, den Lauf deines Geblütes endlich ganz zu meinen Gunsten zu lenken!«

      Agnes blickte während dieser Worte wieder vor sich nieder, ohne den Mund zu verziehen, wie in tiefen Gedanken verloren; doch dann stand sie auf und küßte den Gottesmacher mehrere Male auf den Mund.

      Es wurde nun beschlossen, gleich mit dem Beginne des Frühlings die Hochzeit zu begehen und nach dem Rheine zu ziehen, was auch alles auf das beste geschah, und der Gottesmacher war und blieb so glücklich, daß daraus notwendig auf Agnesens eigenes Glück zu schließen war. Ihre Mutter war erst in der großen belebten Stadt geblieben, da ihrem eiteln Sinne dieselbe zur Unterlage nötig schien; auch hoffte sie im geheimen durch die Abwesenheit der störenden Schönheit ihrer Tochter noch einen stillen und erbaulichen Nachsommer ihrer eigenen Person zu genießen, wenn auch nur vor sich selbst und angesichts ihres Bildes. Aber bald mußte sie zu ihrem Schrecken erfahren, daß ihr Licht nicht mehr genugsam leuchtete und daß sie, ohne es zu wissen, schon bislang im Widerschein von ihres Kindes Schönheit geatmet hatte. Sie fühlte sich einsam, alt und verwelkt, mehr als sie es im Grunde war, erhob einen großen Jammer, bis sie zu dem jungen Paare reisen konnte, und es war rührend zu sehen, wie sie sich klagend beeilte, nur wieder in den Bereich der lugend und Schönheit zu kommen, die lugend von ihrer Jugend und Schönheit von ihrer Schönheit war.

      Ehe aber das seltsam erregte Paar abgereist, hatte es auf den besondern Wunsch Agnesens den abgeschlossenen Heinrich aufgesucht, um sich bei ihm zu verabschieden.

      Die erste Gefahr in Ferdinands Zustande war einstweilen vorüber, und der Verwundete ging einer leidlichen Herstellung entgegen. Heinrich hatte ihn aber noch nicht wieder gesehen. Eine tiefe Verwirrung und Scham, welche ihn in der starken Abspannung nach jenen aufgeregten Tagen befiel, mischte sich mit einer Art trotziger Scheu, sich an das Krankenbett zu drängen, und als die Lebenskräfte des Kranken sich wieder gesammelt, fragte er wohl nach Heinrich, aber er verlangte ihn nicht zu sehen. Ein bitteres Schmollen waltete zwischen beiden, welches zwar bei jedem mehr gegen sich selbst gerichtet war, aber doch den andern mit hineinzog, da ohne denselben die begangene gefährliche Torheit nicht möglich geworden wäre. Und wie eine sündliche Torheit, in Aufregung und Verblendung hereingebrochen und für einmal noch, gnädig ablaufend, doch den Vorhang lüftet vor einem unliebsamen Dunkel, das in uns zu wogen scheint, so zeigte das Vorgefallene dem melancholischen grünen Heinrich eine dunkle Leere in sich selber, in welcher seine eigene Gestalt, mit tausend Fehlern und Irrtümern behaftet, ganz unleidlich auf- und niedertauchte.

      Er wohnte längst nicht mehr in jenem behaglichen Stübchen, das er bei seiner Ankunft gemietet, sondern in einem großen saalartigen Raume mit hohen grauen Wänden, der durch ein mächtiges helles Fenster erleuchtet war. Seine ungeheuerlichen Kartons mit den abenteuerlichen Kompositionen, die großen blassen Bilder auf Leinwand bildeten zusammen ein Labyrinth von verschiedenen helldunklen Gelassen und Winkeln, als ob eine kolossale spanische Wand, mit spanischen Schlössern bemalt, sich durch den Raum zöge. Der einzige Luxusgegenstand im Zimmer war ein mächtiges breites Sofa, das aber ganz mit Papier und Büchern bedeckt war und dadurch verriet, daß der junge Bewohner Sich noch stramm und aufrecht zu halten gewohnt war und trotz seiner Melancholie keines Lotterbettes bedurfte. Sonst war jede Zierlichkeit und Fülle vermieden; auf ein paar wackeligen Tischchen lagen bestäubt die Geräte Heinrichs, auf dem Boden seine Mappen, die Wände waren kahl und öde, und wenn er früher einer museumartigen Fülle, einer beschaulichen Kramseligkeit bedurft hatte, um sich zu gefallen, so schien er jetzt mit einer düsteren Leere und Schmucklosigkeit zu kokettieren. Nur ein etwa anderthalb Fuß hoher borghesischer Fechter, trefflich gearbeitet, aber vielfach beschädigt und beräuchert, stand in einer Ecke auf dem Boden, und von der Fensternische herab hing zerrissen und verdorrt eine große Efeuranke. Auf der kahlen Mauer, wo der Efeu früher in die Höhe gewachsen, sah man dieselbe Ranke mit Kohle höchst sorgfältig und reinlich nachgezeichnet, nämlich nach den Umrissen des Schattens, welchen der Efeu einst in der frühen Morgensonne auf die Mauer geworfen hatte.

      Aber diese Spur eines melancholischen Müßigganges war noch höchst heiter und tüchtig zu nennen im Vergleich zu einer anderen, welche in Heinrichs Werkstatt zu entdecken war oder vielmehr dem ersten Blicke auffiel. Unter den großen Schildereien ragte besonders ein wenigstens acht Fuß langer und entsprechend hoher Rahmen hervor, mit grauem Papiere bespannt, der auf einer mächtigen Staffelei im vollen Lichte stand. Am Fuße desselben war mit Kohle ein Vordergrund angefangen, und einige Föhrenstämme, mit zwei leichten Strichen angegeben, stiegen in die Höhe. Davon war einiges bereits mit der Schilffeder markiert, dann schien die Arbeit stehengeblieben. Über den ganzen übrigen leeren Raum schien ein ungeheures graues Spinnennetz zu hangen, welches sich aber bei näherer Untersuchung als die sonderbarste Arbeit von der Welt auswies. An eine gedankenlose Kritzelei, welche Heinrich in einer Ecke angebracht, um die Feder zu proben, hatte sich nach und nach ein unendliches Gewebe von Federstrichen angesetzt, welches er jeden Tag und fast jede Stunde in zerstreutem Hinbrüten weiterspann, so daß es nun den größten Teil des Rahmens bedeckte. Betrachtete man das Wirrsal noch genauer, so entdeckte man den bewunderungswertesten Zusammenhang, den löblichsten Fleiß darin, indem es in einem fortgesetzten Zuge von Federstrichen und Krümmungen, welche vielleicht Tausende von Ellen ausmachten, ein Labyrinth bildete, das vom Anfangspunkte bis zum Ende zu verfolgen war. Zuweilen zeigte sich eine neue Manier, gewissermaßen eine neue Epoche der Arbeit, neue Muster und Motive, oft sehr zart und anmutig, tauchten auf, und wenn die Summe der Aufmerksamkeit, Zweckmäßigkeit und Beharrlichkeit, welche zu dieser unsinnigen Mosaik erforderlich war, verbunden mit Heinrichs gesammeltem Talente, auf eine wirkliche Arbeit verwendet worden wäre, so hätte er ein Meisterwerk liefern müssen. Nur hier und da zeigten sich kleinere oder größere Stockungen, gewissermaßen Verknotungen in diesen Irrgängen einer zerstreuten, gramseligen Seele, und die sorgsame und kluge Art, wie sich die Federspitze aus der Verlegenheit zu ziehen gesucht, bewies deutlich, daß das träumende Bewußtsein Heinrichs aus irgendeiner Patsche hinauszukommen suchte.

      Schon seit vielen Wochen hatte er jeden Tag zur eigentlichen Arbeit angehoben und war alsobald, ohne es zu wissen noch zu wollen, in dunklem Selbstvergessen an die Fortsetzung der kolossalen Kritzelei geraten, und er arbeitete eben wieder mit eingeschlummerter Seele, aber großem Fleiß und Scharfsinn an derselben, als an die Tür geklopft wurde.

      Er erschrak heftig und fuhr zusammen, als ob er über einem Verbrechen ertappt wäre. Agnes und ihr Bräutigam traten herein, und kaum hatte man sich begrüßt, so erschien Erikson mit seiner nunmehrigen Frau Rosalie, und Heinrich sah sich von Geräusch, Leben und Schönheit wachgerüttelt. Er hatte weder von Eriksons Hochzeit als von Agnesens Verlobung etwas gewußt, und der Zufall wollte, daß beide Paare am folgenden Tage abreisen wollten, das eine nach dem Rheine, das andere nach Italien.

      »Meine Frau«, sagte Erikson, »bestand darauf, mit hinaufzukommen, als ich, unten vorbeigehend, mich beurlauben wollte, um dir adieu zu sagen. Wir bleiben bis zum Juni im Süden, dann gehen wir durch Frankreich nach dem Norden, streichen in meiner Heimat herum und sehen, wo wir da einmal leben wollen. Vielleicht in einer Seestadt, etwa Hamburg. Hernach besuchst du uns auf einige Zeit, wir wollen dich protegieren und ein bißchen zurechtstutzen!« Rosalie unterbrach ihn und verlangte auf das freundlichste von Heinrich das Versprechen, daß er sie aufsuchen werde, und Agnes nebst dem Gottesmacher begehrten, daß er jedenfalls den Rhein hinunterfahren und auch sie besuchen solle.

      Inzwischen hatte sich Erikson vor die Staffelei gestellt und betrachtete höchst verwundert Heinrichs neuste Arbeit. Dann betrachtete


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