OPERATION ISKARIOT (Die Ritter des Vatikan 3). Rick Jones

OPERATION ISKARIOT (Die Ritter des Vatikan 3) - Rick Jones


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behauptest du das?«

      Der ehemalige Söldner starrte ihm direkt in die Augen. »Jemand, der jammert, dass er die Uhr zurückdrehen und noch einmal ganz neu anfangen will, hat meiner Meinung nach den falschen Lebensweg eingeschlagen. Kein Tag vergeht, ohne dass ich mir wünsche, alles wieder von vorn machen zu können.«

      »Aber besteht das Leben nicht auch aus Herausforderungen?«

      »Schon, Vater, doch mein Leben ist leider schon vor Jahren in die Binsen gegangen.«

      »In die Binsen?«

      »Das heißt, dass etwas verloren gegangen ist und man sich bemühen kann, wie man will, es aber trotzdem nie wiederbekommen wird.«

      »Folglich hältst du dich also für verloren, ja?«

      »Schon eine ganze Weile.«

      »Du weißt aber, dass ein Eingeständnis der Seele guttut, oder? Es eröffnet bereits den Weg zur Erlösung.«

      »Ach was, sogar Gott weist diejenigen ab, die sich um nichts mehr kümmern und gleichgültig sind.« Er schaute den Priester an. »Ich habe schreckliche Taten begangen, Vater. So schrecklich, dass Gott mich in der ersten Klasse zur Hölle fahren lassen würde, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.«

      »Niemand kann derart verkommen sein.«

      »Doch.« Als der Obdachlose näher an ihn herantrat, drang dem Priester sein Körpergeruch in die Nase, den er abstrahlte wie Asphalt die Wärme an einem heißen Sommertag. »Ich habe Morde verübt, Vater. Ich habe ungestraft Unschuldige getötet, weil sie mir im Weg standen. Und soll ich dir noch etwas sagen?«

      Der Fremde verharrte ruhig.

      »Es hat mir gefallen!«, fuhr McMullen fort. »Es hat mir sogar sehr gefallen.«

      Der Priester hob langsam eine Hand, um den Obdachlosen zum Weitergehen aufzufordern.

      »Was? Keine einzige Bemerkung dazu?«

      Nun seufzte der Mann. »Auch Mörder schlagen diesen Lebensweg nicht freiwillig ein.«

      »Ich habe doch gesagt, dass es nicht freiwillig geschah, sondern Schicksal war.«

      »Du bereust also nichts davon? Kein bisschen?«

      McMullen stockte beim Gehen kurz und hielt wieder inne. »Mit der Zeit bekam ich tatsächlich Schuldgefühle«, gestand er. »Und fand deshalb mein Seelenheil in der Flasche. Das tue ich noch immer.«

      »Alkohol kann Gott aber nicht ersetzen.«

      »Für mich schon.« Er blieb abermals stehen und sah den Priester intensiv an. »Es artete so sehr aus, dass ich schließlich die Gesichter derer sah, die ich ermordet hatte, und ihre entsetzten Blicke, ihr Schluchzen und Flehen hörte; das hat mich innerlich zerfressen wie Krebs. Klar, ich war dem Saufen niemals abgeneigt, doch es wurde irgendwann so extrem, dass es mir dabei half, die Erinnerungen zu verdrängen und meinen Alltag zu bewältigen.« Er ging weiter. »Aus diesem Grund will auch niemand einem Penner wie mir Arbeit oder eine Chance geben. Keiner stellt jemanden ein, der ohne zu trinken, nichts auf die Reihe kriegt. Ich habe mein schlechtes Gewissen letzten Endes nur gegen den Teufel Alkohol eingetauscht.«

      Die Kirche stand an der Ecke von Bridger und Fourth Street. Eine Gasse trennte das Gelände nach mehreren Yards von einer Hochzeitskapelle, die nicht mehr benutzt wurde.

      »Dort entlang geht es zum Hintereingang«, sagte der Priester.

      »Wie viele Informationen willst du denn noch?«

      Er antwortete nicht, als sie den Weg zur Rückseite der Kirche zurücklegten, die mit einem Tor abgesperrt war.

      »Ich fürchte, ich habe den Schlüssel vergessen«, behauptete er.

      »Dann hat sich's wohl erledigt mit uns beiden.«

      »Nein, eigentlich nicht«, hielt er dagegen. Er zog nun plötzlich einen silbernen Zylinder aus der Gesäßtasche und hielt ihn in die Höhe, damit der Obdachlose ihn sehen konnte. »Wer seine Sünden wirklich bereut, der hat auch das Recht auf Vergebung.«

      Der Dorn schnellte jetzt an der Oberseite heraus.

      »Was soll das?«

      Der Pfaffe trat näher. »Ich gebe dir eine letzte Gelegenheit, Gott zu begegnen und um Vergebung zu bitten.«

      »Hast du 'nen Knall? Du bist ein Priester!«

      »Ehrlich gesagt bin ich das gar nicht.«

      Und wie versprochen gab er McMullen die Möglichkeit, Gott um Einlass ins Reich des Lichts und der Liebe zu bitten.

      Kapitel 11

       Vatikanstadt

      Papst Pius XIII stand in seinem Bad vor dem Spiegel. Er war blass, und seine teigige Haut fühlte sich weich wie der Unterleib eines Fisches an. Die Runzeln an seiner Stirn und die zahllosen kreuz und quer durch sein Gesicht verlaufenden Falten wirkten länger, dunkler, tiefer – wie eine Elfenbeinschnitzerei als Zeugnis der Bürde, die er während der letzten Jahre gestemmt hatte. Das Weiße in seinen Augen war mittlerweile von einem roten Netz durchzogen, was den Eindruck verstärkte, sie seien verquollen und würden vor Müdigkeit tränen.

      Nachdem er das Bild seines auszehrenden Selbst flüchtig begutachtet hatte, drehte der Heilige Vater den Hahn auf und schaute zu, wie der Strahl aus dem glänzenden Messingrohr, das einem Fisch mit großen Schuppen nachempfunden war, ins Becken lief. Dann schöpfte er mit beiden Händen etwas von dem kalten Wasser, spritzte es sich ins Gesicht und tupfte es mit einem Handtuch ab, bevor er in sein Gemach zurückkehrte. Sein Gang wirkte beunruhigend schwerfällig, denn er machte kurze, schlurfende Schritte, die an eine Geisha erinnerten.

      Vor seinem Arbeitstisch saß mit einem braunen Umschlag in der Hand Kardinal Bonasero, der geduldig auf ihn wartete.

      Der Papst trat jetzt in seiner Alltagstracht ein, die aus einer durchgeknöpften, bis zum Boden reichende Soutane oder sottana mit Schärpe und mozetta bestand, einem Umhang mit Kapuze. Dazu trug er rote pantofole – Schuhe zum Hineinschlüpfen – und sein Käppi, das zucchetto. Allerdings schien diese Gewandung den Mann hinunterzuziehen, denn der Stoff schlackerte, als ob er für seinen Körperbau zu groß sei.

      »Bitte verzeihen Sie, Bonasero. Die harte Arbeit, die ich mir lange Zeit auferlegt habe, macht mir wohl zusehends zu schaffen.« Er stellte sich nun vor seinen Sessel und sackte auf dem weichen Lederpolster zusammen, dann zeigte er auf den Umschlag, den Vessucci festhielt. »Hat der SIV das geschickt?«

      Der Kardinal nickte und öffnete den Brief. Darin steckten Fotos vom Tatort eines Mordes in Las Vegas. Er legte sie sorgfältig vor dem Papst aus.

      Was Pius dort sah, war Ian McMullens Leiche von verschiedenen Seiten. Der Fotograf hatte die Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln gemacht. Der Mann lag mit seitwärts ausgestreckten Armen auf dem Bauch – es sah nicht ganz so wie eine Anspielung auf die Haltung eines Gekreuzigten aus – auf dem Pflaster einer Straße, und das Material seines Mantels war vom Rockschoß bis zum Kragen aufgetrennt worden, der Rücken darunter war nackt. Der Täter hatte ein A in sein Fleisch geritzt.

      »Ian McMullen«, begann Vessucci. »Er war der Mann ganz rechts in der hinteren Reihe auf diesem Foto von Kimballs alter Truppe. »Somit hätten wir also einen weiteren Buchstaben.«

      Pius stöhnte, während er das Foto konzentriert betrachtete. Auf den rot eingekreisten Gesichtern der Mitglieder von Haydens ehemaliger Spezialeinheit stand von links nach rechts gelesen I-S-C, und jetzt kam ein A an vierter Stelle hinzu. Dies bedeutete, dass der Killer sich in Kürze der Ermordung der Männer in der unteren Reihe annehmen würde, um seinen Auftrag abzuschließen, beginnend mit einem amerikanischen Indianer und endend mit dem wahren Ritter.

      »Vier von ihnen sind bereits tot«, fasste der Kardinal verärgert zusammen. »Bleibt also noch die andere Hälfte.«

      Der Papst wippte nervös mit dem Kopf, den


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