OPERATION ISKARIOT (Die Ritter des Vatikan 3). Rick Jones
Hayden lehnte sich zurück und dachte nach.
Ritter des Vatikans wurden jung auserwählt; als Straßenkinder und Waisen mit trüben Zukunftsaussichten, aber großem Potenzial zur Entwicklung eines starken Charakters und überragender körperlicher Fähigkeiten. Um das Zeug zum Krieger zu haben, musste man hungrig sein und so gelehrig, dass man sich konsequent auf ein wissenschaftliches Studium und Selbstbetrachtung einließ. Das eigene Wesen zu erkennen bedeutete, Treue über alles andere außer der Ehre zu stellen.
Am Hilbert-Institut, einer Akademie für obdachlose Kinder, die zu alt zur Adoption waren, stand Kardinal Bonasero Vessucci neben Kimball. Sie waren auf einen Laufsteg mit Blick auf ein Basketballfeld gestiegen und hatten dort ihre Ellbogen auf das Geländer gestützt. Das aktuelle Spiel interessierte sie nicht sonderlich. Vielmehr konzentrierten sich beide auf einen Sportler, der auf der Bank saß – einen Jungen aus der dritten Reihe, der nur selten aufgestellt wurde.
»Um einen Ritter auszusuchen, Kimball, braucht man einen objektiven Blick und darf sich nicht von etwaigen Sympathien für ein Kind beeinflussen lassen. Dieser Bursche hier ist weder ehrgeizig noch begabt und der Verwaltung zufolge gesellschaftlich dermaßen abgeschottet, dass er keinerlei Freunde hat. So verhält er sich aber ganz bewusst.« Der Kardinal wandte sich Hayden zu. »Ihm fehlt alles, was nötig ist, um in fünfzehn Jahren die Verantwortung eines Ritters des Vatikans zu übernehmen.«
Kimball trat ein wenig zurück, um das Kind aus der Entfernung zu mustern. Er war ein schlaksiger Junge mit blasser Haut, der es viel spannender fand, mit einer Fußspitze Kreise in den Sand zu scharren, als das Spiel mitzuverfolgen.
»Er braucht eben einen Mentor«, sagte Kimball schließlich.
»Was er braucht, ist eine Person, die Wunder bewirken kann. Dort draußen gibt es weit mehr Kinder, die den Anforderungen entsprechen, die wir an kommende Ritter des Vatikans stellen.«
Hayden lehnte sich an das Geländer. »Wissen Sie, an wen mich der Kleine erinnert?«
Der Kardinal lächelte. »Ich tippe mal darauf, dass Sie jetzt sagen, er würde Sie an Sie selbst erinnern.«
»Genau das meine ich. Und erinnern Sie sich auch noch an die Person, die mir zur Hilfe gekommen ist, als ich sie am dringendsten benötigt habe?«
Vessucci nickte. »Das war ich.«
»In Venedig. Sie wussten alles über mich. Sie wussten von all den entsetzlichen Dingen, die ich getan habe. Dennoch verschlossen Sie sich nicht, sondern kamen mir entgegen … An dem Tag habe ich mich zum ersten Mal einem anderen Menschen gegenüber geöffnet.«
»Fähigkeiten, die ich mir erst aneignen musste. Denken Sie daran, dass wir alle zuerst unsichere Schritte machen, wenn wir als Kleinkinder das Gehen lernen, und mitunter auch hinfallen, jedoch immer wieder aufstehen und es erneut probieren, bis es uns schließlich in Fleisch und Blut übergeht.«
»Ich weiß nicht, Kimball, aber bei diesem Burschen habe ich einfach kein gutes Gefühl – und immerhin wähle ich schon sehr lange Ritter aus.«
»Sollte ich jemals dazu kommen, mir selbst ein Team zusammenstellen zu dürfen oder zukünftige Ritter auszuwählen, dann müssen Sie mir vertrauen. Warum sonst bin ich hier?«
»Um diejenigen zu erkennen und kennenzulernen, die aufgrund ihrer Eigenschaften dazu taugen, Seiner Heiligkeit in Zukunft beste Dienste zu leisten.«
Kimball seufzte. »Ich werde Zugang zu ihm finden.«
Der Kardinal drehte sich wieder zur Bank um und schaute dann auf den Jungen, der mit seinem Fuß weiter imaginäre Kreise zeichnete. »Zu manchen Menschen findet man leider einfach keinen Zugang, Kimball, egal wie eifrig man sich auch ins Zeug legt, und meines Erachtens nach hat sich dieses Kind schon zu weit in sich selbst zurückgezogen.«
»Meines Erachtens nicht.«
Daraufhin schwiegen die beiden vorübergehend.
»Ungeachtet meiner Einschätzung«, sagte Vessucci schließlich, »werden Sie sich nicht beirren lassen, oder?«
Hayden bekräftigte dies. »Nicht bei diesem Kerlchen, nein. Ich verlange nichts weiter, als dass Sie mir eine Chance geben, sein Mentor zu sein und ihn zu leiten. Denn dann garantiere ich Ihnen, wird er zu einem der besten Ritter des Vatikans avancieren, die sich der Papst vorstellen kann.«
»Sie setzen sich aber ein hohes Ziel in Anbetracht der Umstände. Man muss sich wesentlich mehr anstrengen, als Ihnen bewusst ist, um emotional und seelisch Zugang zu einem solchen Kind zu finden, das so sehr in sich gekehrt ist.«
»Falls gar nichts dabei herumkommt, haben wir wenigstens einem Bedürftigen die Möglichkeit gegeben, mehr aus sich machen zu können – und das ganz ohne großen Aufwand.«
Dies konnte der Kardinal natürlich weder widerlegen noch leugnen. »Sie haben gewonnen, aber lassen Sie mich zumindest noch einmal nachhaken: Sind Sie sich wirklich sicher, dass es ausgerechnet dieser Junge sein muss, wo doch so viele andere ebenfalls Gottes Hilfe bräuchten?«
Kimball nickte erneut und zeigte dann auf das Kind. »Er muss es sein.«
Vessucci erkannte die Unbeirrbarkeit seines Schützlings, der geradezu besessen davon war sich um den Knaben kümmern zu wollen, und drehte sich deshalb wieder zu dem allein dasitzenden Jungen um. »Dann nennen wir ihn doch … Ezechiel.«
»Kimball?« Der Monsignore drückte jetzt seine dritte Zigarette im Aschenbecher aus. »Sie sagen doch im Grunde damit, dass Sie versucht haben, diesen Jungen zu retten, um sich – wie sollen wir es nennen? – reinzuwaschen von dem Mord an den beiden Kindern im Irak.«
»So habe ich es aber nicht ausgedrückt.«
»Aber in diesem Sinne gehandelt.«
»Wenn Sie es so auslegen möchten, bitte.«
»Was ich allerdings nicht verstehe: Warum gerade dieses eine spezielle Kind, gegen das sich Kardinal Vessucci so vehement gesträubt hat?«
»Ich hatte meine Gründe dafür.«
»Würden Sie diese für mich spezifizieren?«
»Spezifizieren?«
Der Monsignore gestikulierte mit seinen Händen. »Genauer ausführen, detaillierter erklären.«
»Warum dann diese geschwollene Ausdrucksweise?«
»Nun, würden Sie es bitte tun?«
»Nein.«
»Dann erzählen Sie mir wenigstens von Ezechiel, jetzt wo er erwachsen ist.«
Hayden zögerte zunächst, während sich Giammacio eine weitere Zigarette nahm, und entgegnete dann schließlich: »Ich fand irgendwann Zugang zu ihm, genauso wie ich es vorhergesehen hatte, und machte ihn dann lauter.«
»Lauter?«
Kimball fuchtelte spöttisch mit seinen Händen herum, um die Gesten des Geistlichen nachzuahmen. »Jemandem Redlichkeit beibringen, bis er aufrichtig und unverdorben ist.«
Der Monsignore grinste. »Warum dann diese geschwollene Ausdrucksweise?«
Kimball erwiderte das Grinsen.
»Die Zeit ist leider um«, fuhr der Berater fort. »Nächste Woche machen wir an dieser Stelle weiter. Bei Ezechiel.«
»Über ihn gibt es aber nicht viel zu erzählen, nur dass er sich tatsächlich zu einem der Besten im Bunde der Ritter des Vatikans gemausert hat.«
»Vielleicht nicht direkt über ihn als Person, sondern