OPERATION ISKARIOT (Die Ritter des Vatikan 3). Rick Jones
selbst war klein und hatte eine hohe Decke. Die Mauern bestanden aus hellem sandfarbenen Bruchstein, und ein Kreuz über einem kleinen Fenster mit Ausblick auf die Lourdes-Grotte in den prachtvollen Vatikanischen Gärten war der einzige Schmuck. An der hinteren Wand standen ein Einzelbett mit Nachttisch und Lampe sowie Regale voller Militärbücher und Fachzeitschriften. Nicht weit von der Tür entfernt war eine Gebetsbank zum Hinknien mit einem Ständer für Weihkerzen. Diese hatte Kimball allerdings nie angezündet, und die Bank war ebenfalls unbenutzt geblieben. Obgleich das Gemach keinerlei Luxus bot, wohnte der Anführer der Ritter des Vatikans darin.
Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging er durch das Zimmer, wobei ihm der Kopf noch von den Gedanken über sein Treffen mit Dom Giammacio schwirrte, und er setzte sich auf die Kante des Betts, das ein wenig unter seinem Gewicht einsackte. Ihm war zum ersten Mal überhaupt eine Sitzung nahegegangen. Heute hatte der Monsignore freiweg die Tatsache ausgesprochen, dass das Licht Gottes Kimball nicht einfach so finden würde, sondern er sich ausdrücklich die Mühe machen musste, darauf zuzugehen.
Als er die Augen schloss und sein Kinn anhob, während seine Kiefermuskeln vor Anspannung zuckten, fasste er einen Beschluss: Er würde beten! Darum stand er wieder auf, ging zu der Bank mit dem Weihkerzenständer und kniete sich darauf. Mit einem Streichholz entzündete er zwei Kerzen, um den beiden Rittern Tribut zu zollen, die bei einem früheren Einsatz ums Leben gekommen waren. Er steckte die Dochte für Micha und Nehemia an, verlorene Freunde und Kameraden.
Als er die Augen erneut zumachte und die Hände in Gebetshaltung faltete, wollte er das Vaterunser sprechen, wusste aber nach den ersten sieben Worten nicht mehr weiter. Also versuchte er sich an Gegrüßet seist du Maria, stellte jedoch nach dem ersten Satz fest, dass er den Rest davon ebenfalls vergessen hatte, deshalb gab auf und kanzelte sich als schlechtesten Katholiken der Welt ab, da er sich nicht einmal mehr an ein so einfaches Gebet erinnern konnte.
Als er die Augen wieder öffnete, fiel sein Blick auf die schwarzen Rauchkringel, die feierlich von den Kerzendochten aufstiegen. Ihre Bewegungen waren sanft und fließend – wie jene der Gruppe, die seine Freunde einst gebildet hatten, doch die Flammen konnten falls nötig auch verbrennen. Im Zuge dessen fragte er sich, ob die toten Ritter zum himmlischen Licht gelangt waren, zweifelte aber schließlich an, dass es ein solches Licht überhaupt gab. Das, woran Hayden glauben musste, war die Einsicht an etwas viel Schöneres über den Schmerz und den Wahnsinn des Mordens hinaus, etwas fernab der Finsternis, in der er sein gesamtes bisheriges Leben verbracht hatte.
Was er wollte, war Frieden.
Noch einmal machte er die Augen zu und betete – nicht mit leeren Worten, die irgendwo schwarz auf weiß geschrieben standen, um gefühl- oder teilnahmslos rezitiert zu werden, sondern aus vollem Herzen und mit ganzer Seele. Er wisperte, sprach mit gedämpfter Stimme und hätte gern gewusst, ob der Herr gerade zuhörte, während er um Vergebung für die Leben bat, welche er ohne Reue beendet hatte.
Nach dem Gebet stellte sich jedoch wieder Stille ein.
Weder schwebten Federn von der Zimmerdecke herab, noch erscholl draußen am blauen Himmel ein Donner, und auch sonst deutete nichts darauf hin, dass Gott überhaupt etwas wahrgenommen hatte. In der Annahme, sein Schicksal sei damit besiegelt, gab Hayden seine gut gemeinten Bemühungen auf und blies die Kerzen aus.
»Tja, so viel zum Beten, Monsignore. Wenigstens habe ich es versucht.«
Er erhob sich wieder, ging die wenigen Schritte bis zum Bett zurück und ließ sich auf die Matratze fallen, was das Gestell mit einem protestierenden Quietschen quittierte. Während helles Licht durch das Fenster fiel, blieb er mit hinter dem Kopf verschränkten Händen liegen und starrte auf die Bleiglasscheiben, die ein buntes Abbild der Jungfrau Maria zeigten. Diese schien sich mit ausgestreckten Armen, die in der Mittagssonne leuchteten, an ihn zu wenden.
Die Stille im Raum dauerte weiter an, als sich Kimball Hayden vom Fenster wegdrehte und sich den Schlaf gönnte, den er so dringend brauchte.
Kapitel 4
Manila, Philippinen
Zwölf Jahre zuvor waren ihm die Beine oberhalb der Knie abgerissen worden.
Marshall Theodore Walker, ein ehemaliger Auftragsmörder der US-Regierung aus einem Geheimverband namens »Die Acht«, arbeitete jetzt selbstständig, da man die Force Elite irgendwann aufgelöst hatte.
In einem kleinen Appartement fünf Etagen oberhalb des hektischen und chaotischen Treibens auf Manilas Straßen, wachte er in den Laken verheddert auf, die er seit mehreren Wochen nicht mehr gewaschen hatte. Durch das Fenster hörte er die geschäftigen Filipinos auf dem Marktplatz vor dem Gebäude, die Schlachtfleisch in Streifen, ausgenommene Fische und Obst verkauften.
Nachdem er sich zerrauft wie immer aufrecht im Bett hingesetzt hatte, starrte er noch schläfrig auf die Stümpfe seiner Beine und erinnerte sich genau an den exakten Moment ihres Verlusts.
Als Konsultor eines privaten Militärunternehmens im Irak während der Frühphase des Krieges hatte er die Spitze eines Aufklärungskonvois in der Provinz Al-Anbar übernommen, als ein improvisierter Sprengsatz unter seinem Fahrzeug explodierte. Ein heißer Blitz, und der Boden des Geländewagens hatte sich ins Führerhaus hochgewölbt, während alles von Splittern scharf wie Chirurgenstahl zerfetzt worden war, auch die Knochen seiner Beine, und zwar so widerstandslos, dass sie keine ausgefransten Wundränder, zerfledderten Muskeln oder hervorstehenden Knochen zurückgelassen hatten – nur saubere Schnitte wie mit einer Säge.
Beim Wiedererlangen seines Bewusstseins hatte er festgestellt, dass die anderen Mitglieder seines Teams entweder tot, verstümmelt oder verbrannt waren, und die verbogene Karosserie hatte ihn wie eine schützende Kapsel eingeschlossen. Seine Kameraden hatten sterben müssen, aber Walker war am Leben geblieben. Heute ertappte er sich oft dabei, wie er sich wünschte, genau wie sie ein ehrbares Ende gefunden zu haben.
Nun schloss er die Augen wieder und seufzte bedauernd da ihn die Erinnerungen, die genauso eindringlich waren wie jene an den Tag, als ihn eine Splitterbombe seiner Beine beraubt hatte, auf jede erdenkliche Art mitnahmen, sei es emotional oder körperlich. Die Qualen, die Phantomschmerzen … nichts davon ließ irgendwann nach oder verschwand, und in gleicher Weise stießen ihn seine Narben … sichtbare wie seelische … immer wieder auf jenen lebensverändernden Moment in der irakischen Provinz.
Das bisschen Geld aus der staatlichen Abfindung, das den Großteil seines Unterhalts ausmachte, haute er für Fusel, die niedrige Miete und philippinische Nutten auf den Putz – die drei Säulen seines Daseins. Jetzt war er mit Kopfschmerzen aufgewacht, und neben ihm auf dem Nachtschränkchen stand eine leere Flasche Schnaps; ein einheimisches Erzeugnis. Er konnte nicht einmal dessen Namen aussprechen.
Indem er auf der Matratze nach unten rutschte, brachte sich Walker in die richtige Position, um sich in seinen Rollstuhl zu schwingen und sich aufzurichten. Dann fuhr er durch das Zimmer, eine stinkende Ödnis voller Schmutzwäsche und Leergutflaschen.
Als er in die Küche rollte, spürte er etwas, das ihm an jenem Tag in Al-Anbar vollkommen gefehlt hatte … die Empfänglichkeit für Hinweise auf eine ernste Gefahr.
In der Mitte des Raumes bremste er, hielt inne und horchte.
Aber nichts als der Lärm von den Straßen Manilas unten, wo die Händler ihre Waren feilboten, war zu hören.
Trotzdem: Ich weiß, dass du da bist.
Während er sich ununterbrochen mit scharfem Blick umschaute, langte Walker nach seiner Glock-Pistole, die er mit Klebeband unter dem Küchentisch fixiert hatte.
Der Holster war jedoch leer.
Bist ganz schön gerissen, was?
Auf einmal sauste etwas aus dem toten Winkel durch den Raum – so schnell und anmutig, dass der Bewegungsablauf an sich eine Augenweide war.
Außerdem war es das Letzte, was Walker wahrnahm, bevor er einen Schlag gegen den Kopf bekam und ohnmächtig wurde.
Als