OPERATION ISKARIOT (Die Ritter des Vatikan 3). Rick Jones
So fest, dass er sich nicht mehr rühren konnte, zumal er wegen seiner Beinstümpfe sowieso keine Möglichkeit hatte, Schwung zu holen.
Er drehte den Kopf auf die Seite und blieb so liegen. Als er sich anstrengte, wieder einen klaren Blick zu fassen, erkannte er die Umgebung zusehends deutlicher. Die Umrisse der Gegenstände wurden nun konkreter und die Formen erkennbarer.
Ein Mann, den er noch nie zuvor gesehen hatte, saß neben dem Tisch und beobachtete ihn. Seine Augen waren so dunkel, dass man meinen könnte, er habe gar keine Pupillen, aber sie zeugten dennoch von Interesse, Geduld und warum auch immer von Allwissenheit in erschreckendem Maße.
Er hatte ein sehr knochiges Gesicht mit einer vorstehenden Mundpartie und einem kantigen Kinn.
Als sich die Blicke der beiden begegneten, hielt der Mann ein Foto im Format acht mal zehn Zoll hoch. »Wissen Sie, was das ist?«
Walker leckte seine trockenen Lippen mit einer ebenso trockenen Zunge. »Wer sind Sie?«
»Wissen Sie, was das ist?«, wiederholte der Fremde.
Walker betrachtete das Foto genauer und erkannte, dass es seine alte Einheit zeigte: die Acht. Er selbst war darauf wesentlich jünger und hatte seine Beine noch. Alle posierten für den Schnappschuss, bloß Kimball Hayden nicht, der Mann ohne Gewissen oder Reue.
»Was wollen Sie?«
Der Unbekannte hielt ihm das Bild dichter vor das Gesicht. »Schauen Sie noch einmal genau hin.«
Nun fiel Walker auf, dass er und zwei andere mit Rotstift eingekreist waren. »Ja … und?«
»Diese beiden. Mir ist klar, dass Sie hier auf den Philippinen als Berater für Privatmilitärs arbeiten. Ich muss wissen, wo sie sind – und Sie werden es mir sagen.«
»Das glauben Sie, hm? Tja, Sie können mich mal kreuzweise, was halten Sie davon?«
»Wo sind die Männer, Mr. Walker?«
»Hören Sie zu, Sie Penner: Sie halten sich wohl für weiß Wunders wen, weil Sie sich an einem Krüppel vergreifen. Wäre ich heute noch in derselben Verfassung wie auf dem Foto, hätten Sie schon längst ins Gras gebissen.«
»Ich bin durchaus im Bilde über die Acht und ich stelle nur ungern in Abrede, Mr. Walker, dass Sie es zu Ihrer Blütezeit mit meinen Fertigkeiten aufgenommen hätten.«
»Wenn man noch an einem Stück ist, kann man immer große Töne spucken. Wie wär's, wenn Sie das Klebeband abmachen? Dann finden wir raus, wie gut Sie gegen einen Krüppel dastehen, der nicht gefesselt ist – oder haben Sie davor zu viel Schiss?«
»Mr. Walker … Wo sind sie?«
»Warum sollte ich Ihnen das sagen?«
Der Mann bewies Geduld und antwortete schließlich mit monotoner Stimme: »Sehen Sie mich an, Mr. Walker.« Aus der Tasche seiner Cargo-Hose nahm er jetzt einen silbernen Zylinder und drückte auf einen Knopf daran. Heraus schnellte ein Dorn, der aussah wie die Klinge eines Stiletts. Er lief spitz zu und war offensichtlich rasiermesserscharf.
»Soll ich mich etwa davor fürchten?«
»Nein, Mr. Walker, das ist eigentlich nur ein Werkzeug – ein Stift, wenn Sie es so nennen wollen.«
»Was?«
Der Mann hielt den Dorn jetzt über das Genick des Liegenden.
»Was tun Sie da?«
»Bitte, Mr. Walker, nicht bewegen.« Er drückte die versenkbare Spitze gegen eines von Walkers Schulterblättern, sodass ein Tropfen Blut aus der Haut hervorquoll. »Das dauert nur ein paar Sekunden.« Daraufhin stach ihm der Mann quer über den Rücken, und vollzog einen sauberen Schnitt zwischen seinen beiden Schultern.
Walker bäumte sich vor Schmerzen auf und biss sich gequält auf die Zähne, bis die Muskeln unter seinen Kiefergelenken zitterten.
Aber er weigerte sich, einen Schrei auszustoßen.
»Sehr gut, Mr. Walker. Ein echter Krieger brüllt niemals vor Schmerzen, nicht wahr?«
»Machen Sie mich sofort los und lassen Sie uns kämpfen wie richtige Männer!«
Der Fremde hielt ihm das Bild erneut hin. »Mr. Grenier und Mr. Arruti – sagen Sie mir, wo sie sich aufhalten.«
»Was wollen Sie denn bloß von ihnen?«
»Ist das nicht offensichtlich, Mr. Walker? Ich will sie töten.«
Nun lachte Walker herablassend. »Haben Sie den Verstand verloren?«
Der Mann setzte den Dorn nun behutsam mitten auf der waagerechten Linie an, die er zwischen den Schulterblättern gezogen hatte, und fuhr mit der angeschliffenen Spitze am Rückgrat entlang hinunter bis ins Kreuz, was ein symmetrisches T im Fleisch ergab.
Walker bäumte sich abermals auf. Sein Gesicht war mittlerweile so rot wie das Blut, das aus den Wunden auf den Tisch floss, und die Adern an seinem Hals traten immer deutlicher hervor. »SIE … DRECKSKERL!«
»Das war ja fast ein Aufschrei, Mr. Walker. Wie untypisch für einen echten Krieger, habe ich recht?«
»Hauen Sie gefälligst ab!«
»Arruti und Grenier, wo halten sie sich auf?«
Walker lachte erneut.
»Mr. Walker?«
Er verlor die Beherrschung während des Lachens.
»Na gut.« Der Mann drückte Walker jetzt die Spitze des Dorns wieder ins Kreuz und vollzog noch einen weiteren waagerechten Schnitt. Wie auf einer Leinwand ergaben die drei Linien nun den Buchstaben I auf der Haut.
Walker verkrampfte sich, um den Schmerz ertragen zu können, dann fragte er mit zusammengebissenen Zähnen: »Sie wollen wissen, wo sie sich aufhalten?«
Sein Peiniger wartete geduldig. Die Spitze seines »Werkzeugs« war mittlerweile rot gefleckt.
»Ich sag's Ihnen. Liebend gern tue ich das … und wissen Sie auch, warum ich es liebend gern tue?«
Als der Mann den Dorn erneut hochhob, funkelte der Stahlzylinder wie ein Spiegel.
»Weil die zwei Sie in Stücke reißen werden«, behauptete Walker. »Egal ob sie wissen, dass Sie kommen, oder nicht, es spielt keine Rolle. Sie können Sie meilenweit riechen. Sie spüren. Sie werden es ahnen … und Sie dann töten.«
»Und wo sind sie?«
Walker verlor offenbar erneut sein Bewusstsein. Seine Stimme wurde schwächer. »Sie finden sie in Maguindanao. Sie beraten die Leute im Kampf gegen die Terroristen dort.«
»Danke, Mr. Walker.«
»Wir sehen uns in der Hölle.«
»Das halte ich für unwahrscheinlich.« Der Mann hielt den Dorn jetzt an Walkers Schädelansatz und drückte die Spitze durch die Öffnung in den Hirnstamm. Damit brachte er ihn um.
Als er erschlaffte, stieß er einen letzten Atemhauch aus, der seine Lungenflügel leerte, und blieb in der friedfertigen Haltung eines Toten liegen.
Nachdem der Fremde dabei zugesehen hatte, wie Walker gestorben war, drückte er den Knopf an dem Zylinder noch einmal. Der Dorn verschwand schneller in dem Röhrchen, als es mit bloßem Auge wahrnehmbar war.
Daraufhin steckte er die Waffe in seine Hosentasche zurück und nahm einen roten Filzstift heraus. Damit schrieb er ein I in den Kreis auf dem Foto rings um Walker und ließ es auf dem Tisch liegen.
Wenige Stunden, dann würde der Mörder in der Provinz Maguindanao eintreffen.
Kapitel 5
Cotabato City, Philippinen
Die Stadt Cotabato auf Mindanao hatte ungefähr eine Viertelmillion Einwohner, überwiegend muslimischen Glaubens. Außerdem