OPERATION ISKARIOT (Die Ritter des Vatikan 3). Rick Jones
die Kehle. Der tiefe Schnitt, der nun aufklaffte, erinnerte an ein abscheuliches Grinsen, und das herausfließende Blut leuchtete bei jedem weiteren Blitz auffallend rot, während sich das Opfer mit einer seiner unförmigen Hände, deren Finger wie Krallen gekrümmt waren, an den Hals fasste. Mit dem anderen Arm ruderte er wild, um sich an der Schreibtischkante festhalten zu können, als sich alles um ihn herum drehte, immer schneller, wie ein Strudel sich verdichtender Schatten, aus deren Tiefe sich eine noch schwärzere Finsternis anbahnte.
Genau in dem Moment als er die Kante zu fassen bekam, fiel der Senator auf die Knie und fuhr hektisch mit der blutüberströmten Hand an der Abdeckung des Geheimfachs entlang. Es war seine letzte Handlung vor dem Tod, und der rote Streifen auf dem Holz war der endgültige Schlussstrich unter seiner Zeit als berufener Politiker.
Noch während Cartwright am Boden verblutete, begann der Killer, das Arbeitszimmer zu durchsuchen.
Irgendwo mussten schließlich die Lebensläufe sein.
Der Junge hatte sich währenddessen in einem Schrank unter den Buchregalen versteckt und den Wortwechsel von dort aus mitverfolgt, und auch das Flehen seines Großvaters um sein Leben gehört. Dann war ein grässliches Geräusch gefolgt … schmatzend oder verschleimt … das Röcheln eines Mannes bei dem Versuch, trotz einer riesigen Halswunde weiter zu atmen.
Bald darauf bekam das Kind in der anschließenden Stille Angst, und seine Ungewissheit bezüglich dessen, was vor der Schranktür geschehen war, nötigte ihn trotz des Verbots, leise nach seinem Großvater zu rufen.
Jetzt erfolgten Schritte: vorsichtig und leise, wie schwerelos auf dem Teppichboden. Jemand kam auf die Regale und auf den Schrank zu.
War es sein Großpapa?
Ringsherum wurden nun Türen geöffnet und wieder geschlossen, weshalb der Knabe seine Beine anwinkelte und die Knie vor seine Brust zog. Er verschränkte seine Arme davor, als wenn er sich besonders kleinmachen wollte. Dies tat er jedoch vergeblich, da nun auch sein Schrank geöffnet wurde.
Er schaute jetzt über seinen Kniescheiben hinweg. Seine Wangen waren nass vom Weinen, und seine schmächtige Brust bebte heftig, weil er stumm vor sich hin schluchzte.
Der Killer sah ihn einen Moment lang nachdenklich an, wobei sich die Blicke der beiden begegneten.
Im weißen Licht eines erneuten Blitzes bemerkte der Junge, dass sein Großvater mit halb geschlossenen Lidern neben dem Schreibtisch saß. Die Vorderseite seines Hemdes glänzte rot wie ein kandierter Apfel. Als der Mörder in dieselbe Richtung schaute, fiel ihm auf, wie der Kleine den Senator fokussierte. Dann drehte er sich wieder zu dem Kind um.
Während der Mörder erneut in den Schrank schaute und Mark seinen Blick erwiderte, tanzten weitere Blitze wie Schwerter in einem Kampf und leuchteten den Raum noch länger als zuvor aus. Der Mann hielt noch immer sein Messer in der Hand, und der Junge richtete seine Aufmerksamkeit unentwegt darauf. Dann begriff er plötzlich den Zusammenhang … die Waffe und ihr Besitzer … das blutbesudelte Hemd seines Großvaters.
Schließlich schüttelte er panisch den Kopf. Nein-nein-nein-nein-nein.
Der Mörder streckte nun eine Hand in den Schrank hinein, legte sie beschwichtigend auf den Kopf des Kindes und ließ sie dann hinunterrutschen, sodass sie seine Wange streifte. Ohne ein Wort zu sagen, zog er den Arm wieder heraus und machte die Tür leise zu. Der Kleine konnte darüber nur staunen.
Er durfte tatsächlich am Leben bleiben.
Mehrere Stunden später, nachdem sich das Gewitter wieder verzogen hatte und der Tag unter einem schiefergrauen Himmel angebrochen war, der weitere Regenfälle ankündigte, verließ der Junge langsam sein Versteck und kroch zu dem alten Mann, der an den blutverschmierten Schreibtisch gelehnt dalag.
»Großpapa?«
Als er den Arm der Leiche anfasste, spürte er dessen Steifheit; die einsetzende Totenstarre.
»Oh, Großpapa.« Er brach erneut in Tränen aus und fühlte sich auf einmal furchtbar allein.
Nachdem das Kind fast bis zur Besinnungslosigkeit geweint hatte, fielen ihm plötzlich die Blutstreifen auf der Abdeckung an der Seite des Schreibtischs ins Auge, in den er so oft geklettert war, wenn sein Großvater mit ihm Verstecken gespielt hatte.
Dahinter verbargen sich auch immer Geheimnisse, das wusste er.
Als er das Paneel öffnete, sah er mehrere zusammengebundene Ordner in dem Fach – acht Stück, es waren die Geheimnisse der Ungeheuer. Er nahm sie nacheinander heraus und prägte sich beim Durchblättern sowohl die darin enthaltenen Fotos als auch die dazugehörigen biografischen Angaben ein.
Er war zwar erst fünf Jahre alt, aber er schwor sich dennoch, diese Gesichter niemals zu vergessen.
Kapitel 2
Gegenwart, Vatikanstadt
Monsignore Dom Giammacio war im Vatikan der Berater für Geistliche, die mit ihrem Glauben haderten. Diese suchten ihn meistens auf, um die Bestätigung für ihre »unverschämte« Annahme zu erfahren, an der Existenz Gottes zu zweifeln sei keine Todsünde, und sie könnten vielleicht die eine oder andere fromme Anpassung vornehmen – sozusagen hier und dort psychologisch nachjustieren – um die Gunst des Herrn wiederzugewinnen. Der Monsignore vertrat hingegen die Meinung, wenn sie Gott auf diese oder jene Weise fürchteten, könnte man folgerichtig davon ausgehen, dass sie bis zu einem gewissen Grad auch an ihn glaubten. Denn warum sonst sollte man Angst vor etwas haben, das man für nichtexistierend hielt?
Heute jedoch war es anders – wie jeden Montag in letzter Zeit.
Vor dem Monsignore saß ein beunruhigend kräftiger Mann mit strahlend blauen Augen, der den Priester oft missmutig anstarrte, sobald dieser versuchte, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Der Kerl nahm nur sehr ungern an derartigen Betrachtungen teil – er sträubte sich regelrecht davor – beugte sich aber auf Giammacios Weisung hin stets den Wünschen Seiner Heiligkeit, wenn es um tieferliegende Fragen bezüglich seines immerzu widersetzlichen Unterbewusstseins ging.
Er war nicht nur kräftig, sondern auch groß, hatte breite Schultern und eine ebensolche Brust. Dass das Priesterhemd, das er trug, so eng anlag, dass es an den Nähten aufzuplatzen drohte, betonte seine eigentümliche Anatomie noch zusätzlich, und trotz seines römisch-katholischen Kollars als Glaubenssymbol tat er sich insgeheim sehr schwer damit, gottergeben zu sein.
Im Gegensatz zu den anderen, war er weder Priester noch überhaupt ein Geistlicher oder auch nur von frommer Gesinnung, sondern ein Ritter des Vatikans im Dienste des Papstes mit einer Vollmacht, die Interessen der Heiligen römisch-katholischen Kirche zu wahren. Falls nötig wurde er mit anderen Elitesoldaten des Heiligen Vaters und dessen vertrautesten Kardinälen – dem sogenannten Rat der Sieben – für verdeckte Aufträge eingespannt. Außerhalb des engen Kreises dieses »Rates« gehörte Monsignore zu den wenigen Eingeweihten, die wussten, dass es die Gruppe überhaupt gab, weshalb er zu absoluter Verschwiegenheit angehalten war. Die Ritter des Vatikans sollten nicht nur ein geschlossener Verband aus Soldaten ohnegleichen unter kirchlicher Führung sein, sondern auch so geheim bleiben, dass man sie nicht einmal als Mythos ansah. Weil der Krieg stets auch eine dunkle Seite hatte, durfte ihre Existenz niemals publik werden.
Monsignore zündete sich jetzt wortlos eine Zigarette an und ließ sie achtlos im Aschenbecher abbrennen. Der Qualm kräuselte sich träge beim Aufsteigen. Nachdem er die Finger gespreizt gegeneinandergedrückt und sich in seinem Sessel zurückgelehnt hatte, wandte er sich wieder Kimball Hayden zu, der ihm gegenübersaß. Was der Ritter ihm mit seinem düsteren Blick vermitteln wollte, war relativ offensichtlich: Bringen wir diese unsägliche Angelegenheit schnell hinter uns. Der Gesichtsausdruck des Mannes sagte praktisch schon alles. Er wollte nicht hier sein und sich ins Oberstübchen schauen lassen, doch unter dem Einfluss des Papstes waren sowohl ihm als auch Giammacio die Hände gebunden.
Einen Augenblick lang warteten sie beide darauf, dass der jeweils andere den Anfang machte. Diese Angewohnheit war mit der Zeit allerdings