Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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waren entsetzlich schwach; er hatte selbst die Empfindung, daß sie mit jedem Augenblicke tauber und starrer würden. Er fürchtete, er würde das Beil nicht mehr halten können und fallen lassen; … es wurde ihm auf einmal ganz schwindlig.

      »Aber wie haben Sie das verknotet!« rief die Alte ärgerlich und machte eine Bewegung nach ihm zu.

      Nun war keine Sekunde mehr zu verlieren. Er zog das Beil ganz hervor, hob es, fast ohne Besinnung, mit beiden Händen in die Höhe und ließ, beinahe ohne eigene Anstrengung, beinahe rein mechanisch, den Beilrücken auf den Kopf der Alten niederfallen. Er hatte in diesem Augenblicke eigentlich gar keine Kraft in sich gehabt. Aber sobald er einmal das Beil hatte fallen lassen, stellte sich auch die Kraft wieder ein.

      Die Alte war wie immer im bloßen Kopf. Ihr hellblondes, zum Teil schon ergrautes, dünnes Haar, wie gewöhnlich stark geölt, war in ein Zöpfchen geflochten, das große Ähnlichkeit mit einem Rattenschwanze hatte, und mit einem zerbrochenen Hornkamm hochgesteckt, der auf ihrem Hinterkopfe abstand. Der Schlag hatte sie, da sie von kleiner Statur war, gerade auf den Scheitel getroffen. Sie schrie auf, aber nur sehr schwach, und sank sofort in sitzender Stellung auf den Boden, hob aber noch schnell beide Hände zum Kopfe. In der einen Hand hielt sie immer noch das Pfandstück. Da schlug er aus voller Kraft noch einmal und noch einmal zu, immer mit dem Rücken des Beiles und immer auf den Scheitel. Das Blut strömte heraus wie aus einem umgestoßenen Glase, und der Körper sank hintenüber gegen Raskolnikows Beine. Raskolnikow trat zurück, ließ ihn vollends hinfallen und bückte sich sogleich zu ihrem Gesichte; sie war bereits tot. Die Augen waren weit aufgerissen, als ob sie herausspringen wollten, die Stirn und das ganze Gesicht in Falten gezogen und krampfhaft verzerrt.

      Er legte das Beil auf den Fußboden neben die Tote und griff ihr sogleich in die Tasche, in eben die rechte Tasche, aus der sie das vorige Mal die Schlüssel herausgeholt hatte; dabei nahm er sich in acht, sich nicht mit dem hervorquellenden Blute zu besudeln. Er war bei vollem Verstande; Trübung der geistigen Fähigkeiten und Schwindelgefühl waren nicht mehr vorhanden; aber die Hände zitterten ihm immer noch. Er erinnerte sich später, daß er sogar sehr achtsam und vorsichtig gewesen war und sich die größte Mühe gegeben hatte, sich nicht blutig zu machen … Die Schlüssel fand er sofort und zog sie heraus; sie bildeten alle, wie damals, ein Bund und hingen an einem stählernen Ringe. Schnell lief er mit ihnen in das Schlafzimmer. Dies war ein sehr kleines Zimmer mit einem gewaltigen Schrein voll von Heiligenbildern. An einer andern Wand stand ein großes Bett, sehr sauber, mit einer aus lauter kleinen Seidenstückchen zusammengesetzten Steppdecke. An der dritten Wand stand eine Kommode. Aber seltsam! Sowie er die Schlüssel in die Kommode hineinzupassen begann und ihr Klappern hörte, lief ihm ein krampfhafter Schauder über den Leib. Wieder wandelte ihn die Lust an, alles stehen-und liegenzulassen und davonzugehen. Indes dauerte das nur einen Augenblick; zum Davongehen war es nun doch schon zu spät. Er lächelte sogar über sich selbst; da fuhr ihm auf einmal ein andrer beunruhigender Gedanke durch den Kopf. Er hatte plötzlich die Vorstellung, die Alte lebe vielleicht noch und könne wieder zu sich kommen. Die Schlüssel und die Kommode im Stiche lassend, lief er zu dem daliegenden Körper zurück, ergriff das Beil und schwang es noch einmal über der Alten; aber er ließ es nicht niederfallen. Es konnte kein Zweifel sein, daß sie tot war. Indem er sich niederbückte und sie nochmals aus der Nähe betrachtete, sah er deutlich, daß der Schädel zerschmettert und sogar ein wenig schiefgedrückt war. Er wollte schon mit dem Finger hinfühlen, zog aber die Hand wieder zurück; die Sache war auch ohne das zweifellos. Inzwischen hatte sich von dem Blute schon eine ganze Lache gebildet. Auf einmal bemerkte er an ihrem Halse eine Schnur; er versuchte sie zu zerreißen; aber die Schnur war stark und hielt; außerdem war sie von Blut durchnäßt. Nun versuchte er, sie unzerrissen unter dem Brustteil des Kleides herauszuziehen; aber es war irgend etwas da, wodurch sie festgehalten wurde. In seiner Ungeduld wollte er schon wieder mit dem Beile ausholen, um die Schnur über dem Körper durchzuschlagen; aber er wagte es nicht, und mit Anstrengung, und nicht ohne daß er seine Hände und das Beil mit Blut befleckt hätte, gelang es ihm nach einer zwei Minuten dauernden Mühe, die Schnur durchzuschneiden, ohne mit dem Beile den Körper zu berühren. Nun ließ sich die Schnur abnehmen; er hatte sich nicht geirrt: es hing ein Beutel daran. Auch waren an der Schnur zwei Kreuze befestigt, eines von Zypressenholz und eines von Kupfer, außerdem ein kleines Heiligenbild auf Emaille und schließlich hing an der Schnur der Beutel, ein kleiner waschlederner, schmutziger Beutel mit stählernem Bügel und Ring. Der Beutel war ganz gepfropft voll; Raskolnikow steckte ihn unbesehen in die Tasche; die Kreuze warf er der Alten auf die Brust. Dann eilte er wieder in das Schlafzimmer; diesmal nahm er auch das Beil mit.

      Er beeilte sich aufs äußerste, griff nach den Schlüsseln und mühte sich von neuem mit ihnen ab. Aber es wollte ihm nicht gelingen; sie paßten nicht in die Schlösser. Nicht daß seine Hände so stark gezittert hätten; aber er irrte sich fortwährend: er sah z.B., daß ein Schlüssel nicht der richtige war, nicht paßte; aber er steckte ihn immer wieder von neuem hinein. Endlich besann er sich und überlegte, daß dieser große Schlüssel mit dem gezähnten Barte, der mit den kleinen zusammen an dem Ringe hing, jedenfalls gar nicht von der Kommode war (wie er sich das schon bei seinem vorigen Besuche gesagt hatte), sondern von einer Truhe, und daß in dieser Truhe vielleicht alles Wertvolle verwahrt wurde. Er ließ daher die Kommode stehen und bückte sich sofort unter das Bett, da er wußte, daß die Truhen bei alten Weibern unter den Betten zu stehen pflegen. So war es denn auch: es stand dort eine ansehnliche Truhe, mehr als zwei Fuß lang, mit gewölbtem Deckel, mit rotem Leder überzogen und mit stählernen Nägeln beschlagen. Der gezähnte Schlüssel erwies sich sofort als genau passend und schloß die Truhe auf. Obenauf lag unter einem weißen Laken ein Pelz von Hasenfell, mit rotem Seidenstoff bezogen; darunter ein seidenes Kleid; dann ein Schal; weiter nach unten hin schienen nur noch lauter Lumpen zu liegen. Vor allen Dingen wischte er sich die blutbefleckten Hände an dem roten Seidenstoff ab. ›Das Zeug ist rot; da wird auf dem Roten das Blut nicht so leicht zu merken sein‹, überlegte er, wurde sich aber plötzlich der Torheit dieser Überlegung bewußt. ›Mein Gott! Werde ich denn verrückt?‹ dachte er erschrocken.

      Sowie er aber unter den Lumpen zu kramen begann, glitt auf einmal unter dem Pelze eine goldene Uhr heraus. Nun machte er sich daran, alles umzuwühlen. Wirklich, zwischen den Lumpen lagen Goldsachen versteckt, wahrscheinlich lauter Pfandstücke, verfallene und noch nicht verfallene: Armbänder, Ketten, Ohrringe, Busennadeln und dergleichen. Manche dieser Gegenstände befanden sich in Futteralen; andere waren einfach in Zeitungspapier gewickelt, aber sorgsam und ordentlich, in doppelte Bogen, und mit Band verschnürt. Ohne zu zaudern, stopfte er sie sich in die Hosentaschen und Paletottaschen; die Päckchen und Futterale zu öffnen und zu untersuchen, darauf ließ er sich nicht ein.

      Aber er hatte noch nicht viel eingesteckt, da hörte er plötzlich in dem Zimmer, wo die Alte lag, Schritte. Er hielt inne und horchte, still wie ein Toter. Aber es war alles ruhig; also war es doch wohl nur Einbildung gewesen. Da vernahm er ganz deutlich einen leichten Aufschrei, oder vielmehr: es war, wie wenn jemand ein leises, kurzes Stöhnen ausstieß und dann verstummte. Darauf herrschte wieder Totenstille, eine oder zwei Minuten lang. Er kauerte bei der Truhe und wartete, kaum atmend; aber dann sprang er hastig auf, ergriff das Beil und lief aus dem Schlafzimmer.

      Mitten im Zimmer stand Lisaweta, ein großes Bündel in der Hand, und blickte, starr vor Entsetzen, auf die ermordete Schwester hin. Sie war weiß wie Linnen und hatte, wie es schien, nicht die Kraft zu schreien. Als sie ihn hereinstürmen sah, zitterte sie, leise bebend, wie Espenlaub, und über ihr ganzes Gesicht lief ein krampfhaftes Zucken. Sie hob die eine Hand, öffnete den Mund ein wenig, schrie aber trotzdem nicht und begann langsam nach rückwärts vor ihm in eine Ecke zurückzuweichen. Dabei sah sie ihn starr und unverwandt an, schrie aber immer noch nicht, als wenn ihr dazu die Luft fehlte. Er stürzte mit dem Beile auf sie zu. Sie verzog die Lippen so kläglich, wie man es bei ganz kleinen Kindern sieht, wenn sie vor etwas erschrecken, den furchterregenden Gegenstand anstarren und eben losschreien wollen. Und diese unglückliche Lisaweta war nun einmal dermaßen einfältig, verprügelt und eingeschüchtert, daß sie selbst jetzt nicht die Hände aufhob, um ihr Gesicht zu schützen, was doch die natürlichste und notwendigste Bewegung in diesem Augenblicke gewesen wäre, da das Beil über ihrem Kopfe schwebte. Sie hob nur die freie linke Hand ein wenig in die Höhe, aber lange nicht bis zum Gesichte, und streckte sie langsam nach vorn gegen ihn aus, als wenn sie ihn von sich abhalten wollte. Der Schlag traf


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