Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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den Torweg seines Hauses passierte er in halber Bewußtlosigkeit; wenigstens war er schon auf der Treppe, als ihm das Beil einfiel. Und dabei stand ihm doch noch eine sehr wichtige Aufgabe bevor: es wieder an seinen Platz zu legen, und zwar möglichst unbemerkt. Er war natürlich nicht mehr fähig, zu überlegen, ob es nicht vielleicht weit besser wäre, das Beil überhaupt nicht wieder an den früheren Platz zu bringen, sondern es, wenn auch erst später, auf irgendeinen fremden Hof zu werfen.

      Aber es lief alles gut ab. Die Tür zu der Kammer des Hausknechtes war nur angelehnt, nicht zugeschlossen; also war der Hausknecht aller Wahrscheinlichkeit nach zu Hause. Doch Raskolnikow hatte die Fähigkeit, etwas zu überlegen, bereits in dem Grade eingebüßt, daß er einfach auf die Tür zuging und sie öffnete. Hätte ihn der Hausknecht gefragt: »Was wünschen Sie?« so hätte er ihm vielleicht ebenso gedankenlos das Beil hingereicht. Aber der Hausknecht war wieder nicht da, und er konnte unbehindert das Beil auf seinen früheren Platz unter die Bank legen, ja, es sogar wieder, wie es gewesen war, mit einem Holzscheite bedecken. Niemandem, keiner Menschenseele begegnete er dann auf dem Wege bis zu seinem Zimmer; die Tür seiner Wirtin war geschlossen. Als er in sein Zimmer gekommen war, warf er sich, wie er ging und stand, auf das Sofa. Er schlief nicht, befand sich aber in einem Zustande der Geistesabwesenheit. Wäre jetzt jemand zu ihm hereingekommen, so wäre er sofort aufgesprungen und hätte aufgeschrien. Fetzen und Bruchstücke von allerlei Gedanken wimmelten in seinem Kopfe herum; aber trotz aller Anstrengung vermochte er keinen einzigen Gedanken zu Ende zu bilden und festzuhalten.

      Zweiter Teil

      I

      So lag er sehr lange. Mitunter wurde er halb wach und bemerkte in solchen Augenblicken, daß es schon längst Nacht sei; aufzustehen kam ihm gar nicht in den Sinn. Endlich nahm er wahr, daß die Morgendämmerung bereits angebrochen war. Er lag rücklings auf dem Sofa, noch ganz starr von der bisherigen Bewußtlosigkeit. Ein schreckliches, wildes Geheul schlug von der Straße her schrill an sein Ohr; dieses Geheul hörte er übrigens jede Nacht zwischen zwei und drei Uhr unter seinem Fenster, und es war auch jetzt die Ursache seines Erwachens gewesen. ›Aha! Da kommen auch schon die Betrunkenen aus den Kneipen‹, dachte er. ›Es ist zwei durch.‹ Plötzlich fuhr er auf, als ob ihn jemand vom Sofa in die Höhe gerissen hätte. ›Wie? Schon zwei durch!‹ Er setzte sich auf – und nun fiel ihm alles ein! In einer Sekunde erinnerte er sich wieder an alles.

      Im ersten Augenblicke glaubte er, er würde wahnsinnig werden. Ein furchtbarer Frost überfiel ihn; aber dieser Frost kam von dem Fieber her, das sich schon längst während des Schlafes in seinem Körper entwickelt hatte. Jetzt packte ihn ein solcher Kälteschauer, daß ihm die Zähne klapperten und ihm alle Glieder steif wurden. Er öffnete die Tür und horchte; im Hause schlief alles fest. Erschrocken besah er sich selbst und alles ringsherum im Zimmer und begriff gar nicht, wie es nur möglich gewesen war, daß er gestern beim Nachhausekommen die Tür nicht zugeschlossen und sich in den Kleidern, ja sogar mit dem Hut auf dem Kopfe auf das Sofa geworfen hatte. Der Hut war heruntergerollt und lag auf dem Fußboden neben dem Kissen. ›Wenn nun jemand hereingekommen wäre, was hätte sich der gedacht? Gewiß, daß ich betrunken wäre, aber …‹ Er stürzte zum Fenster hin. Es war schon hell genug, und er musterte sich schleunigst, vom Kopfe bis zu den Füßen, vollständig, seine ganze Kleidung, ob auch nicht Blutspuren daran seien. Aber das ließ sich so auf dem Körper nicht gut ausführen; zitternd vor Frost, zog er alle Kleidungsstücke aus und untersuchte jedes von allen Seiten. Er wendete alles, bis auf den letzten Faden und Fetzen, hin und her, und da er sich selbst nicht traute, wiederholte er die Besichtigung dreimal. Aber es schienen keine Spuren vorhanden zu sein; nur da, wo die Hosen unten zerfasert waren und die Fransen herunterhingen, saßen an diesen Fransen dicke Klümpchen geronnenen Blutes. Er nahm sein großes Taschenmesser und schnitt die Fransen ab. Weiter schien nichts da zu sein. Da fiel ihm ein, daß der Beutel und die Pfandstücke, die er bei der Alten aus der Truhe herausgenommen hatte, immer noch sämtlich in seinen Taschen steckten! Er hatte bis jetzt noch gar nicht daran gedacht, sie herauszunehmen und zu verstecken. Nicht einmal jetzt hatte er sich daran erinnert, als er seinen Anzug revidierte. Wie war es nur möglich! Sofort zog er sie heraus und warf sie auf den Tisch. Nachdem er alles hervorgeholt und sogar die Taschen umgewendet hatte, um sich zu vergewissern, daß auch wirklich nichts darin geblieben sei, trug er den ganzen Haufen in eine Ecke. Dort hatte unten im innersten Winkel an einer Stelle die Tapete, die sich von der Wand abgelöst hatte, einen Riß; sofort stopfte er alles in dieses Loch unter die Tapete. ›Es ist hineingegangen; es ist nichts mehr zu sehen, auch der Beutel nicht!‹ dachte er erfreut, indem er langsam aufstand und stumpfsinnig nach der Ecke und dem Risse hinstarrte, der nun noch breiter klaffte. Da fuhr er wieder erschrocken zusammen: ›Mein Gott‹, flüsterte er verzweifelt, ›was ist nur mit mir? Heißt denn das verstecken? Versteckt man denn etwas so?‹

      Er hatte ja allerdings nicht auf Wertgegenstände gerechnet; er hatte geglaubt, er würde nur Geld erbeuten, und darum nicht im voraus Verstecke zurechtgemacht. ›Aber worüber habe ich mich denn jetzt eben gefreut?‹ dachte er. ›Versteckt man denn etwas so? Wahrhaftig, aller Verstand läßt mich ja im Stiche!‹ Ganz matt setzte er sich auf das Sofa, und sogleich schüttelte ihn wieder ein unerträglicher Frostschauder. Neben ihm auf dem Stuhle lag der warme, aber jetzt schon ganz zerlumpte Winterüberzieher, den er als Student getragen hatte; den zog er mechanisch zu sich heran und deckte sich damit zu; sofort verfiel er wieder in Schlaf und Fieberphantasien. Er war bewußtlos.

      Aber schon nach fünf Minuten sprang er wieder auf und fiel von neuem wie rasend über seine Kleider her. ›Wie konnte ich nur wieder einschlafen, wo doch noch nichts getan ist! Ich habe ja wahrhaftig die Schlinge unter der Achsel noch nicht abgemacht! Ich habe es vergessen! So etwas Wichtiges habe ich vergessen! Ein solches Beweisstück!‹ Er riß die Schlinge ab, riß sie schnell in Stücke und stopfte diese unter das Kissen zwischen die Wäsche. ›Stücke von zerrissener Leinwand werden ja doch wohl in keinem Falle Verdacht erregen, möchte ich meinen!‹ flüsterte er, mitten im Zimmer stehend, vor sich hin; und indem er seine Aufmerksamkeit so anstrengte, daß es ihn physisch schmerzte, begann er wieder ringsumher, auf dem Fußboden und überall, Umschau zu halten, ob er nicht doch noch etwas vergessen habe. Das Gefühl, daß alles, sogar das Gedächtnis, sogar die einfache Denkkraft ihn im Stiche lasse, quälte ihn in unerträglicher Weise. ›Wie? Fängt es wirklich jetzt schon an? Kommt wirklich jetzt schon die Strafe? Wahrhaftig?‹ In der Tat lagen die Fransen, die er von den Hosen abgeschnitten hatte, offen auf dem Fußboden, mitten im Zimmer, so daß sie der erste, der eintrat, sehen mußte. »Was ist denn nur mit mir!« rief er wieder ganz fassungslos.

      Da kam ihm ein sonderbarer Gedanke in den Sinn: vielleicht war auch sein ganzer Anzug blutig, vielleicht war eine ganze Menge Flecken daran; aber er sah sie nur nicht, bemerkte sie nicht, weil seine Denkkraft geschwächt und vermindert, sein Verstand verdunkelt war. Auf einmal fiel ihm ein, daß auch an dem Beutel Blut gewesen war. ›Ha, also muß in der Tasche auch Blut sein, da ja der Beutel damals, als ich ihn in die Tasche steckte, noch feucht war.‹ Eilig drehte er die Tasche um, und wahrhaftig! an dem Taschenfutter befanden sich Flecke, Blutspuren! ›Also versagen meine geistigen Fähigkeiten doch noch nicht ganz; also besitze ich doch noch Denkkraft und Gedächtnis, da ich dies überlegt und kombiniert habe!‹ dachte er triumphierend und atmete aus voller Brust tief und froh auf. ›Es war einfach eine vom Fieber herrührende Schwäche, eine momentane Geistesverwirrung!‹ sagte er sich und riß das ganze Futter aus der linken Hosentasche heraus. In diesem Augenblicke fiel ein heller Sonnenstrahl auf seinen linken Stiefel: an dem Strumpfe, der aus dem Stiefel hervorsah, schienen Blutspuren zu sein! Er zog den Stiefel aus: ›Wahrhaftig, es sind Blutspuren! Die ganze Strumpfspitze ist mit Blut getränkt!‹ Jedenfalls war er damals unachtsamerweise in die Blutlache hineingetreten. ›Aber was soll ich nun damit anfangen? Wo soll ich den Strumpf und die Fransen und die Tasche lassen?‹

      Er raffte alles mit beiden Händen zusammen und stand mitten im Zimmer da. ›In den Ofen? Aber im Ofen werden sie zu allererst herumstöbern. Verbrennen? Aber womit? Ich habe ja nicht einmal Streichhölzer. Nein, das beste ist schon, ich gehe draußen irgendwohin und werfe alles weg. Ja, das beste ist, alles wegzuwerfen!‹ sagte er sich und setzte sich wieder auf das Sofa. ›Und zwar sofort, diesen Augenblick, unverzüglich …‹ Aber statt daß er dies tat, sank sein Kopf wieder auf das Kissen; wieder packte ihn jener unerträgliche eisige Schauder; wieder zog


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