Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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ihr Spiel mit mir treiben, während ich daliege, und dann plötzlich hereintreten und erklären, daß ihnen alles schon längst bekannt sei und daß sie nur so getan hätten… Was mußte ich doch jetzt tun? Daß ich es auch gerade jetzt vergessen habe! Eben wußte ich es noch, und nun auf einmal habe ich es vergessen!‹

      Er stand mitten im Zimmer und sah sich in qualvoller Ungewißheit um; er ging zur Tür, öffnete sie und horchte hinaus; aber das war nicht das, was er gewollt hatte. Plötzlich, als wenn es ihm nun eingefallen wäre, stürzte er zu der Ecke hin, wo sich in der Tapete die Höhlung befand, besah alles prüfend, steckte die Hand in die Höhlung und suchte darin herum; aber auch das war nicht das Richtige. Er ging zum Ofen, machte ihn auf und stöberte in der Asche umher: die Fransen von der Hose und die Fetzen der herausgerissenen Tasche lagen noch ebenso da, wie er sie damals hineingeworfen hatte; also hatte dort niemand nachgesehen. Hierbei fiel ihm der Strumpf ein, von welchem Rasumichin soeben erzählt hatte. Richtig, da lag er auf dem Sofa, unter der Bettdecke; er war schon derartig beschmutzt, daß Sametow sicher nichts daran hatte sehen können.

      ›Ha, Sametow!… Das Polizeibureau!… Aber warum bestellt man mich auf das Polizeibureau? Wo ist die Vorladung? Ach,… ich bringe das ja durcheinander: daß ich da hinbestellt wurde, das war ja damals! Den Strumpf habe ich auch schon damals nachgesehen; aber jetzt… jetzt bin ich krank gewesen. Warum ist aber Sametow hierhergekommen? Warum hat Rasumichin ihn mitgebracht?‹ murmelte er, ganz schwach vor Aufregung, und setzte sich wieder auf das Sofa. ›Wie steht es denn? Sind das immer noch Fieberphantasien bei mir, oder ist es Wirklichkeit? Doch wohl Wirklichkeit… Ach, jetzt fällt mir ein, was ich wollte: fliehen! So schnell, wie nur möglich, fliehen, fliehen unter allen Umständen! Ja…, aber wohin? Und wo sind denn meine Kleider? Die Stiefel sind nicht da! Die haben sie mir weggenommen und versteckt! Nun verstehe ich alles! Aber da liegt der Paletot – den haben sie übersehen! Da liegt auch Geld auf dem Tische, Gott sei Dank! Und da ist auch der Schuldschein… Ich will das Geld nehmen und fortgehen; ich miete mir eine andre Wohnung, dann werden sie mich nicht finden! Ja, aber das Meldeamt? Sie werden mich doch finden; Rasumichin findet mich bestimmt. Das beste ist, ganz und gar davonzugehen … weit weg … nach Amerika,… dann können sie mir nachpfeifen! Den Schuldschein nehme ich auch mit,… der kann mir da noch gute Dienste leisten… Was soll ich sonst noch mitnehmen? Sie denken, ich bin krank. Sie wissen nicht, daß ich gehen kann, ha-ha-ha!… Ich habe es ihnen an den Augen angemerkt, daß sie alles wissen! Wenn ich nur erst die Treppe hinunter wäre! Aber wenn sie nun da Wachen stehen haben, Polizisten? Was ist das hier? Tee? Und da ist auch noch Bier übriggeblieben, eine halbe Flasche, das ist schön kühl!‹

      Er ergriff die Flasche, in der noch ein ganzes Glas übrig war, und trank sie mit dem größten Genusse, ohne abzusetzen, aus, als ob er in seiner Brust ein Feuer löschen wolle. Aber es war kaum eine Minute vergangen, da stieg ihm das Bier in den Kopf, und ein leises, jedoch nicht unangenehmes Frösteln lief ihm den Rücken hinunter. Er legte sich hin und zog die Bettdecke über sich herüber. Seine ohnehin schon krankhaften und zusammenhanglosen Gedanken verwirrten sich immer mehr, und bald überkam ihn eine leichte, angenehme Schläfrigkeit. Mit einem Wonnegefühl suchte er sich auf dem Kissen mit dem Kopfe eine recht bequeme Stelle aus, wickelte sich fester in die weiche, wattierte Decke ein, die er jetzt statt des zerrissenen Mantels über sich liegen hatte, seufzte leise und versank in einen tiefen, festen, heilsamen Schlaf.

      Er erwachte, als er hörte, daß jemand zu ihm kam, öffnete die Augen und erblickte Rasumichin, der die Tür weit aufgemacht hatte und auf der Schwelle stand, noch unschlüssig, ob er eintreten sollte oder nicht. Raskolnikow richtete sich schnell auf dem Sofa auf und sah ihn an, wie wenn er sich an etwas zu erinnern suchte.

      »Ah, du schläfst nicht mehr; nun also, da bin ich wieder! Nastasja, bring das Bündel her!« rief Rasumichin nach unten. »Gleich sollst du Rechenschaft erhalten.«

      »Was ist die Uhr?« fragte Raskolnikow, unruhig umherblickend.

      »Du hast ein ordentliches Schläfchen gemacht, Bruder: es wird schon Abend; etwa sechs ist es. Über sechs Stunden hast du geschlafen.«

      »O Gott, was habe ich da getan!«

      »Aber was ist denn dabei? Das macht dich gesund! Wohin hast du es denn so eilig? Wohl zu einem Rendezvous? Wir können ja jetzt über unsre Zeit ganz nach Belieben verfügen. Ich habe schon drei Stunden lang auf dich gewartet und bin schon ein paarmal hier gewesen; aber immer schliefst du. Bei Sossimow habe ich auch zweimal vorgesprochen: er war nicht zu Hause. Na, das tut nichts; er wird schon kommen. In meinen eigenen Angelegenheiten habe ich auch noch allerlei Gänge gemacht. Ich bin ja heute umgezogen und jetzt glücklich damit fertig; ich wohne mit meinem Onkel zusammen. Mein Onkel ist doch jetzt bei mir … Na, aber jetzt an unser Geschäft! Gib mal das Bündel her, Nastasja. Nun wollen wir gleich mal sehen. Wie fühlst du dich denn, Bruder?«

      »Ich bin gesund; ich bin nicht krank… Rasumichin, bist du schon lange hier?«

      »Ich sage dir ja: ich warte schon drei Stunden lang.«

      »Nein, ich meine: vorher!«

      »Was soll das heißen: vorher?«

      »Seit wann kommst du hierher?«

      »Ich habe es dir ja doch vorhin erzählt; oder erinnerst du dich nicht?«

      Raskolnikow dachte nach. Was vorhin geschehen war, schwebte ihm nur ganz unklar vor. Er war nicht imstande, sich allein zu besinnen, und blickte Rasumichin fragend an.

      »Hm!« sagte der. »Das hast du vergessen. Ich hatte schon vorhin den Eindruck, daß mit dir noch nicht alles in Ordnung ist. Jetzt der Schlaf hat dich in Ordnung gebracht… Wahrhaftig, du siehst auch viel besser aus. Bist ein Prachtkerl! Na, nun zum Geschäft! Es wird dir gleich alles wieder einfallen. Sieh mal her, lieber Sohn!«

      Er knotete das Bündel auf, das ihm offenbar außerordentlich wichtig war.

      »Dies hat mir ganz besonders am Herzen gelegen, Bruder, das kannst du mir glauben. Denn wir müssen dich doch vor allen Dingen erst wieder zum Menschen machen. Also nun los, und zwar von oben an. Siehst du diese schöne Kopfbedeckung?« fing er an und nahm aus dem Bündel eine ganz nette, dabei aber sehr gewöhnliche, billige Mütze heraus. »Erlaube, wir wollen sie dir mal aufprobieren!«

      »Später, nachher!« entgegnete Raskolnikow, mürrisch abwehrend.

      »Nein, nein, Bruder Rodja, sträube dich nicht; nachher wird es zu spät. Ich würde auch die ganze Nacht nicht schlafen können, weil ich sie ohne Maß nur so aufs Geratewohl gekauft habe. Sie paßt genau!« rief er triumphierend, nachdem er sie ihm aufgesetzt hatte. »Paßt ganz genau, wie auf Bestellung! Der Schmuck des Hauptes, Bruder, ist das allerwichtigste Stück des ganzen Anzuges und bildet in seiner Art eine wertvolle Empfehlung. Mein Freund Tolstjakow sieht sich genötigt, jedesmal seine Kopfbedeckung abzunehmen, wenn er in ein öffentliches Lokal kommt, wo alle andern Leute ihre Hüte und Mützen aufbehalten. Alle denken, er tue das aus serviler Gesinnung; aber der Grund ist ganz einfach der, daß er sich seines Vogelnestes schämt; er geniert sich überhaupt so leicht. Also, Nastenjka, nun sieh mal hier diese beiden Kopfbedeckungen, diesen Palmerston« (er holte aus einer Zimmerecke Raskolnikows verbeulten runden Hut herbei, dem er, Gott weiß warum, den Namen Palmerston beilegte) »und dagegen dieses kostbare Prunkstück! Taxiere einmal, Rodja, wieviel meinst du, daß ich dafür bezahlt habe? Oder du, Nastasjuschka? wandte er sich an diese, als er sah, daß Raskolnikow schwieg.

      »Zwanzig Kopeken wirst du wohl dafür gegeben haben«, antwortete Nastasja.

      »Zwanzig Kopeken, du dumme Trine!« rief er gekränkt.

      »Für zwanzig Kopeken kriegt man heutzutage nicht einmal so eine Person, wie du bist! Achtzig Kopeken kostet sie! Und auch das nur, weil sie schon getragen ist. Aber es ist noch eine Abmachung dabei: wenn diese abgetragen ist, bekommst du im nächsten Jahre eine andre umsonst, wahrhaftiger Gott! Nun, und jetzt kommen wir zu den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wie es bei uns im Gymnasium hieß. Ich bemerke im voraus: auf dieses Paar Hosen bin ich stolz!« Er breitete vor Raskolnikow ein Paar graue Beinkleider aus leichtem wollenem Sommerstoff aus. »Kein Löchelchen, kein Fleckchen, vielmehr durchaus passabel, wenn auch schon getragen. Ferner eine ebensolche Weste, in derselben Farbe, wie das die Mode verlangt!

      Und daß sie schon


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