Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


Скачать книгу
Jahreszeit aufpaßt; wenn man sich im Januar keinen Spargel geben läßt, so behält man ein paar Rubel mehr im Portemonnaie. Und das trifft auch für diesen Einkauf zu. Jetzt ist Sommersaison; darum habe ich dementsprechend Sommersachen gekauft. Zur Herbstsaison wird ohnehin ein wärmerer Stoff erforderlich sein, und du wirst diese Sommersachen dann ablegen müssen – um so mehr, da sie dir dann sämtlich nicht mehr gut genug sein werden, wenn nicht infolge wachsenden Wohlstandes, so wegen ihrer eigenen Defekte. Nun taxiere! Wieviel meinst du, daß diese beiden Stücke kosten? Zwei Rubel fünfundzwanzig Kopeken! Und wohlgemerkt: wieder mit der vorhin erwähnten Abmachung; wenn du sie abgetragen hast, bekommst du im nächsten Jahr eine andre Hose und Weste umsonst! Anders werden in Fedjajews Laden Einkäufe überhaupt nicht gemacht: wenn man einmal bezahlt hat, so ist das gleich fürs ganze Leben; denn ein zweites Mal geht man ganz von allein nicht wieder hin. Nun kommen wir zu den Stiefeln – was sagst du zu denen? Man sieht es ihnen ja zwar an, daß sie schon getragen sind; aber ein paar Monate werden sie schon noch halten; denn es ist ausländische Arbeit, ausländische Ware: der englische Gesandtschaftssekretär hat sie vorige Woche auf dem Trödelmarkt verkauft; er hat sie nur sechs Tage getragen, brauchte aber ganz notwendig Geld. Preis: ein Rubel fünfzig Kopeken. Ein guter Kauf, wie?«

      »Aber wer weiß, ob sie ihm passen!« bemerkte Nastasja.

      »Ob sie ihm passen! Und was ist das hier?« Er zog aus der Tasche einen alten, verkrümmten, ganz mit angetrocknetem Schmutze bedeckten, zerlöcherten Stiefel Raskolnikows. »Ich bin mit einem Muster hingegangen; nach diesem Monstrum hier haben sie die richtige Größe festgestellt. Wir sind mit der größten Gewissenhaftigkeit verfahren. Und in betreff der Wäsche habe ich mit der Wirtin eine Konferenz abgehalten. Hier, erstens drei leinene Hemden mit modernen Einsätzen, und dann hier… und hier. Nun hör zu: achtzig Kopeken die Mütze, zwei Rubel fünfundzwanzig die übrigen Kleidungsstücke, zusammen drei Rubel fünf Kopeken; einen Rubel fünfzig die Stiefel – sie sind aber auch wirklich etwas Vorzügliches –, zusammen vier Rubel fünfundfünfzig Kopeken; fünf Rubel die ganze Wäsche – wir haben nämlich einen abgerundeten Gesamtpreis gemacht –, zusammen genau neun Rubel fünfundfünfzig Kopeken. Du bekommst also noch fünfundvierzig Kopeken heraus; habe die Güte, diese Summe hier in Empfang zu nehmen. Somit, Rodja, bist du jetzt wieder vollständig equipiert; denn deinen Paletot kannst du meines Erachtens noch eine ganze Weile tragen; ja, er macht sogar einen hervorragend anständigen Eindruck; man merkt doch gleich, wenn so ein Stück bei Scharmer gearbeitet ist. Was Strümpfe und andere Requisiten anlangt, so überlasse ich das dir selbst; an Geld haben wir noch fünfundzwanzig Rubelchen zur Verfügung. Wegen Paschenjka und der Wohnungsmiete brauchst du dich nicht zu beunruhigen; ich habe dir schon gesagt: du erfreust dich jetzt eines unbegrenzten Kredits. Jetzt aber erlaube mal, Bruder, daß wir dir die Wäsche wechseln; sehr möglich, daß die Krankheit jetzt nur noch im Hemde steckt.«

      »Laß mich! Ich mag nicht!« wehrte Raskolnikow ab, der Rasumichins absichtlich humoristisch gefärbten Bericht über den Kleiderkauf nur widerwillig mit angehört hatte.

      »Nein, Bruder, das geht nicht; wozu hätte ich mir denn dann die Stiefelsohlen abgelaufen!« rief Rasumichin, hartnäckig auf seinem Verlangen bestehend. »Nastasjuschka, geniere dich mal nicht, sondern hilf mir – da, so!«

      Und trotz Raskolnikows Widerstand wechselte er ihm die Wäsche. Dieser ließ sich auf das Kopfkissen zurücksinken und redete mehrere Minuten lang kein Wort. ›Die werden mich so bald noch nicht in Ruhe lassen!‹ dachte er.

      »Von was für Geld ist denn das alles gekauft?« fragte er endlich, blickte aber dabei nach der Wand.

      »Von was für Geld? Na, so was! Von deinem eigenen Gelde. Vorhin war doch der Kontorist hier; Wachruschin hat es überwiesen; deine Mutter hat es dir geschickt; hast du das auch schon wieder vergessen?«

      »Jetzt erinnere ich mich…«, erwiderte Raskolnikow nach langem, finsterem Nachdenken.

      Rasumichin runzelte die Stirn und blickte ihn beunruhigt an.

      Die Tür ging auf, und es trat ein großer, stämmiger Mann ein; Raskolnikow meinte, er müsse ihn früher schon gesehen haben.

      »Sossimow! Na, endlich!« rief Rasumichin erfreut.

      IV

      Sossimow war ein hochgewachsener Mensch, ziemlich fett, mit dickem, bläßlichem, glattrasiertem Gesichte und ganz hellblondem, glattem Haar; er trug eine Brille und an einem seiner dicken; fetten Finger einen großen goldenen Ring. Er mochte etwa siebenundzwanzig Jahre alt sein. Bekleidet war er mit einem weiten, eleganten leichten Paletot und hellen Sommerbeinkleidern; überhaupt waren alle Bestandteile seines Anzuges weit, elegant und höchst adrett, die Wäsche tadellos, die Uhrkette schwer, massiv. Seine Bewegungen waren langsam und scheinbar müde, dabei aber von einer studierten Ungezwungenheit; ein gewisser Hochmut kam, obwohl er sich Mühe gab, ihn zu verbergen, doch fortwährend zum Vorschein. Alle, die ihn kannten, hielten ihn für einen etwas schwerfälligen Menschen, sagten ihm aber nach, daß er seine Sache verstände.

      »Ich bin zweimal bei dir gewesen, Bruder«, rief Rasumichin. »Sieh nur, er ist wieder zu sich gekommen!«

      »Ich sehe, ich sehe. Nun, wie fühlen wir uns denn jetzt, he?« wandte sich Sossimow an Raskolnikow, indem er ihn prüfend anblickte und sich zu ihm auf das Sofa setzte, ans Fußende, wo er es sich sofort nach Möglichkeit bequem machte.

      »Er ist immer so hypochondrisch«, fuhr Rasumichin fort. »Wir haben ihm eben die Wäsche gewechselt; da fing er beinahe an zu weinen.«

      »Sehr begreiflich; mit der Wäsche hätte es ja auch noch Zeit gehabt, wenn er selbst es jetzt nicht mochte … Der Puls ist vorzüglich. Der Kopf tut wohl immer noch ein bißchen weh, nicht wahr?«

      »Ich bin gesund, vollständig gesund!« entgegnete Raskolnikow in eigensinnigem, gereiztem Tone; er richtete sich plötzlich auf dem Sofa auf und blickte mit funkelnden Augen um sich, legte sich aber sogleich wieder auf das Kissen zurück und drehte sich nach der Wand zu.

      Sossimow beobachtete ihn mit unverwandtem Blicke.

      »Sehr gut, … alles, wie es sein muß«, sagte er lässig. »Hat er etwas gegessen?«

      Rasumichin gab Auskunft und fragte, was ihm gegeben werden dürfte.

      »Er kann alles bekommen, … Suppe, Tee, … Pilze und Gurken natürlich nicht, na, und Fleisch braucht er auch noch nicht, und … na ja, es ist ja weiter nichts zu sagen!« Er wechselte einen Blick mit Rasumichin. »Die Medizin weg, alles weg; ich sehe morgen wieder nach … Es wäre vielleicht auch heute … na ja …«

      »Morgen abend führe ich ihn spazieren«, erklärte Rasumichin in bestimmtem Tone. »In den Jussupow-Garten, und dann gehen wir in den Kristallpalast.«

      »Morgen würde ich noch Ruhe für ihn empfehlen; übrigens … ein bißchen Bewegung … nun, das wollen wir mal morgen sehen.«

      »Jammerschade, heute veranstalte ich gerade eine kleine Festlichkeit aus Anlaß meines Umzuges; es ist bloß ein paar Schritte von hier; da müßte er eigentlich auch mit dabei sein. Er könnte ja auf dem Sofa liegen, und wir würden uns dann um ihn herumsetzen. Aber du, du wirst doch kommen?« wandte sich Rasumichin an Sossimow.

      »Vergiß es nicht; du hast es mir versprochen.«

      »Vielleicht komme ich, aber wohl etwas später. Was gibt es denn bei dir?«

      »Es ist alles ganz einfach: Tee, Schnaps, Hering. Pirog gibt es auch. Es kommen nur gute Bekannte.«

      »Wer denn?«

      »Lauter Leute hier aus der Gegend und fast sämtlich neue Bekannte – ausgenommen etwa den alten Onkel, und ein neuer Bekannter ist der eigentlich auch: er ist erst gestern hier in Petersburg angekommen; er hat hier geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen. Wir sehen einander nur so alle Jahre einmal.«

      »Was ist er?«

      »Er hat sein ganzes Leben lang als Postmeister in einer Kreisstadt vegetiert, … jetzt bezieht er eine kleine Pension, er ist fünfundsechzig Jahre alt. Viel zu sagen ist nicht von ihm; aber ich habe ihn ganz gern. Auch Porfirij Petrowitsch kommt, der Untersuchungskommissar, ein Jurist. Aber du kennst ihn ja …«

      »Ist


Скачать книгу