Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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üble Sache; die können einem bei Gelegenheit gut zustatten kommen. Jedenfalls bitte ich Sie, von meinem Anerbieten Ihrer Schwester Mitteilung zu machen.«

      »Nein, das werde ich nicht tun.«

      »Dann, Rodion Romanowitsch, werde ich selbst genötigt sein, mich um eine persönliche Zusammenkunft zu bemühen und so Ihre Schwester zu belästigen.«

      »Und wenn ich es ihr mitteile, dann werden Sie sich nicht um eine persönliche Zusammenkunft bemühen?«

      »Ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll. Ich möchte sie doch gar zu gern noch einmal wiedersehen.«

      »Diese Hoffnung geben Sie nur auf!«

      »Schade! Aber Sie kennen mich noch nicht. Vielleicht treten wir einander doch noch näher.«

      »Halten Sie das für möglich?«

      »Aber warum denn nicht?« antwortete Swidrigailow lächelnd, stand auf und griff nach seinem Hute. »Nicht daß ich die Absicht hätte, Sie in Zukunft häufig zu belästigen. Auch habe ich, als ich hierherging, mir ganz und gar keine großen Hoffnungen auf eine Verständigung gemacht, obwohl mich Ihre Physiognomie schon heute vormittag überrascht und interessiert hatte …«

      »Wo haben Sie mich denn heute vormittag gesehen?« fragte Raskolnikow beunruhigt.

      »Nur ganz zufällig … Ich habe immer die Empfindung, als ob Sie mir einigermaßen geistesverwandt wären … Aber seien Sie ganz unbesorgt; ich verstehe mit Menschen umzugehen und bin immer recht wohl gelitten gewesen; ich habe mit Falschspielern ganz angenehm zusammengelebt, und mit dem Fürsten Swirbej, einem entfernten Verwandten von mir und hohen Würdenträger, habe ich mich gut zu stellen gewußt, und ich habe Witz genug gehabt, der Frau Prilukowa etwas Hübsches über die Raffaelische Madonna ins Album zu schreiben; und ich habe mit Marfa Petrowna sieben Jahre lang still und häuslich auf dem Gute gelebt, und ich habe in früheren Zeiten manchmal im Nachtasyl am Heumarkt geschlafen, und nun werde ich vielleicht mit Berg eine Fahrt mit dem Luftballon unternehmen.«

      »Gut, gut. Gestatten Sie eine Frage: Treten Sie Ihre Reise bald an?«

      »Was für eine Reise?«

      »Nun, Sie sprachen doch vorhin von einer Reise.«

      »Von einer Reise? Ach ja! … Richtig, ich sagte Ihnen davon … Nun, das ist eine umfassende Frage … Wenn Sie aber wüßten, wonach Sie sich da erkundigt haben!« fügte er hinzu und brach in ein lautes, kurzes Gelächter aus. »Aber vielleicht verheirate ich mich auch, statt wegzureisen; ich stehe schon durch eine Vermittlerin wegen eines jungen Mädchens in Verhandlung.«

      »Hier?«

      »Ja.«

      »Wie haben Sie denn das schon fertiggebracht?«

      »Aber mit Awdotja Romanowna möchte ich doch zu gern noch einmal sprechen. Ich bitte Sie in vollem Ernste, mir dazu behilflich zu sein. Nun, auf Wiedersehen! … Ach ja! Das hätte ich ja beinahe vergessen! Teilen Sie doch Ihrer Schwester mit, Rodion Romanowitsch, daß sie in Marfa Petrownas Testamente mit dreitausend Rubel bedacht ist. Sie kann sich bestimmt darauf verlassen. Marfa Petrowna hat, eine Woche ehe sie starb, ihre Anordnungen für den Todesfall getroffen, und das geschah in meiner Gegenwart. In zwei bis drei Wochen wird Awdotja Romanowna das Geld erhalten können.«

      »Sagen Sie die Wahrheit?«

      »Gewiß. Teilen Sie es ihr nur mit. Nun, ich empfehle mich. Ich wohne gar nicht weit von Ihnen.«

      Beim Hinausgehen stieß Swidrigailow in der Tür mit Rasumichin zusammen.

      II

      Es war schon fast acht Uhr; beide machten sich eilig nach dem Bakalejewschen Hotel garni auf, um noch vor Lushin dort einzutreffen.

      »Nun, wer war denn das?« fragte Rasumichin, als sie auf die Straße traten.

      »Das war Swidrigailow, eben jener Gutsbesitzer, in dessen Hause meine Schwester Gouvernante war und schwer gekränkt wurde. Infolge der Liebesanträge, mit denen er ihr zusetzte, verließ sie ihre Stellung; sie wurde nämlich von seiner Frau, Marfa Petrowna, aus dem Hause gejagt. Diese Marfa Petrowna hat dann später den wahren Sachverhalt erfahren und Dunja um Verzeihung gebeten; jetzt ist sie ganz plötzlich gestorben. Meine Mutter und meine Schwester sprachen heute morgen von ihr. Ich weiß nicht recht, warum, aber ich fürchte mich sehr vor diesem Menschen. Gleich nach der Beerdigung seiner Frau ist er hierhergereist. Er hat ein ganz sonderbares Wesen und verfolgt energisch irgendein bestimmtes Ziel … Es macht den Eindruck, als wüßte er irgend etwas … Dunja muß vor ihm beschützt werden, … das wollte ich auch dir sagen, hörst du?«

      »Beschützen! Was kann er ihr denn tun? Na, aber ich danke dir, Rodja, daß du so zu mir sprichst … Wir wollen sie schon beschützen; das wollen wir!… Wo wohnt er denn?«

      »Das weiß ich nicht.«

      »Warum hast du ihn nicht gefragt? Schade! Aber das werde ich bald herausbekommen!«

      »Hast du ihn gesehen?« fragte Raskolnikow nach einem kurzen Schweigen.

      »Jawohl, ich habe ihn mir gemerkt, ordentlich gemerkt.«

      »Hast du ihn auch genau gesehen, deutlich gesehen?« fragte Raskolnikow nochmals.

      »Aber ja! Ich habe ihn ganz deutlich in der Erinnerung; aus tausend Menschen will ich ihn herauserkennen; ich habe für Physiognomien ein gutes Gedächtnis.«

      Wieder schwiegen sie ein Weilchen.

      »Hm! … Na ja …«, murmelte Raskolnikow. »Sonst, weißt du, … ich dachte schon, … es scheint mir immer, … daß das vielleicht nur eine Sinnestäuschung von mir ist.«

      »Was willst du damit sagen? Ich verstehe dich nicht recht.«

      »Ihr sagt doch alle«, fuhr Raskolnikow fort und verzog den Mund zu einem Lächeln, »ich wäre verrückt; jetzt eben hatte ich nun auch die Empfindung, daß ich vielleicht wirklich verrückt wäre und nur eine Vision gehabt hätte.«

      »Aber was redest du da?«

      »Ja, wer weiß? Vielleicht bin ich tatsächlich verrückt, und alle Ereignisse dieser letzten Tage haben sich nur in meiner Einbildung zugetragen …«

      »Ach, Rodja! Das Gespräch mit dem Menschen hat dich wieder aufgeregt! … Was hat er denn gesagt? Warum ist er zu dir gekommen?«

      Raskolnikow antwortete nicht; Rasumichin überlegte eine Minute lang; dann begann er:

      »Nun, dann höre mal meinen Bericht an. Ich bin schon einmal bei dir gewesen, aber da schliefst du. Darauf aßen wir zu Mittag, und dann ging ich zu Porfirij. Sametow war immer noch bei ihm. Ich wollte ein Gespräch über die Sache anfangen, aber es gelang mir nicht recht; ich konnte es immer nicht in der richtigen Weise in Gang bringen. Es sah aus, als ob sie mich nicht verständen und nicht verstehen könnten, aber gar nicht verlegen wären. Ich nahm mir Porfirij beiseite ans Fenster und fing an zu sprechen; aber ich weiß nicht, es wurde wieder nichts Rechtes: er sah zur Seite, und ich sah zur Seite. Schließlich hielt ich ihm die Faust vors Gesicht und sagte, ich würde ihn zermalmen, so in verwandtschaftlicher Weise. Aber er sah mich bloß an. Ich spuckte aus und ging weg, und damit war die Sache zu Ende. Dumm, sehr dumm! Mit Sametow habe ich kein Wort gesprochen. Aber nun sieh mal: ich dachte zuerst, ich hätte die Sache noch mehr verdorben; aber als ich die Treppe hinunterstieg, kam mir ein Gedanke oder vielmehr eine Art Erleuchtung: warum machen wir beide, du und ich, uns eigentlich soviel Sorge und Mühe? Ja, wenn für dich eine Gefahr bestände, na, dann natürlich! Aber was geht es dich an? Du hast ja mit der Geschichte nichts zu tun, also scher dich nicht um die Kerle! Wir werden nachher noch weidlich über sie lachen, und ich würde sie an deiner Stelle noch absichtlich irreführen. Wie sie sich nachher schämen werden! Scher dich nicht um sie; nachher können wir sie auch durchprügeln, aber jetzt wollen wir über sie lachen!«

      »Gewiß, selbstverständlich!« antwortete Raskolnikow.

      ›Aber was wirst du morgen sagen?‹ dachte er bei sich. Sonderbarerweise war ihm bisher noch nie der Gedanke gekommen: ›Was wird Rasumichin dazu sagen, wenn er es erfährt?‹ Bei diesem Gedanken blickte Raskolnikow ihn prüfend an.


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