Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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haben Sie denn uns gegenüber? Und einem Menschen wie Sie sollte ich meine Dunja geben? Gehen Sie nur fort, und lassen Sie uns künftig ganz in Ruhe! Wir tragen selbst die Schuld, weil wir uns auf eine so unnoble Sache eingelassen haben, und ich am allermeisten …«

      »Aber Sie haben mich«, sprudelte Lushin in seiner Wut heraus, »durch Ihr gegebenes Wort gebunden, von dem Sie sich jetzt lossagen wollen, Pulcheria Alexandrowna, … und … und schließlich, schließlich bin ich dadurch sozusagen zu Ausgaben verleitet worden …«

      Diese letzte dreiste und taktlose Behauptung entsprach so sehr dem gesamten Charakter Lushins, daß Raskolnikow, der vor Zorn und vor dem Bemühen, sich zu beherrschen, ganz bleich war, sich nicht mehr halten konnte und laut auflachte. Pulcheria Alexandrowna aber geriet außer sich.

      »Zu Ausgaben? Zu was für Ausgaben denn? Sie meinen doch wohl nicht etwa gar unsern Koffer? Den hat ja doch ein Schaffner Ihnen zu Gefallen umsonst herbefördert. Mein Gott, und wir sollen Sie gebunden haben! Besinnen Sie sich doch nur, Pjotr Petrowitsch! Sie sind es ja gewesen, der uns an Händen und Füßen gebunden hatte, nicht wir Sie!«

      »Hör auf, Mama, bitte, hör auf!« bat Dunja. »Pjotr Petrowitsch, seien Sie so gut und gehen Sie!«

      »Ich gehe; nur noch ein letztes Wort!« sagte er; alle Selbstbeherrschung hatte er verloren. »Ihre Frau Mutter hat, wie es scheint, ganz vergessen, daß ich sozusagen trotz der in der ganzen Stadt über Ihren Ruf in Umlauf befindlichen Gerüchte gewillt war, Sie zu heiraten. Wenn ich so Ihretwegen auf die öffentliche Meinung keine Rücksicht nahm und Ihren Ruf wiederherstellte, so hätte ich doch natürlich auf eine Gegenleistung hoffen und sogar von Ihrer Seite Dankbarkeit verlangen können … Und erst jetzt sind mir die Augen aufgegangen. Ich sehe nun selbst ein, daß ich vielleicht sehr übereilt gehandelt habe, indem ich auf die Stimme der gesamten Gesellschaft keine Rücksicht nahm …«

      »Jetzt reicht es aber!« rief Rasumichin, sprang vom Stuhle auf und schickte sich an, tätlich zu werden.

      »Sie sind ein schlechter, gemeiner Mensch!« sagte Dunja.

      »Schweig und rühr ihn nicht an!« rief Raskolnikow und hielt Rasumichin zurück; dann trat er ganz nahe an Lushin heran, fast Gesicht an Gesicht, und sagte leise, langsam und deutlich: »Gehen Sie hinaus! Und kein Wort weiter, sonst …«

      Pjotr Petrowitsch blickte ihn einige Sekunden lang mit blassem, wutverzerrtem Gesichte an; darauf wandte er sich um und ging hinaus. Selten hat wohl jemand einen so grimmigen Haß gegen einen andern in seinem Herzen davongetragen wie dieser Mensch gegen Raskolnikow. Ihm und nur ihm allein maß er die Schuld an allem Geschehenen bei. Merkwürdigerweise bildete er sich, als er schon die Treppe hinunterstieg, immer noch ein, daß die Sache vielleicht doch noch nicht ganz verloren sei und, soweit dabei die Damen allein in Betracht kämen, sich sogar recht wohl noch in Ordnung bringen lasse.

      III

      Die Hauptsache war, daß er bis zum letzten Augenblicke einen solchen Ausgang in keiner Weise erwartet hatte. Noch bis ganz zuletzt hatte er die Oberhand zu haben geglaubt und gar nicht an die Möglichkeit gedacht, daß sich zwei arme, schutzlose Frauen seiner Gewalt entziehen könnten. Zu dieser Überzeugung trugen seine Eitelkeit und jener hohe Grad von Selbstbewußtsein viel bei, den man am treffendsten als ein »Verliebtsein in sich selbst« bezeichnen kann. Pjotr Petrowitsch, der sich aus sehr niedriger Lebenslage hinaufgearbeitet hatte, hatte sich eine übermäßige Bewunderung seiner eigenen Person angewöhnt; er hegte eine sehr hohe Meinung von seinem Verstande und seinen Fähigkeiten und liebäugelte sogar manchmal, wenn er allein war, im Spiegel mit seinem Gesicht. Mehr aber als alles andre in der Welt liebte und schätzte er sein Geld, das er sich durch Arbeit und mancherlei andre Mittel erworben hatte; denn dieses Geld stellte ihn, wie er meinte, mit allen, die ihn geistig überragten, doch wieder auf gleiche Stufe.

      Als er jetzt Dunja mit Bitterkeit daran erinnert hatte, daß er trotz des üblen Geredes über sie gewillt gewesen sei, sie zu heiraten, hatte Pjotr Petrowitsch vollkommen seiner Überzeugung gemäß gesprochen; er empfand sogar eine tiefe Entrüstung über einen solchen schwarzen Undank, wie er es bei sich nannte. Und doch war er schon damals, als er um Dunja anhielt, von der Sinnlosigkeit aller dieser Klatschereien völlig überzeugt gewesen; sie waren ja auch von Marfa Petrowna selbst in aller Öffentlichkeit als unwahr erklärt worden und wurden längst von niemand in der Stadt mehr aufrechterhalten, wo man vielmehr nun eifrig für Dunja Partei nahm. Auch hätte er selbst jetzt nicht in Abrede gestellt, daß er das alles schon damals gewußt hatte. Aber trotzdem rechnete er sich seinen Entschluß, Dunja zu sich heraufzuheben, hoch an und hielt ihn für eine große, edle Tat. Indem er dies soeben Dunja gegenüber ausgesprochen hatte, hatte er einen geheimen, gern gehegten Gedanken geäußert, an dem er selbst schon mehr als einmal seine Freude gehabt hatte, und er fand es unbegreiflich, daß andre seiner edlen Tat ihre Bewunderung versagten. Als er damals Raskolnikow seinen Besuch machte, war er mit dem Gefühle eines Wohltäters eingetreten, der sich anschickt, die Früchte seines Edelmutes zu ernten und süß mundende Lobeserhebungen zu hören. Und als er jetzt die Treppe hinunterstieg, hielt er sich natürlich für tief beleidigt und verkannt.

      Dunja war ihm geradezu unentbehrlich; daß er auf sie verzichten sollte, war ihm ganz undenkbar. Schon lange, schon seit mehreren Jahren hatte er mit wonnigem Behagen von seiner künftigen Heirat geträumt, hatte aber immer noch mehr Geld dazugespart und gewartet. Mit Entzücken hatte er sich im geheimsten Winkel seines Innern das Bild eines Mädchens ausgemalt: wohlgesittet sollte sie sein und arm (arm unter allen Umständen), noch sehr jung, sehr hübsch, von guter Herkunft, gebildet, sehr schüchtern; sie müßte bereits sehr viel Not und Elend durchgemacht haben, sich völlig an ihn schmiegen, ihn ihr ganzes Leben lang als ihren Retter betrachten, voll Ehrfurcht zu ihm aufschauen, sich ihm unterordnen und ihn, einzig und allein ihn, bewundern. Wieviel hübsche Szenen, wieviel wonnige Idylle hatte ihm nicht über dieses interessante, lockende Thema seine Phantasie vor Augen geführt, wenn er sich in der Stille von seinen Geschäften erholte! Und siehe da, der Traum so vieler Jahre hatte sich beinahe schon verwirklicht: Awdotja Romanownas Schönheit und Bildung hatten ihn in staunende Bewunderung versetzt, ihre hilflose Lage ihn gewaltig gereizt. Hier hatte er noch erheblich mehr gefunden als das, wovon er bisher geschwärmt hatte: er hatte ein stolzes, charakterfestes, tugendhaftes Mädchen gefunden, das ihn an Bildung und geistiger Entwicklung überragte (das fühlte er), und solch ein Wesen sollte ihm nun das ganze Leben lang für seine edle Tat in Sklavenart dankbar sein und sich in tiefster Ehrfurcht vor ihm beugen, und er würde ihr unumschränkter, allgewaltiger Herr und Gebieter sein! … Und nun war damit auch noch sehr glücklich zusammengetroffen, daß er kurz vorher nach langem Überlegen und Zögern sich endlich definitiv entschlossen hatte, seine Laufbahn zu ändern und in einen weiteren Wirkungskreis einzutreten; dadurch hoffte er dann auch allmählich in eine höhere Gesellschaftsschicht einzudringen, was schon längst der Gegenstand seiner sehnsüchtigen Gedanken gewesen war … Kurz, er hatte sich entschlossen, es mit dem Leben in Petersburg zu versuchen. Er wußte, daß sich durch Frauen sehr viel erreichen läßt. Der von einer reizenden, tugendhaften, gebildeten Frau ausgehende Zauber konnte ihm seine Karriere erstaunlich erleichtern, einflußreiche Leute an ihn heranziehen, ihm einen Glorienschein verleihen. Und nun waren alle diese Hoffnungen vernichtet! Diese plötzliche, ungeheuerliche Auflösung der Verlobung wirkte auf ihn wie ein Blitzstrahl. Aber das war doch nur ein schändlicher Scherz, ein Unsinn! Er hatte ihnen ja nur ein bißchen imponieren wollen, war nicht einmal dazu gekommen, sich ordentlich auszusprechen; er hatte einfach nur ein wenig gespaßt, sich etwas gehenlassen, und nun hatte die Sache ein so ernstes Ende genommen! Und schließlich, er liebte ja Dunja sogar schon auf seine Weise, er herrschte über sie bereits in seinen Zukunftsträumen – und nun plötzlich …! Nein! Morgen, gleich morgen mußte alles wieder in Ordnung gebracht, ausgeglichen, repariert werden; vor allen Dingen aber mußte dieser arrogante Milchbart, der an allem schuld war, aus dem Wege geräumt werden. Mit einer unbehaglichen Empfindung erinnerte er sich unwillkürlich auch an Rasumichin, … indessen in dieser Hinsicht beruhigte er sich bald wieder: das wäre ja noch besser, wenn auch der mit ihm auf gleiche Stufe gestellt würde! Vor wem er sich aber wirklich im Ernste fürchtete, das war Swidrigailow … Kurz, es standen ihm mancherlei unangenehme Dinge, viele Scherereien bevor …

      »Nein, ich bin am meisten schuld!« sagte Dunjetschka und umarmte und küßte ihre Mutter. »Ich habe mich


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