Gesammelte Werke. Джек Лондон
Nach vielem Hin und Her, zahllosen Telefongesprächen und unendlicher Schimpferei wurde eine Nachtsitzung in Kellys Kontor abgehalten. Kelly steckte bis über die Ohren in Geschäften, und überdies hatte er Pech. Er hatte sich Danny Ward aus New York verschrieben und einen Boxkampf zwischen ihm und Billy Carthey arrangiert, der in drei Wochen stattfinden sollte, und jetzt musste Carthey seit zwei Tagen, sorgsam versteckt vor den Sportreportern, wegen einer argen Verletzung das Bett hüten. Es gab keinen anderen, der für ihn eintreten konnte. Kelly hatte wie verrückt nach jedem annehmbaren Boxer der Leichtgewichtsklasse im Osten telegrafiert, aber alle waren durch Vereinbarungen und Kontrakte gebunden. Aber jetzt hatte er eine Hoffnung, wenn auch nur eine schwache.
»Sie haben viel Mut!« sagte Kelly zu Rivera.
In Riveras Augen blitzte es boshaft auf, aber das Gesicht bewahrte seinen unerschütterlichen, kalten Ausdruck.
»Ich kann Ward erledigen«, war alles, was er sagte.
»Wie können Sie das wissen? Haben Sie ihn je boxen sehen?«
Rivera schüttelte den Kopf.
»Mit einer Hand und mit geschlossenen Augen macht er Quetschkartoffeln aus Ihnen.«
Rivera zuckte die Achseln.
»Haben Sie nichts dazu zu sagen?« knurrte der Veranstalter.
»Ich kann ihn erledigen.«
»Haben Sie überhaupt je gekämpft?« fragte Michael Kelly. Michael war der Bruder des Veranstalters, betrieb das Yellowstone-Wettbüro und verdiente viel Geld an den Boxkämpfen.
Rivera knurrte ihn grimmig an.
Der Sekretär, ein junger Mann von ausgeprägtem Sportlertyp, räusperte sich höhnisch.
»Nun, Sie kennen ja Roberts«, brach Kelly das peinliche Schweigen. »Er hätte schon hier sein können. Aber setzen Sie sich und warten Sie, wenn Sie auch Ihrem Aussehen nach nicht viele Chancen haben. Ich kann dem Publikum keinen faulen Kampf bieten. Die Plätze vorn am Ring werden mit fünfzehn Dollar bezahlt, wie Sie vielleicht wissen.«
Als Roberts kam, war er offensichtlich angesäuselt. Er war ein großer, schlanker, schlottriger Mensch, und sein Gang war wie seine Rede, ruhig und schleppend.
Kelly ging gleich auf den Kern der Sache los.
»Sagen Sie mal, Roberts, Sie haben doch mit der Entdeckung dieses kleinen Mexikaners geprahlt. Wie Sie wissen, hat Carthey sich den Arm gebrochen. Und nun hat dieser kleine gelbe Bursche die Dreistigkeit, heut herzukommen und zu sagen, dass er für Carthey in den Ring gehen will. Was meinen Sie dazu?«
»Schon in Ordnung, Kelly«, lautete die schleppende Antwort. »Er kann boxen.«
»Sie wollen mir doch nicht einreden, dass er mit Ward fertig werden kann«, sagte Kelly bissig.
Roberts dachte nach.
»Nein, das will ich nicht behaupten. Ward ist überhaupt nicht zu schlagen. Aber er wird auch nicht im Handumdrehen mit Rivera fertig. Ich kenne Rivera. Er gibt sich nie eine Blöße, ich hab’s jedenfalls noch nicht gesehen. Und er boxt mit beiden Händen gleich gut. In jeder Stellung kann er betäubende Schläge austeilen.«
»Na schön. Aber welche Chance hat er? Sie haben Ihr ganzes Leben lang Boxer trainiert. Ich ziehe meinen Hut vor ihrer Sachkenntnis. Kann er dem Publikum etwas fürs Geld geben?«
»Das kann er bestimmt, und dazu wird er Ward tüchtig zu schaffen machen. Sie kennen den Jungen nicht, aber ich kenne ihn. Ich habe ihn entdeckt. Er hat keine schwache Stelle. Er ist der reine Teufel. Wenn jemand Sie fragt, können Sie sagen, dass er ein Hexenmeister ist. Ward und euch allen werden die Augen übergehen. Ich will nicht behaupten, dass er Ward besiegt, aber auf alle Fälle wird er etwas leisten, dass ihr alle den neuen Mann in ihm seht.«
»Schön.« Kelly wandte sich an seinen Sekretär. »Rufen Sie Ward an. Ich hab’ es ihm versprochen, wenn ich es der Mühe wert hielte. Er ist gerade gegenüber im Yellowstone-Büro und setzt wie gewöhnlich.« Kelly wandte sich wieder an Roberts.
»Was trinken?«
Roberts nippte an seinem Glas und schüttete sein Herz aus. »Ich hab’ Ihnen noch gar nicht erzählt, wie ich den kleinen Burschen entdeckt habe. Vor ein paar Jahren tauchte er im Quartier auf. Ich trainierte gerade Prayne für seinen Kampf mit Delaney. Prayne ist ein schlechter Kerl. Es steckt nicht ein Funken Mitleid in ihm. Er hatte seinen Partner furchtbar zugerichtet, und ich konnte keinen finden, der Lust hatte, mit ihm zu trainieren. Da bemerkte ich diesen kleinen, ausgehungerten Mexikaner, der immer herumschlich und zusah. Ich war verzweifelt und wusste nicht, was ich tun sollte. Da holte ich ihn mir, zog ihm die Handschuhe an und puffte ihn hinein. Er war zäher als ungegerbtes Leder, aber schwach. Und dabei kannte er nicht einen Buchstaben vom Alphabet der Boxkunst. Prayne machte Apfelmus aus ihm. Aber er hielt doch zwei Runden durch, ehe er schlapp machte. Es war ausschließlich der Hunger. Ob er zerschlagen war? Sie hätten ihn nicht wiedererkannt. Ich gab ihm einen halben Dollar und was Ordentliches zu essen. Sie hätten seinen Wolfshunger sehen sollen, als er es verschlang. Er hatte seit Tagen keinen Bissen in den Leib gekriegt. Jetzt hat er genug davon, dachte ich. Aber am nächsten Tage kam er wieder, steif und wund, aber darauf versessen, sich wieder einen halben Dollar und ein gutes Mittagessen zu verdienen. Und mit der Zeit wurde er immer tüchtiger. Er ist der geborene Boxer und unglaublich zäh. Er hat kein Herz. Er ist der reine Eiszapfen. Und in der ganzen Zeit, die ich ihn jetzt kenne, hat er keine zehn zusammenhängenden Worte gesprochen. Er schwatzt nicht, aber er tut seine Arbeit.«
»Ich hab’ ihn gesehen«, sagte der Sekretär. »Er hat ziemlich viel für Sie gearbeitet.«
»All die großen Bürschlein haben es mit ihm versucht«, antwortete Roberts. »Und er hat von ihnen gelernt. Ich hab’ manches liebe Mal gesehen, wie er sie vertobakte. Aber er hat nie seine ganze Seele hineingelegt. Ich glaube, er hat das Spiel nie so recht geliebt. Es sieht jedenfalls so aus.«
»Er hat in den letzten Monaten ziemlich viel in den kleinen Klubs gekämpft.«
»Das stimmt. Ich weiß gar nicht, was in ihn gefahren ist. Plötzlich hat er sein Herz dafür entdeckt. Er ging mächtig drauflos und schlug sämtliche lokale Größen. Schien Geld zu brauchen und gewann auch eine ganze Menge, wenn man es seiner Kleidung auch nicht ansehen kann. Ein merkwürdiger Mensch! Niemand weiß, was er treibt. Niemand weiß, wo er seine Zeit verbringt. Mitten in der Arbeit läuft er plötzlich weg und verschwindet für den Rest des Tages. Manchmal bleibt er wochenlang weg. Aber man kann sagen, was man will, er hört nicht darauf.