Gesammelte Werke. Джек Лондон

Gesammelte Werke - Джек Лондон


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die­sen See ström­te ein klei­ner Fluss, des­sen Was­ser nicht mil­chig war. An die­sem Fluss wuchs auch Schilf, des­sen ent­sann er sich noch, aber Wald war nicht da. Die­sem Fluss woll­te er bis zur ers­ten Was­ser­schei­de fol­gen. Die woll­te er dann über­schrei­ten, bis er den nächs­ten Fluss traf, der nach Wes­ten floss, und der ihn bis zu dem grö­ße­ren Dea­se-Fluss füh­ren muss­te. Hier wür­de er un­ter ei­nem um­ge­kipp­ten Kanu und mit vie­len großen Stei­nen be­deckt ihr De­pot fin­den. In die­sem De­pot be­fan­den sich Mu­ni­ti­on für sein lee­res Ge­wehr, An­gel­ha­ken und -lei­nen, ja so­gar ein klei­nes Netz – kurz, al­les Gerät, das zum Fan­gen und Tö­ten der ver­schie­de­nen Tie­re not­wen­dig war. Dort wür­de er auch Mehl – frei­lich nicht sehr viel –, ein Stück Räu­cher­speck und ei­ni­ge Boh­nen fin­den.

      Wahr­schein­lich war­te­te auch Bill dort auf ihn. Sie konn­ten dann ge­mein­sam den Dea­se bis zum Gro­ßen Bä­ren­see hin­un­ter­pad­deln. Den über­quer­ten sie dann in süd­li­cher Rich­tung, im­mer wei­ter nach Sü­den, bis sie den Ma­cken­zie er­reich­ten. Und wei­ter, im­mer wei­ter nach Sü­den wür­den sie zie­hen. Wäh­rend der Win­ter ih­nen ver­geb­lich nach­lief und die Eis­krus­te selbst die Stru­del er­star­ren ließ und die Tage kalt und klin­gend klar mach­te, wür­den sie selbst im­mer wei­ter nach Sü­den wan­dern, bis sie eine be­hag­li­che Sta­ti­on der Hud­son-Bay-Com­pa­ny er­reich­ten, wo der Wald hoch und reich wuchs und wo es Le­bens­mit­tel ohne Ende gab.

      Sol­che Ge­dan­ken schös­sen durch den Kopf des Man­nes, der sich lang­sam und müh­se­lig vor­wärts kämpf­te. Aber wenn er auch große An­for­de­run­gen an sei­nen Kör­per stell­te, so war doch der Kampf, den er mit sei­ner See­le führ­te, nicht we­ni­ger hart. Ver­ge­bens ver­such­te er sich vor­zutäu­schen, dass Bill ihn gar nicht ver­las­sen hät­te, dass Bill si­cher beim De­pot auf ihn war­ten wür­de. Er war ge­zwun­gen, aus al­len Kräf­ten an die­sem Glau­ben fest­zu­hal­ten, denn sonst wäre er gar nicht im­stan­de ge­we­sen wei­ter­zu­schrei­ten; er hät­te sich ein­fach hin­ge­legt und wäre ge­stor­ben. Und als der düs­ter glim­men­de Son­nen­ball lang­sam hin­ter dem nord­west­li­chen Hü­gel­rand ver­schwun­den war, ging er in Ge­dan­ken, im­mer wie­der, je­den Zoll durch, den Bill und er süd­wärts zie­hen muss­ten, um dem kom­men­den Win­ter zu ent­flie­hen. Und ein Mal über das an­de­re stell­te er sich die Le­bens­mit­tel im De­pot und die, wel­che er bei der Hud­son-Bay-Sta­ti­on er­hal­ten wür­de, vor Au­gen. Seit zwei Ta­gen hat­te er nichts zu es­sen be­kom­men, und schon seit lan­gem hat­te er nicht ge­ges­sen, was er zu es­sen wünsch­te. Manch­mal blieb er ste­hen und pflück­te die blas­sen Moos­bee­ren, steck­te sie in den Mund, kau­te und ver­schlang sie. Eine Moos­bee­re be­steht aber nur aus ei­nem klei­nen, von et­was Flüs­sig­keit um­ge­be­nen Sa­men. Im Mun­de ver­schwin­det die Flüs­sig­keit, und der Sa­men, der üb­rig­bleibt, schmeckt bit­ter und scharf. Der Mann wuss­te ge­nau, dass die Bee­re kei­nen Nähr­wert hat, aber er kau­te sie trotz­dem ge­dul­dig mit ei­ner Hoff­nungs­freu­dig­keit, die grö­ßer als al­les Wis­sen war und sich den Teu­fel um alle prak­ti­schen Er­fah­run­gen scher­te.

      Ge­gen neun Uhr stieß er sich den Zeh an ei­nem Stein, und vor lau­ter Mü­dig­keit und Schwä­che stol­per­te er und stürz­te. Er lag ei­ni­ge Zeit auf dem feuch­ten Bo­den, ohne die Kraft zu ha­ben, wie­der auf­zu­ste­hen. Dann ge­lang es ihm, die Ge­päck­rie­men ab­zu­strei­fen, und müh­se­lig und schwer­fäl­lig setz­te er sich auf. Es war noch nicht ganz dun­kel ge­wor­den, und in der zö­gern­den Däm­me­rung such­te er mit den Hän­den auf dem Bo­den, um et­was Moos zu fin­den, das tro­cken ge­nug war. Als er einen klei­nen Hau­fen zu­sam­men­ge­schabt hat­te, mach­te er ein Feu­er – ein schwach glim­men­des, rau­chen­des Feu­er und stell­te den Zinn­topf auf, um Was­ser zu ko­chen.

      Er öff­ne­te sein Bün­del, und das ers­te, was er dann tat, war, dass er sei­ne Streich­höl­zer zähl­te. Es wa­ren im gan­zen sie­ben­und­sech­zig. Er zähl­te sie drei­mal, um sei­ner Sa­che si­cher zu sein. Dann teil­te er sie in drei Häuf­chen und pack­te je­des für sich in Öl­pa­pier ein. Das ers­te Häuf­chen tat er hier­auf in sei­nen lee­ren Ta­baks­beu­tel, das zwei­te in das Schweiß­le­der sei­nes arg mit­ge­nom­me­nen Hu­tes, wäh­rend er das drit­te auf der Brust un­ter dem Hemd ver­barg. Als das ge­tan war, über­kam ihn plötz­lich ein pa­ni­scher Schre­cken, er pack­te sie alle wie­der aus und zähl­te sie noch ein­mal. Es wa­ren im­mer noch sie­ben­und­sech­zig.

      Er trock­ne­te sei­ne Fuß­be­klei­dung am Feu­er. Die Mo­kass­ins wa­ren zu durch­näss­ten Fet­zen ge­wor­den. Die Über­zugst­rümp­fe wa­ren durch­lö­chert, sei­ne Füße zer­schun­den und blu­tig. In sei­nem Fuß­ge­lenk häm­mer­te es, und er un­ter­such­te es des­halb. Es war so stark an­ge­schwol­len, dass es eben­so dick wie das Knie war. Er riss einen lan­gen Strei­fen von ei­ner sei­ner bei­den De­cken und band ihn straff um das Fuß­ge­lenk. Er riss wei­te­re Strei­fen ab und band sie um sei­ne Füße, da­mit sie ihm gleich­zei­tig als St­rümp­fe und als Mo­kass­ins die­nen konn­ten. Dann trank er den gan­zen Topf hei­ßes Was­ser aus, zog sei­ne Uhr auf und kroch in sei­nen Schlaf­sack.

      Er schlief wie ein To­ter. Die kur­ze Dun­kel­heit um Mit­ter­nacht kam und schwand. Im Nord­os­ten ging die Son­ne auf – oder rich­ti­ger ge­sagt, die Däm­me­rung brach drü­ben an, denn die Son­ne selbst blieb hin­ter grau­en Wol­ken ver­bor­gen.

      Um sechs Uhr wach­te er auf. Er lag ru­hig auf dem Rücken, starr­te in den grau­en Him­mel em­por und fühl­te nur das eine, dass er hung­rig war. Als er sich auf die Sei­te leg­te und sich auf den Ell­bo­gen stütz­te, hör­te er zu sei­nem Stau­nen ein lau­tes Schnar­chen und sah einen Renn­tier­bul­len, der ihn wach­sam und neu­gie­rig be­trach­te­te. Das Tier war kaum zwan­zig Schritt von ihm ent­fernt, und im sel­ben Au­gen­blick schoss dem Mann die Vi­si­on und der Ge­schmack ei­nes Renn­tier­bra­tens, der auf dem Feu­er zisch­te und schmor­te, durch den Kopf. Mecha­nisch streck­te er die Hand nach dem lee­ren Ge­wehr aus, ziel­te und drück­te ab. Der Bul­le schnauf­te und lief in wei­ten Sprün­gen da­von. Sei­ne Hufe klap­per­ten und schlu­gen, wäh­rend er über die Fels­blö­cke hin­über­setz­te.

      Der Mann fluch­te und schleu­der­te das lee­re Ge­wehr weit von sich. Laut stöh­nend ver­such­te er, auf die Bei­ne zu kom­men. Das war eine lang­sa­me und schwie­ri­ge Ar­beit. Die Füße, die noch nicht an ihre neu­en Hül­len ge­wöhnt wa­ren, müh­ten sich ab und glit­ten hin und her; je­des Beu­gen und Stre­cken ge­lang nur durch eine un­ge­heu­re Wil­lens­an­span­nung. Als er end­lich auf den Fü­ßen stand, brauch­te er wie­der lan­ge Zeit, um sich auf­zu­rich­ten und wie ein nor­ma­ler Mensch da­zu­ste­hen.

      Er kroch auf eine klei­ne Bo­den­er­hö­hung und sah sich um. Es gab kei­nen Baum, kei­nen Strauch – nur ein grau­es Meer von Moos, das von den grau­en Fel­sen, den grau­en Pfüt­zen und den klei­nen grau­en Bäch­lein kaum zu un­ter­schei­den war. Der Him­mel war eben­falls grau. Kei­ne Son­ne oder auch nur die An­deu­tung ei­ner Son­ne war zu se­hen. Er ahn­te nicht mehr, wo Nor­den sein moch­te, und hat­te ganz den Weg ver­ges­sen, den er in der vo­ri­gen Nacht hier­her­ge­wan­dert war. Aber er war nicht ver­lo­ren. Das wuss­te er. Bald kam er in das »Land der klei­nen Zwei­ge«. Er hat­te das Ge­fühl, dass es ir­gend­wo links vor ihm lie­gen muss­te, gar nicht so weit ent­fernt – viel­leicht schon hin­ter dem nächs­ten Hü­gel.

      Er kehr­te zu sei­nem La­ger­platz zu­rück, um sein Bün­del für die Wei­ter­fahrt zu schnü­ren. Zu­nächst ver­ge­wis­ser­te er sich, dass alle drei Päck­chen


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