Gesammelte Werke. Джек Лондон
»Sie hat gelogen, Frona. Diese Unglückliche, diese Bella, sie hat gelogen! Vielleicht ist sie wahnsinnig gewesen. Aber wie konnte sie mich beschuldigen! Ich habe doch für sie und Borg gekämpft – und wie ich gekämpft hab’! Nein, sie war wahnsinnig.«
»Fang beim Anfang an, Vincent! Ruf dir alles ins Gedächtnis zurück. Jeden Schritt muss ich wissen. Da … ich hol’ dir Wasser … dreh dir eine Zigarette, komm, Lieber, das wird dir guttun. Dass deine Lippen nicht mehr so beben! Jetzt brauchst du alle Kraft. Nimm dich zusammen.«
Er setzte sich zurück und rauchte. Fronas machtvollem Zuspruch war es wirklich gelungen, seine Gedanken wieder in klarere Bahnen zu bringen.
»Es muss gegen ein Uhr nachts gewesen sein. Ich schlief. Auf einmal bin ich aufgewacht. Jemand hat die Lampe angezündet. Ich dachte, dass es Borg wäre. Das geht mich nichts an, dachte ich, und wollte wieder einschlafen. Auf einmal waren zwei fremde Männer in der Hütte. Beide trugen Masken. Sie hatten die Ohrenklappen heruntergezogen. Ich konnte nichts sehen als ihre Augen. Da ist eine Gefahr, dachte ich. Das war alles, was ich im ersten Augenblick dachte. Eine Sekunde lang blieb ich ganz still liegen und überlegte. Borg hatte sich meine Pistole geliehen, ich hatte keine Waffe. Mein Gewehr stand an der Tür. Ich muss zu meinem Gewehr, das war mir klar. Ganz leise setze ich den Fuß auf den Boden, aber da dreht der eine Mann sich zu mir um und knallt seinen Revolver ab. Das war der erste Schuss, weißt du, der, den La Flitche nicht gehört hat. Dann ging der Kampf los, dabei wurde die Tür aufgerissen, und so kam es, dass er die drei letzten Schüsse gehört hat. Der Mann stand mir ganz nah; ich bin so plötzlich aus der Koje herausgesprungen, so unerwartet, dass sein Schuss fehlging. Dann haben wir uns gepackt, dann wälzten wir uns auf der Erde. Plötzlich war Borg dabei, aber der andere Mann griff ihn und Bella an. Dieser andere Mann, der war es, der sie beide ermordet hat. Mein Gegner hatte mit mir genug zu tun, und ich … ich … Himmel, war das ein Kampf! Du hast gehört, was der eine Zeuge gesagt hat, wie die Hütte zerstört war. Wir haben uns gewälzt und miteinander getobt, bis der Tisch und die Stühle und alles zerschlagen war. Ach, Frona, es war schrecklich. Dieser Borg hat sein Leben auch nicht billig verkauft, und Bella hat ihm tapfer geholfen. Sie war gleich verwundet und hat laut gestöhnt. Aber ich konnte ihnen nicht beistehen. Der Kerl, mit dem ich zu tun hatte, war nicht so leicht unterzukriegen. Aber endlich war ich doch der Stärkere. Ich hatte ihn auf den Rücken gekriegt, mit meinen Knien lag ich fest auf seinen Armen und hatte die Hand an seiner Kehle, fest, fest genug! Aber da war der andere Mann mit seiner Arbeit fertig geworden, und jetzt fiel er auch über mich her. Was soll ich tun? Einer gegen zwei! Und ich war doch ganz am Ende, keinen Wind mehr in der Lunge, ganz am Ende … Sie schmetterten mich in eine Ecke, dass mir der Schädel dröhnte, und dann sind sie entkommen. Ein paar Minuten habe ich gebraucht, bis ich wieder zu mir kam. Ich war so von Sinnen, dass ich ihnen dann nachgerannt bin, ohne Waffe, wie ein Selbstmörder. Dass ich selbst in Verdacht kommen könnte, daran habe ich ja gar nicht gedacht. Aber ich wollte diese Verbrecher nicht entfliehen lassen. Sie sollten ihre Strafe finden. Dabei bin ich auf La Flitche und John gestoßen, und dann … dann weißt du ja alles. Nur das!« stieß er heraus, halb brüllend, halb schluchzend, und dabei schlug er sich mit der Faust vor die Stirn – »nur das begreife ich nicht, und das werde ich nie begreifen: warum Bella mich angeklagt hat! Mich! Mich!!«
Er sah sie flehend an, sie rang die Hände. Es war ihr, als tastete sie mit verbundenen Augen durch eine Wildnis.
»Denk nach, Gregory! Denk nach! Es muss dir noch etwas einfallen. Das sind ja alles keine Beweise. Ich glaube dir’s, aber sie glauben dir nicht …«
»Frona, ich bin doch unschuldig! Ich bin kein Heiliger gewesen, mein Leben lang. Oft bin ich kein guter Mensch gewesen, das weiß ich. Ein Sünder! Ein Sünder! … Aber schau dir diese Hände an: glaubst du, dass diese Hände mit Blut befleckt sind? Frona, du kannst doch nicht denken, dass ich ein Mörder bin.«
»Das Blut auf deinem Ärmel spricht gegen dich.«
»Bedenk doch, die ganze Hütte hat von Blut gedampft! Ich sage dir, von Blut gedampft! Ich habe um mein Leben gekämpft. Wir haben uns durch die ganze Hütte durchgewälzt, aus einer Ecke in die andere, aus einer Blutlache in die andere! Wenn du mir auf mein heiliges Ehrenwort nicht glauben kannst …«
»Gregory, wenn ich es wäre, die das Urteil über dich zu sprechen hätte, dann wärst du jetzt schon frei und rein von jedem Verdacht und könntest von dannen gehen. Aber diese Männer … Du hast keine Zeugen. Die Worte einer sterbenden Frau sind ihnen tausendmal heiliger als die eines lebenden Mannes und noch dazu eines Fremden, eines Mannes, der nicht zu ihnen gehört. Du musst doch einen Grund dafür finden, dass die unglückselige Frau mit einer Lüge auf den Lippen gestorben ist! Hat sie dich gehasst? Hast du ihr oder ihrem Manne etwas zuleide getan?«
Der Mann sank mutlos in sich zusammen, mit eingefallener Brust und hängenden Schultern. Angstbebend klebt er wieder an seinem Stuhl.
»Dann bin ich verloren. Dann werden sie mir morgen den Strick um den Hals legen und mich aufhängen. Frona, ich bin verloren!«
»Sie werden dich nicht hängen! Ich werde es nicht erlauben!«
»Was kannst du tun? Was kannst du denn tun? Du kannst gar nichts tun! Sie haben das Gesetz an sich gerissen, mit Gewalt, sie haben die Macht.«
»Gregory, das Eis auf dem Fluss ist aufgebrochen! Man kann wieder fort! Man kann fliehen! Diese Insel ist kein Gefängnis mehr! Und dann, der Gouverneur oder der Bezirksrichter … sie können jeden Augenblick eintreffen, mit einer Abteilung Polizei! Sie werden einschreiten. Das ist ja alles kein richtiges Gericht. Das darf ja nicht sein. Aber auch wenn Sie nicht kommen … Flucht! Flucht!«
»Es ist unmöglich. Es ist unmöglich! Wir sind zwei, und sie sind viele!«
»Aber mein Vater! Und der Baron Courbertin! Wir sind vier – vier tapfere Menschen, die zusammenhalten, die sind stärker als die ganze Welt, Vincent! Verlass dich auf mich! Verlass dich auf uns!«
Sie küsste ihn und weinte über sein Gesicht, ihre Tränen tropften in seinen offenen Mund. Sie flüsterte ihm all ihre Leidenschaft und ihre Liebe und ihre Kraft zu. Aber er war ein zerbrochener Mensch, und kein Strahl von Hoffnung regte sich in seinem Herzen.
»Verloren, Frona, verloren.«
8
Lange vor Eintritt der Dunkelheit kamen sie über den Kanal, alle, auf die Frona hoffte: ihr Vater, Corliss, der tapfere Baron und der tapfere Del. Sie war gerade in einer der kleinen Hütten, um sich zu erfrischen und ihre Kleider zu wechseln. Die ersten Minuten benutzte ihr Vater, um nach dem geretteten Indianer zu sehen. Der Mann hatte wichtige Nachrichten gebracht, so wichtig, dass Jacob Welses Gesicht düster und ganz verändert war, nachdem er die