Gesammelte Werke. Джек Лондон
Vincent hasste, aber sie begriff nicht, was er zur Sache aussagen konnte. Immer hatte sie ihn für einen groben, aber ehrlichen Burschen gehalten. Einen niedrigen Racheakt traute sie ihm nicht zu. Was würde er sagen? Als er den Eid abgelegt hatte, fragte ihn der Richter nach seiner Beschäftigung.
»Ich suche ›Goldtaschen‹!« rief er herausfordernd.
Goldtaschensuchen ist eine besondere Art der Goldgräberei, an die nur wenige glauben.
»Dann wirst du lang’ herumwühlen müssen, mein Junge«, höhnte ein Mann im Auditorium. »Wenn du nicht vorher verhungerst.«
Del bekam einen roten Kopf: »Herr Vorsitzender«, sagte er, »ich weiß auch, was die Würde des Gerichts ist. Aber das möchte ich ganz bescheiden zu verstehen geben, wenn die Verhandlung vorbei ist, dann kriegt jeder, der sich hier gegen mich was herausnimmt, einen Nasenstüber, dass er bis ›Zehn‹ zu Boden geht und vielleicht noch ’n bisschen länger liegenbleibt.«
»Sprechen Sie zur Sache!« befahl der Vorsitzende und schlug mit dem Hammer auf den Tisch. »Also Goldtaschensucher sind Sie?« Dabei lief über das Gesicht des sonst so sachlichen Mannes dasselbe breite Lachen, wie die meisten Gesichter im Saal es zeigten.
»Den ersten Nasenstüber, der auch aus Versehen in dem werten Brotladen sitzen könnte, Herr Vorsitzender, den verspreche ich Ihnen. Sie wollen nicht glauben, dass ich Goldtaschen finde? Na warten Sie! Fünf Minuten, nachdem der Jüngling da drüben baumelt, können Sie Ihre kostbaren Knochen sortieren, Herr Vorsitzender. Das nur nebenbei, damit Sie Bescheid wissen. Mein Name ist Bishop, wenigstens einstweilen.«
»Das ist zu viel!«
Der Richter warf den Rock ab und krempelte die Ärmel hoch.
»Jetzt nur ran, du Lümmel!«
Bishop ging sofort in Positur, und Frona durfte einen Augenblick hoffen, dass das ganze Gerichtsverfahren sich in eine jener Massenkeilereien auflösen würde, bei der einmal zuschauen zu dürfen, sie sich schon lange wünschte.
Vielleicht war es gerade das, was der brave Bishop erreichen wollte, um aus dem ganzen Lynchgericht eine Farce, aus der Tragödie eine Komödie zu machen? Mit flammenden Augen schaute Frona auf die beiden Männer, die in prachtvoller Boxhaltung einander gegenüberstanden. Aber schrecklich! Da warf Bill Brown sich dazwischen.
»Muss ich Sie bitten, die Würde des Gerichts wahrzunehmen, Herr Vorsitzender? Es ist ein Skandal, es ist unglaublich! Nehmen Sie die Verhandlung auf! Wir sind hier nicht in der Bar! Außerdem scheinen Sie beide zu vergessen, dass in diesem Saal eine Dame sich aufhält!«
Im Augenblick war die Ruhe wiederhergestellt, und Bishop sagte aus, als wenn nichts geschehen wäre.
»Jetzt will ich Ihnen mal so einiges über den Herrn darbieten, den Doktor, so, was man ein Charakterbild nennt. Das ist nämlich ein sauberer Patron, Sie werden sich wundern!«
Zum ersten Mal packte St. Vincent die Wut und überwältigte fast seine Verzweiflung.
»Halten Sie den Mund!« brüllte er zitternd. »Herr Vorsitzender, das ist ein Verrückter! Soll dieser Kerl, den ich einmal in meinem Leben gesehen habe, über meinen Charakter aussagen?«
»Ach so, du kennst mich nicht, mein Jung’?« fragte höhnisch der Goldtaschensucher. »Na, da werden wir mal deinem Gedächtnis so ’n büschen nachhelfen.«
»Ich bin dem Mann einmal im Leben begegnet, nur für ein paar Augenblicke, und das war in Dawson«, erklärte St. Vincent fest.
»Ist das so sicher, Herr Doktor Gregory St. Vincent? Denken Sie mal nach – stellen Sie sich mal vor, ich hätte hier so eine lange Klosettbürste ums Kinn herum und hieße nicht Bishop, sondern Joe Brown! Und dann denken Sie mal an das gesegnete Jahr 1884 zurück. Hatten Sie da nicht mal so ’n jungen Seemann namens Joe Brown, der von seinem Schiff desertiert war, in Lohn und Brot genommen? Tja, mein Jung’, jetzt fällt dir ja wohl so manches ein?«
Das Wiedererkennen zeichnete sich auf Gregorys Gesicht so deutlich ab, dass ringsum ein höhnisches Lachen tönte. Man sah, dass in diesem Augenblick Gregorys ganzes Lebensgerüst in Stücke fiel. So wie er konnte nur ein ertappter Spitzbube aussehen.
»Ja, sehr gut sind wir ja wohl nicht miteinander gefahren, Sie und der arme Junge, den Sie da in Dienst hatten, und der heute Bishop heißt. Sie mit Ihren Weibern, immer hinter den Weibern her, und überall Krach und Stunk, und immer soll der gute Joe Brown Sie aus allem Salat wieder herausziehen! Tja, so war das ja wohl?«
»Ich protestiere!« rief Frona. »Ob Herr Dr. St. Vincent Liebesgeschichten gehabt hat oder nicht, das hat mit dieser Sache gar nichts zu tun.«
Bill Brown erhob sich: »Herr Vorsitzender, Bishop ist unser Hauptzeuge, und seine Aussage ist wichtig. Da wir keine Tatzeugen haben, kommt alles auf Indizien an, und der Charakter des Angeklagten muss bis in die letzte Falte geprüft werden. Ich beabsichtige, zu beweisen, dass der Angeklagte ein Lügner und jedes Verbrechens fähig ist. Ich will Faden zu Faden flechten, bis wir einen Strick in der Hand haben, lang und stark genug, um ihn daran aufzuknüpfen. Ich bitte, den Zeugen fortfahren zu lassen.«
Und Del fuhr fort: »Einmal mussten wir da die Stromschnellen hinunter, meine Herren, das war gerade keine Heldentat, aber ein Vergnügen kann man das auch nicht nennen. St. Vincent versteht was vom Rudern, aber ich lern’s in meinem Leben nicht, ich bin überhaupt nicht fürs Wasser geboren. Obwohl ich immer wieder mit dem Wasser zu tun hab’, davon abgesehen … das ist nun mal so Schicksalstücke. Lässt der Kerl mich nicht allein im Boot? Lässt mich die ganze gottverfluchte Höllenfahrt machen und geht selbst am Ufer spazieren, warm, gesund und trocken? Ja, und wie denn mein Boot glücklich kentert und die halbe Ausrüstung verlorengeht und mein ganzer Tabak und ich gerade noch mit knapper Not das nackte Leben rette, zwei Knochen kaputt und die Nase ein einziger Brei, schimpft er mich einen ›Chechaquo‹ und einen ›Taugenichts‹ und zieht mir zehn Dollar vom Lohn ab! Tja, so ist der feine Herr da drüben! Und jetzt kommen wir an die Geschichte mit den Schwarzfußindianern. Ja, da hat auch nicht viel gefehlt, und ich hätte für den gottverfluchten Lümmel mein süßes, junges Leben hergeben müssen.«
»Wie war das? Erzählen Sie das genauer!« verlangte der Ankläger.
»Na, wegen so ’ner Squaw war das eben. Was soll’s denn sonst sein? Da hab’ ich ihn mit genauer Not aus der Bredouille herausgebracht und mich schließlich auch. Dann hat er mir versprochen, dass er sich bessern will. Aber vier Wochen später hat er schon wieder die Pfoten an den Indianerweibern, und ich hab’ für ihn die Prügel bezogen. Wie ich ihm danach