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und sah schein­bar teil­nahm­los Ja­cob Wel­se an. Aber sein Fuß reg­te sich nicht. Es ent­stand zwi­schen die­sem ei­sen­har­ten, un­be­weg­li­chen Män­ner­bein und Fro­nas wü­ten­den Hän­den eine Art stil­len Rin­gens, und Ja­cob Wel­se, der nicht be­griff, warum Gre­go­ry noch im­mer dort saß, ver­lor auf eine Se­kun­de die Auf­merk­sam­keit. Ei­nen Blick wand­te er von der Men­ge ab, die er schon mi­nu­ten­lang wie ein Tier­bän­di­ger im Zaum hielt, nur einen Atem­zug lang war sein Re­vol­ver nicht mehr im An­schlag, und die­ser Au­gen­blick ent­schied al­les.

      Aus hoch­ge­ho­be­ner Hand saus­te der Ham­mer des Vor­sit­zen­den ge­gen Wel­ses Schä­del, mit si­chers­tem Schwung ge­wor­fen. Der alte Wel­se reck­te sich, Fro­na stieß einen gel­len­den Schrei aus, Ja­cob Wel­se brach zu­sam­men und lag jetzt zu Fü­ßen der Mas­se, die er ge­zähmt hat­te. Im Fall ging sein Re­vol­ver los, der Schwe­de John stieß ein Ge­brüll aus: »Mein Bein! Mein Knie!«, und in die­sem Au­gen­blick ver­sag­ten auch Cour­ber­tins Ner­ven. Im Handum­dre­hen war er über­mannt. Es wa­ren Del Bi­shops Tat­zen, die ihn ge­packt hat­ten, und aus de­nen gab es kein Ent­rin­nen. La Flit­che griff nach Fro­na, sein Griff war nicht hart, aber un­wi­der­steh­lich. Er nahm sie in sei­ne In­dia­ne­r­ar­me wie ein Lie­ben­der, in die­se ge­schmei­di­gen, seh­ni­gen Arme, und da­mit war ihr letz­ter Mut ge­bro­chen.

      Der Vor­sit­zen­de don­ner­te mit der Faust auf den Tisch und be­en­de­te den un­ter­bro­che­nen Satz: »Wer ihn für schul­dig hält, der hebe die rech­te Hand!« Gleich dar­auf ver­kün­de­te er: »Schul­dig mit al­len Stim­men!«

      *

      Am nächs­ten Mor­gen soll­te das Ur­teil voll­streckt wer­den. In die­ser Nacht war das letz­te Eis ge­taut. Jetzt lag die Flä­che des Yu­kon son­nen­über­spült da, wie die ebe­ne Flä­che ei­nes großen, fried­li­chen Sees, die klei­nen Kanäl­chen zwi­schen den »Sp­lit-up-Is­land« blink­ten grün und plät­scher­ten mit ih­ren Wel­len ge­gen die von Blu­men über­sä­ten Ge­sta­de. Nahe dem Strand war ein Baum zum Gal­gen her­ge­rich­tet; an ei­nem zwei Me­ter ho­hen Ast bau­mel­te die Sch­lin­ge, und dar­un­ter stand ein lee­res Fass. Mehr war nicht nö­tig, um einen Mann, der sich ge­gen die Lan­des­ge­set­ze der Ka­me­rad­schaft ver­gan­gen hat­te, vom Le­ben zum Tode zu be­för­dern.

      Ein Gold­grä­ber, der vor lan­gen Jah­ren als In­dia­ner­mis­sio­nar ins Land ge­kom­men war und ne­ben­amt­lich als Seel­sor­ger diente, wenn eine Hoch­zeit oder eine Tau­fe zu voll­zie­hen war, hat­te die Nacht mit St. Vin­cent ver­bracht. Fro­na hat­te nur die eine Hoff­nung, Gre­go­ry wür­de tap­fe­rer ster­ben, als er ge­lebt hat­te. Dann woll­te sie ver­zei­hen, dass er sie so tief ent­täuscht hat­te, wie ein Ge­lieb­ter das Herz ei­ner Lie­ben­den nur ent­täu­schen kann. Dann, glaub­te sie, wür­den die Male sei­ner Küs­se nicht mehr wie Schand­ma­le auf ih­ren Lip­pen bren­nen, und sie wür­de sich einst nicht schä­men, wenn man sie nach der einen, großen, bren­nen­den Lie­be ih­rer Ju­gend frag­te.

      Vin­cent ent­täusch­te sie auch dies­mal.

      Wie er die Nacht ver­bracht hat­te, da­nach zu fra­gen, wag­te sie nicht. Aber was da an der Richt­stät­te er­schi­en, nicht am Arm des Mis­sio­nars schrei­tend, son­dern von vier hand­fes­ten Män­nern ge­zerrt und ge­schleppt, war nicht der Mann, dem sie vor we­ni­gen Ta­gen noch durch Him­mel und Höl­le ge­folgt wäre. Es war ein schlot­tern­des, kno­chen­lo­ses Et­was, wim­mernd und wil­len­los.

      Um den Gal­gen hat­te sich in wei­tem Kreis die gan­ze Gold­grä­ber­ge­mein­schaft ver­sam­melt, alle vier­zig Män­ner, die ges­tern als Ge­schwo­re­ne am­tiert hat­ten, der Rich­ter, der An­klä­ger, Ja­cob Wel­se, des­sen ver­bun­de­nes Haupt tiefer als tags zu­vor er­graut schi­en.

      »Ehe wir dir die Sch­lin­ge um den Hals le­gen und dich an die­sem Bau­me hän­gen las­sen, bis das Le­ben aus dir ge­wi­chen ist, darfst du noch ein­mal zu uns spre­chen, Gre­go­ry St. Vin­cent!« ver­kün­de­te der Rich­ter.

      »Sag nichts! Bett­le nicht um dein Le­ben!« flüs­ter­te Fro­na dem De­lin­quen­ten zu. Er lag un­ter dem Gal­gen wie leb­los, auf ih­ren Kni­en lag sie ne­ben ihm. »Sei tap­fer! Das Le­ben ist nichts, nur Mut gilt!«

      Aber bei dem Ge­dan­ken, noch ein­mal spre­chen, noch einen Ver­such der Ver­tei­di­gung ma­chen zu dür­fen, er­kann­te der im In­ners­ten Zer­bro­che­ne plötz­lich, dass das Le­ben im­mer noch lock­te, dass er un­ter die­ser la­chen­den Son­ne und beim Zwit­schern der Rot­kehl­chen, mit­ten in die­sem Früh­lings­grün nicht ster­ben konn­te. Durch alle Po­ren drang ihm die Ah­nung, dass nichts vor­bei war, so­lan­ge man at­me­te, und wenn er je in sei­nem Le­ben tap­fer ge­we­sen, dann wur­de er es in die­ser Mi­nu­te.

      Er rich­te­te sich auf. In sein schnee­wei­ßes Ge­sicht trat wie­der eine Spur von Far­be. Jetzt kau­er­te er wie ein zu schwer be­la­de­nes Last­tier auf al­len vie­ren, jetzt kam er auf die Knie und stütz­te sich mit bei­den Ar­men auf das Fass, das sein Scha­fott wer­den soll­te.

      An­fangs tat er nur den Mund auf, mit ver­zerr­ten Lip­pen, aber kein Ton woll­te sich in sei­ner Keh­le bil­den. Dann wur­de aus dem un­ar­ti­ku­lier­ten Keu­chen und Heu­len eine mensch­li­che Stim­me, er form­te Wor­te, und plötz­lich stand er auf­recht, nur noch auf die Schul­tern des Mis­sio­nars ge­stützt, und sprach: Wor­te, rich­ti­ge Sät­ze … So ge­wal­tig war sein Wil­le zum Le­ben, dass er, die grau­si­ge Angst im Ge­nick, den­noch im­stan­de war, ein Be­kennt­nis zu for­men und eine Rede zu hal­ten.

      »Ich will mich nicht scho­nen, ihr Män­ner!« sag­te er. »Ich will al­les be­ken­nen, die gan­ze Wahr­heit. Ich bin ein Feig­ling ge­we­sen, ich habe ge­lo­gen, aber auf Feig­heit und Lüge steht auch nach eu­ren Ge­set­zen nicht der Tod. Es sind nicht zwei Män­ner in John Borgs Hüt­te ge­kom­men in je­ner Nacht, es war nur ein Mann.

      Borg hat­te ihn im­mer er­war­tet.

      Jede Nacht band er an sei­ne Tür einen Blechei­mer. Den nann­te er die Mör­der­fal­le. Wenn ein Frem­der von au­ßen in die Hüt­te ein­tre­ten woll­te, muss­te er den Alarm aus­lö­sen. Borg schlief im­mer mit dem Re­vol­ver im Gür­tel. Aber in sei­ner letz­ten Nacht hat­te er zu viel Whis­ky ge­trun­ken, denn in sei­ner ste­ten Angst vor Ver­fol­gern muss­te er manch­mal Be­täu­bung su­chen. Ich wach­te auf von lei­sen Schrit­ten, die um die Hüt­te schli­chen, aber er schnarch­te tief. Die Lam­pe war tief her­ab­ge­schraubt. Ich sah Bel­la an der Türe han­tie­ren; sie hat­te den Blechei­mer ge­räusch­los her­un­ter­ge­holt und bei­sei­te­ge­stellt. Ganz lei­se ging die Türe auf, und ein Mensch schlich her­ein. Er kam der Lam­pe nahe, ich sah sein Ge­sicht. Es war ein In­dia­ner, und ich wer­de sein Ge­sicht nie ver­ges­sen. Quer über sei­ner Stirn, in der Höhe der Au­gen­brau­en, trug er eine brei­te, furcht­ba­re, rote Nar­be.

      Und wenn ihr mir drei­tau­send In­dia­ner vor­führt, wer­de ich die­sen Mann auf den ers­ten Blick er­ken­nen!«

      »Und was ta­test du?«

      »Ich tat nichts. Ich lag in mei­ne De­cken ge­wi­ckelt und tat nichts.«

      »War der Mann be­waff­net?«

      »Er trug ein brei­tes Mes­ser in der Hand und schritt ge­räusch­los auf Borgs La­ger zu. Bel­la stand da und wies ihm den Weg. Es war kein Zwei­fel, dass die bei­den Mord plan­ten.«

      »Und du ta­test nichts?«

      »Seid doch nicht so sinn­los grau­sam in eu­ren Fra­gen!« heul­te Gre­go­ry.


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