Gesammelte Werke. Джек Лондон
Aber jetzt nicht mehr. Wir sind betrogen. Wir sind in eine Ecke gedrängt. Wir haben unsere Ohrfeigen abgekriegt und sind rausgeschmissen. Meine Vorfahren haben für dieses Land gekämpft, das haben eure auch, alle. Wir gaben den Negern die Freiheit, töteten die Indianer, hungerten, froren und schwitzten und kämpften. Das Land hier gefiel uns. Wir rodeten es und bebauten es, legten Wege an und bauten Städte. Und es gab mehr als genug für uns alle. Und wir schlugen uns weiter dafür. Ich hatte zwei Onkel, die bei Gettysburg getötet wurden. Aber alle unsere Vorfahren hatten Bauernhöfe, Pferde und Vieh, auch Marys –«
»Und sie hätten klug daran getan, es festzuhalten«, warf sie ein.
»Ja, das ist sicher«, fuhr Bert fort. »Das ist es eben. Wir sind ausgeplündert. Wir konnten nicht mit falschen Karten spielen wie die anderen. Wir sind die Weißen, die um die Ecke gegangen sind. Seht ihr, die Zeiten haben sich geändert. Und es gab zweierlei Menschen – Löwen und Mähren. Die Mähren rackerten sich ab, und die Löwen fraßen. Sie fraßen die Farmer, die Minen, die Fabriken, und jetzt haben sie auch die Regierung gefressen. Wir sind geschunden. Versteht ihr?«
»Aus dir könnte ein guter Volksredner werden«, meinte Tom, »wenn du nur ein bisschen mehr Form hineinkriegen könntest.«
»Es klingt sehr richtig, Bert«, sagte Billy, »ist es aber nicht. Jeder kann heute reich werden.«
»Ja, oder Präsident der Vereinigten Staaten«, sagte Bert gereizt – »gewiss kann man es. Aber ich habe noch nicht gehört, dass du Aussicht zum Millionär oder zum Präsidenten hast. Warum nicht? Weil du nicht vom rechten Schlage bist. Du bist ein Esel! Ein armes Tier, das ist es. Weg mit dir! Weg mit uns allen!«
Beim Mittagessen sprach Tom von den Freuden des Landlebens, das er als Knabe und junger Mann gekannt hatte. Und er vertraute ihnen an, dass es sein Traum sei, wegzugehen und ein Stück Boden zu pachten, wie seine Vorfahren es getan hatten. Aber leider war Sarah, wie er erklärte, so festgewurzelt, dass es sein Traum bleiben musste.
Etwas später, als Bert gerade wieder mit seinem Lamento angefangen hatte, ertappte Billy sich dabei, wie er Vergleiche anstellte. Dieses Haus war nicht wie sein Heim. Hier war keine angenehme Atmosphäre. Es war, als läge Disharmonie über allem. Er dachte daran, dass die Frühstücksteller noch nicht aufgewaschen waren, als sie kamen. Männer beachten selten solche Einzelheiten, und er tat es sonst auch nicht. Aber er hatte doch durch tausend Dinge im Laufe des Vormittags den festen Eindruck erhalten, dass Mary als Hausfrau nicht so tüchtig war wie Saxon. Ja, das war eine Frau! Aber seine Gedanken wurden durch Bert unterbrochen.
»Heh, Billy, ich glaube, du denkst, dass ich verärgert bin. Gewiss. Das bin ich. Ich habe meine Erfahrungen gemacht. Du bist immer Kutscher gewesen und hast ein schönes Geld mit deinem Boxen verdient. Du hast keinen Streik durchgemacht, du hast keine alte Mutter zu versorgen gehabt und warst daher nicht gezwungen ihretwegen jede Arbeit zu übernehmen. Erst als sie tot war, konnte ich tun und lassen, was ich wollte.
Zum Beispiel, als ich es bei der Straßenbahn versuchte, ja, da könnt ihr sehen, was ein Arbeitstier sich gefallen lassen muss. Der Oberchinese misst mich von Kopf bis zu Fuß, stellt eine Menge Fragen und gibt mir ein Formular zum Ausfüllen. Ich fülle es aus und bezahle einem Doktor, zu dem sie mich schicken, einen Dollar, damit er mir ein Attest gibt. Dann gehe ich zu einem Fotografen und kriege mein Gesicht verewigt – für das Verbrecheralbum der Gesellschaft. Und für das Gesicht muss ich einen Dollar herausrücken. Der erste Mann an der Spritze nimmt Formular, ärztliches Attest und Fotografie und bombardiert mich mit neuen Fragen. Ob ich Gewerkschaftsmitglied bin? – Ich? Natürlich lüge ich, dass ich es nicht sei. Ich brauchte die Arbeit. Der Kaufmann wollte mir keinen Kredit mehr geben, und es handelte sich ja auch um meine Mutter.
Hm, sage ich bei mir, jetzt bin ich also richtiger Straßenbahnschaffner. Jetzt kann ich auf der Plattform stehen und die feinen Damen abfertigen. Jawohl! Zwei Dollar, bitte! Ja, zwei Dollar für ein Zinnschild. Und dann die Uniform – neunzehn fünfzig, und überall kriegt man sie für fünfzehn. Aber die sollte ich von meinem ersten Monatslohn bezahlen. Und fünf Dollar musste ich in der Tasche haben – Wechselgeld – laut Reglement. Ich lieh mir die fünf von Tom Donovan, dem Schutzmann. Und was dann? Zwei Wochen ließen sie mich ohne Lohn arbeiten – damit ich den Beruf lernte.«
»Kamen viele feine Damen?« neckte Saxon ihn.
Bert schüttelte finster den Kopf.
»Ich arbeitete nur einen Monat. Dann organisierten wir uns, und sie sprengten die Gewerkschaft, sodass es aus war.«
»Und ebenso wird die Eisenbahn eure Gewerkschaften sprengen, wenn ihr streikt, ihr Idioten!« erklärte Mary.
»Das hab ich ja die ganze Zeit gesagt«, sagte Bert. »Wir haben nicht die geringste Chance.«
»Aber warum tut ihr es dann?« fragte Saxon.
Er sah sie einen Augenblick mit einem merkwürdig erloschenen Blick an und antwortete dann:
»Warum wurden meine beiden Onkel bei Gettysburg getötet?«
*
Saxon besorgte ihre Hausarbeit in großer Unruhe. Sie verwandte ihre Zeit nicht mehr darauf, hübsche Dinge zu verfertigen. Das Material kostete Geld, und sie wagte es nicht. Die Drohungen Berts hatten sie berührt, und seine Bemerkungen peinigten sie wie ein Speer, der sich in einer offenen Wunde dreht. Sie und Billy waren verantwortlich für das neue kleine Menschenkind. War es nun auch sicher, dass sie ihm Nahrung und Kleidung verschaffen und ihm seinen Weg in die Welt bahnen konnten? Sie erinnerte sich dunkel, wie in alten Tagen schlechte Zeiten die Existenz ganzer Familien vernichtet hatten, und die Klagen von Vätern und Müttern tauchten wieder in ihrem Kopfe auf und erhielten neue Bedeutung. Ihr schien fast, als könnte sie das ewige Jammern Sarahs verstehen.
Man fühlte die schlechten Zeiten schon in der Nachbarschaft, wo die streikenden Eisenbahner wohnten. In den kleinen Geschäften, wo Saxon ihre täglichen Einkäufe machte, konnte man die Hoffnungslosigkeit spüren. Alle Freude und Heiterkeit schien verschwunden. Überall herrschte eine düstere Stimmung. Die Mütter von Kindern, die auf der Straße spielten, zeigten deutlich ihre traurige Stimmung in ihren Gesichtern. Wenn sie des Abends an den Gartenpforten oder auf den Stufen vor den Häusern schwatzten, waren ihre Stimmen leise, und weniger Lachen als sonst ertönte.
Maggie Donahue, die sonst drei Liter Milch gekauft hatte, kaufte jetzt nur einen. Nie mehr war die Rede von Familienausflügen ins Kino. Fleischabfälle waren beim Schlachter fast nicht zu bekommen. Nora Delaney, die zwei Häuser weiter in der Straße wohnte, kaufte keinen frischen