Gesammelte Werke. Джек Лондон

Gesammelte Werke - Джек Лондон


Скачать книгу
ge­gen ihre Kin­der auf­ge­bracht, und Sa­xon wuss­te, dass Bert und Mary sich un­un­ter­bro­chen zank­ten.

      »Wenn sie doch nur ver­ste­hen woll­te, dass ich auch mei­ne Sor­gen habe«, be­klag­te Bert sich bei Sa­xon.

      Sie sah ihn for­schend an, und eine un­be­stimm­te, na­men­lo­se Angst er­griff sie. Sei­ne schwar­zen Au­gen flamm­ten mit der Glut des Wahn­sinns. Das brau­ne Ge­sicht war ma­ge­rer ge­wor­den, und die Haut lag straff über den Ba­cken­kno­chen. Sein Mund hat­te sich ver­zerrt, war gleich­sam in Bit­ter­keit er­starrt. Selbst sei­ne Hal­tung und die Art, wie er sei­nen Hut auf­setz­te, ver­rie­ten Gleich­gül­tig­keit und Hef­tig­keit.

      Zu­wei­len, an den lan­gen Nach­mit­tagen, wenn Sa­xon, die Hän­de im Schoß, am Fens­ter saß, er­tapp­te sie sich da­bei, wie sie sich die Wan­de­rung ih­rer Fa­mi­lie über Prä­rie, Ber­ge und Wüs­ten nach dem Lan­de des Son­nen­un­ter­gangs am west­li­chen Mee­re vor­zu­stel­len ver­such­te. Und oft träum­te sie von dem idyl­li­schen Le­ben ih­rer Fa­mi­lie in je­nen Ta­gen, als sie nicht in Städ­ten wohn­ten und nicht von Ge­werk­schaf­ten und Ar­beit­ge­ber­ver­bän­den ge­pei­nigt wur­den. Sie er­in­ner­te sich der al­ten Er­zäh­lun­gen, wie sie ihr ei­ge­nes Ge­mü­se ge­baut hat­ten, ihre ei­ge­nen Schmie­de und Zim­mer­leu­te ge­we­sen wa­ren, ihre ei­ge­nen Schu­he ver­fer­tigt hat­ten – ja, und ihre ei­ge­nen Klei­der ge­spon­nen und ge­webt hat­ten. Und ihr schi­en, sie könn­te noch den träu­me­ri­schen Aus­druck in Toms Ge­sicht se­hen, als er da­von ge­spro­chen hat­te, dass es sein höchs­ter Wunsch ge­we­sen war, ein Stück Bo­den vom Staat zu pach­ten. Ja, das Le­ben ei­nes Land­manns muss herr­lich sein, dach­te sie bei sich. Wie konn­ten die Men­schen nur in Städ­ten le­ben? Hat­te es in al­ten Ta­gen ge­nug ge­ge­ben, warum dann nicht jetzt? Wa­rum muss­ten Män­ner sich zan­ken, strei­ken, kämp­fen, nur um sich Ar­beit zu ver­schaf­fen? Wa­rum gab es nicht ge­nug für alle? Erst heu­te Mor­gen – und ihr schau­der­te bei dem Ge­dan­ken – hat­te sie ge­se­hen, wie zwei Streik­bre­cher auf dem Wege zur Ar­beit von den Strei­ken­den zu­schan­den ge­prü­gelt wur­den, von Män­nern, die sie dem Aus­se­hen, ei­ni­ge auch dem Na­men nach, kann­te, und die ganz in ih­rer Nach­bar­schaft wohn­ten. Es war roh, so bru­tal ge­we­sen – ein Dut­zend Män­ner ge­gen zwei. Schutz­leu­te wa­ren mit ge­la­de­nen Re­vol­vern hin­zu­ge­kom­men, und die Strei­ken­den hat­ten sich in die Häu­ser und die Gäss­chen zwi­schen den Häu­sern zu­rück­ge­zo­gen. Ei­nen der Streik­bre­cher hat­te man im Kran­ken­wa­gen fort­ge­schafft; der an­de­re, der von der Haus­po­li­zei der Ei­sen­bahn Hil­fe be­kom­men hat­te, war nach den Werk­stät­ten ge­bracht wor­den. Mag­gie Do­na­hue, die, ihr Kind auf dem Arm, auf den Stu­fen vor ih­rem Hau­se stand, hat­te ihn mit Schimpf­wor­ten über­schüt­tet, die Sa­xon die Scham­rö­te in die Wan­gen ge­trie­ben hat­ten. Auf den Stu­fen des an­de­ren Nach­bar­hau­ses hat­te Sa­xon mit­ten in der Schlä­ge­rei Mer­ce­des ge­se­hen, wie sie die Kämp­fen­den mit ei­nem selt­sa­men Lä­cheln be­trach­te­te. Ja, sie hat­te of­fen­bar mit großem Ei­fer zu­ge­se­hen, und ihre Na­sen­flü­gel hat­ten ge­bebt, als ob sie hef­tig at­me­te. Es war Sa­xon auf­ge­fal­len, dass die alte Frau nicht im ge­rings­ten ängst­lich, nur neu­gie­rig war.

      Zu Mer­ce­des, die in al­lem, was die Lie­be be­traf, so klug war, ging Sa­xon, um eine Er­klä­rung zu er­hal­ten, was mit der Welt los war. Aber was die alte Frau über in­dus­tri­el­le und öko­no­mi­sche Fra­gen zu sa­gen hat­te, war zu un­ver­ständ­lich und ge­fiel ihr nicht.

      »La la, mein Kind, das ist ganz ein­fach. Die meis­ten Men­schen sind dumm ge­bo­ren. Sie sind Skla­ven. Ei­ni­ge we­ni­ge sind klug ge­bo­ren. Das sind die Her­ren der an­de­ren. So hat Gott wohl die Men­schen er­schaf­fen.«

      »Aber was sagt Gott zu der furcht­ba­ren Prü­ge­lei drü­ben?«

      »Ich fürch­te, dass sie ihn nicht im ge­rings­ten in­ter­es­siert«, lä­chel­te Mer­ce­des. »Ich zweifle so­gar, dass er über­haupt et­was da­von weiß.«

      »Ich hat­te eine To­des­angst«, er­klär­te Sa­xon. »Ich wur­de ganz krank da­von. Aber Sie – ich sah Sie – Sie sa­hen ganz ru­hig zu, als wäre es eine Thea­ter­vor­stel­lung.«

      »Es war auch eine Thea­ter­vor­stel­lung, mein Kind.«

      »Ach, wie kön­nen Sie das sa­gen?«

      »La, la, ich habe frü­her schon ge­se­hen, wie Män­ner ge­tö­tet wur­den. Da­bei ist nichts Merk­wür­di­ges. Alle Men­schen müs­sen ster­ben wie Och­sen, sie wis­sen sel­ber nicht, wes­halb. Es ist bei­na­he ko­misch, das zu se­hen. Sie fah­ren mit Fäus­ten und Keu­len auf­ein­an­der los und zer­schla­gen sich die Köp­fe. Es ist ein plum­pes Spiel. Sie sind wie Hun­de, die sich um einen Kno­chen schla­gen. Nur dass ihr Kno­chen Ar­beit heißt. Se­hen Sie, wenn sie um Frau­en oder um Idea­le oder um Gold in Bar­ren oder um Dia­man­ten von fa­bel­haf­tem Wert kämpf­ten, dann wäre es groß­ar­tig. Aber nein, sie sind nur hung­rig und schla­gen sich um die Kru­men zur Stil­lung ih­res Hun­gers.«

      »Ach, wenn ich das doch nur ver­ste­hen könn­te«, mur­mel­te Sa­xon und rang ver­zwei­felt die Hän­de, weil sie nicht ver­ste­hen konn­te und doch so gern woll­te.

      »Da gibt es nichts zu ver­ste­hen. Es ist so klar wie der Tag. Es hat im­mer dum­me Men­schen und klu­ge Men­schen, Skla­ven und Her­ren, Bau­ern und Fürs­ten ge­ge­ben. Und so wird es blei­ben.«

      »Ja, aber warum?«

      »Wa­rum ist ein Bau­er ein Bau­er, mein Kind? Eben weil er ein Bau­er ist. Wa­rum ist eine Flie­ge eine Flie­ge?«

      Sa­xon warf ge­reizt den Kopf zu­rück.

      »Aber, mein Kind, ich habe Ih­nen doch geant­wor­tet. Alle phi­lo­so­phi­schen Sys­te­me der Welt kön­nen kei­ne bes­se­re Ant­wort ge­ben. Wa­rum wol­len Sie lie­ber Ihren Mann ha­ben als ir­gend­ei­nen an­de­ren? Weil er Ih­nen ge­fällt, wie er ist, das ist al­les. Wa­rum brennt Feu­er, und warum schnei­det Frost? Wa­rum gibt es klu­ge Män­ner und dum­me Män­ner? Her­ren und Skla­ven? Ar­beit­ge­ber und Ar­bei­ter? Wa­rum ist schwarz schwarz? Beant­wor­ten Sie das, und Sie wer­den al­les be­ant­wor­tet ha­ben.«

      »Aber es ist nicht recht, dass Men­schen hun­gern und mü­ßig ge­hen sol­len, wenn sie be­reit sind zu ar­bei­ten, we­nigs­tens un­ter an­stän­di­gen Be­din­gun­gen«, pro­tes­tier­te Sa­xon.

      »Nun ja, das ist rich­tig, aber auf die­sel­be Art und Wei­se, wie es rich­tig ist, dass Stei­ne nicht wie Holz bren­nen, dass Sand kein Zu­cker ist, dass Dor­nen ste­chen, dass Was­ser nass ist und dass Rauch hoch­steigt, dass die Din­ge her­un­ter- und nicht hin­auf­fal­len.«

      »Aber dann ha­ben wir ja we­der Frei­heit noch Un­ab­hän­gig­keit«, rief Sa­xon lei­den­schaft­lich. »Der eine ist nicht so gut wie der an­de­re. Mein Kind hat nicht das­sel­be Recht zum Le­ben wie das Kind ei­ner rei­chen Mut­ter.«

      »Nein, selbst­ver­ständ­lich hat es das nicht«, ant­wor­te­te Mer­ce­des.

      »Und doch ha­ben mei­ne Vor­fah­ren für all die­se Din­ge ge­kämpft«, er­ei­fer­te sich Sa­xon, die sich des Ge­schichts­un­ter­richts in der Schu­le und des Schwer­tes ih­res Va­ters er­in­ner­te.

      »De­mo­kra­tie – der Traum der dum­men Men­schen. La, la, mein Kind, De­mo­kra­tie ist eine Lüge, um die Ar­beit­s­tie­re froh und hei­ter zu hal­ten, wie in al­ten Ta­gen


Скачать книгу