Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth. Ödön von Horváth
Bravo! Bravo! Sie will rasch an den Tisch, bekommt einen Magenkrampf, hält angewurzelt und krümmt sich.
KARL
zu Ada: Plärr nicht! Sauf!
MÜLLER
Ich komme nach, komme nach, Herr Baron!
MAX
zu Müller: Es scheint Ihr Schicksal zu sein, alles zu versäumen?
ADA
stöhnt: Mein Leib, mein Leib –
KARL
zu Ada: Hinaus!
MÜLLER
zu Emanuel: Mein Bruder, Herr Baron, war der einzige Bürgerliche im Offizierkorps seines Regiments. Wäre nämlich ich der Älteste von uns Drillingen, wäre heute ich Rittmeister! Selbstredend a. D., Herr Baron! Man kann doch nicht dem Volke, wenn man im bunten Rock des Königs schwor –
KARL
Schwör nicht! Sauf! Du Drilling!
MÜLLER
Drillinge können auch saufen, Sie!
ADA
stöhnt, faßt sich plötzlich an den Kopf: Jetzt hab ich den Strasser vergessen!
EMANUEL
zu Müller: Ich bezweifle in keiner Weise, daß Sie nicht Talent zum bunten Rock hätten.
MÜLLER
Darf ich auf Ihr ganz Spezielles?
EMANUEL
Danke. Ich allerdings war zwar nur Fähnrich, schon aus Tradition, aber heute bin ich Pazifist. Die Geschichte meiner Bekehrung ist pittoresk: es sprach nämlich unlängst eine entzückende Person für den Pazifismus – ich habe noch nie solch durchgeistigte Hände gesehen.
MÜLLER
Herr Baron! Ich hasse den Militarismus! Mit meinem Bruder, dem Rittmeister, habe ich mich noch nie verstanden, obwohl wir doch Drillinge –
KARL
unterbricht ihn: Schluß mit der Viehzucht!
EMANUEL
zu Karl: Sie sind freilich verbittert; aber die Weltpolitik, gewissermaßen die kosmischen Zusammenhänge –
ADA
schreit: Wo ist der Strasser? Der Strasser! Dieser Strasser – Sie läuft erregt hin und her. Es kann ihn doch nicht die Erde verschlungen haben! Hat denn niemand den Strasser gesehen?
EMANUEL
hatte sich mit dem Rücken zu Ada gesetzt: Doch. Ich.
ADA
So sprich doch, ja?!
EMANUEL
Nein. Der Sekt steigt ihm allmählich zu Kopf. Es gibt nämlich Personen, die durch Bacchus zum Helden avancieren, aber ich bleibe Diplomat. Vorsicht soll nämlich die Mutter der Weisheit sein. Jener Weisheit, die schweigt. Er trommelt mit den Fingern fröhlich auf der Tischplatte. Ich traue mich nicht, ich traue mich nicht! Aber ich will es den Herren hier erzählen. Wollen sehen, wer der Mutigste ist!
KARL
Ich!
Emanuel flüstert.
ADA
Was soll das Getuschel?! Keine Geheimnisse! Unter uns!
KARL
imitiert einen Posaunenstoß: Der Strasser ist mit einer hübschen Blondine nach – hinauf.
Ada erstarrt.
EMANUEL
kichert: Mein Schwager Strasser hat besagte Blondine im Treppenhaus umarmt. Und geküßt.
KARL
Daß es knallte!
EMANUEL
Vor ungefähr einer Stunde.
MAX
Und seit dieser Stund wurd er nimmer gesehen.
Stille.
ADA
Ist das wahr?
MÜLLER
schadenfroh: Na Pupille! Pupille! Saufen.
ADA
hysterisch: Der Strasser, der Strasser – dieser Strasser, dieser Strasser! – Strasser! Strasser! Strasser!!
Strasser erscheint.
Ada stürzt sich zischend auf ihn und gibt ihm eine klatschende Ohrfeige; lacht. Hat es geknallt? Hat es geknallt?!
STRASSER
unbeweglich: Geknallt oder nicht geknallt. Es wird einem allmählich alles egal.
ADA
Dir! Aber mir nicht! Weder allmählich noch plötzlich! Nie! Kusch! Du bist mein Eigentum, du! Ich habe dich gekauft, und ich kaufe dich jeden Tag! Ich bezahle!
MÜLLER
Hört! Hört!
ADA
Ich bezahle. – Kannst du mich denn betrügen, wenn ich nicht will? – Wirf diese Person hinaus! Sofort! Oder ist das keine Hure?
STRASSER
Ja. Das ist eine Hure. Und ich hätte sie sogleich hinauswerfen sollen, aber ich habe ein goldenes Herz. Nicht wahr, Herr Müller? Er tritt an den Tisch, leert hastig ein Glas, setzt sich und vergräbt das Antlitz in den Händen. Ich bitte um Hilfe. Ich kann nicht mehr denken vor lauter Pech.
Alle setzen sich um den Tisch.
Stille.
ADA
lächelt: Ja, was hat er denn? Was hat er denn?
STRASSER
sieht sie groß an: Ada. Die Treue ist kein leerer Wahn. Ich pflichte dir begeistert bei, wenn du auf Hygiene den größten Wert legst. Seit wir uns kennen, seit diesen herrlichen drei Monaten, blieb ich dir treu.
ADA
grinst: Das kann man nicht kaufen!
STRASSER
Aber was vor ungefähr einem Jahre, was vorher war –
ADA
unterbricht ihn: Geht mich nichts an! Vor uns die Sintflut!
STRASSER
Ich danke dir, daß du meiner Meinung bist.
ADA
Du bist meiner Meinung! Verstanden? Ihr habt alle meiner Meinung zu sein!
MÜLLER
Zu Befehl!
KARL
Es gibt nur eine Meinung!
EMANUEL
Ich sehe alles doppelt –
STRASSER
erhebt sich: Ich bitte um Hilfe. Er zieht aus seiner Tasche einen Bund bunter Briefe. Erinnert ihr euch? Rosarot und himmelblau? Und bis vor fünf Wochen jeden dritten Tag vier Seiten.
KARL
Was sind das für Seiten?
STRASSER
Ihr habt sie doch alle gelesen! Er setzt sich wieder und streicht sich über die Schläfen.
Stille.
MAX