Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes

Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert - Georg Brandes


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den unbeugsamen Mann aufweisen kann, den kein Anderer in ihm gefunden hätte als der Dichter allein, der es weiss, dass jede seiner Gestalten im tiefsten Grunde der Seele ein unauslöschliches Adelsgepräge trägt.

       Inhaltsverzeichnis

      Den Schriftstellern, die, wie Spielhagen z. B., am häufigsten bei den Kämpfen des Bewusstseins und des Willens verweilen, und die am liebsten die grossen socialen und politischen Conflicte schildern, werden selbstverständlich die Männerfiguren besser gelingen als die der Frauen. Ein Mannescharakter wie Leo in dem Romane „In Reih' und Glied“ sucht seines Gleichen, aber eine ebenso vorzügliche Frauengestalt hat Spielhagen nicht gezeichnet. Der dagegen, dessen Geist den Adel und die Anmuth des unmittelbar Natürlichen, die sichtbare und seelische Schönheit sucht, wird selbstverständlich lieber und besser Frauen schildern, als Männer. Hierin ist Heyse seinem Meister Goethe ähnlich. In fast allen seinen Productionen steht der Frauencharakter im Vordergrunde, und die männlichen Gestalten dienen hauptsächlich dazu, ihn hervorzuheben oder zu entwickeln. Da die Frauennatur in der Liebe ihr verborgenes Wesen entfaltet und die schönste Blüthe treibt, da in der Liebe die Natur als Natur durch tausend Illusionen zum Geist geadelt wird, so verherrlicht Heyse vorzugsweise die Liebe des Weibes. Er feiert die Liebe und er feiert das Weib, aber es ist seine höchste Freude, diese beiden Grossmächte im Kampfe mit einander darzustellen. Denn wenn die Liebe siegt, wenn sie als die Macht erscheint, deren Gebot das Frauenherz nicht Trotz zu bieten vermag, strahlt sie, den Widerstand überwältigend, wie eine Allmacht, und indem sie die Wirkung hat, dass das Weib unter ihrem Einflusse, im Trotz gegen sie, im Kampf wider sie, von ihr beseelt, sich im ganzen Stolz ihres Geschlechtes zusammenrafft, verleiht die Liebe ihr jene aristokratische Schönheit, welche Heyse am besten darstellt.

      Der angeborene Mädchenstolz ist für Heyse das Schönste in der Natur. Eine ganze Gruppe seiner Novellen könnte die Ueberschrift „Mädchenstolz“ führen. Kierkegaard nennt irgendwo das Wesen des Weibes eine Hingebung, deren Form Widerstand ist. Dies ist wie aus Heyse's Herzen gesprochen, und dieser Widerstand ist es, der als Merkmal der adeligen Natur ihn interessirt und bezaubert. Es ist das ewig Festungsartige im weiblichen Gemüth, das ihn fesselt, das Sphinxartige, dessen Räthsel er immer wieder errathen muss. Der süsse Kern ist doppelt süss in seiner harten Schale, der feurige Champagner doppelt heiss in seiner Umwallung von Eis. Es liegt um die weibliche Natur, wie Heyse sie schildert (von L'Arrabbiata bis Julie und Irene im „Paradies“) ein Eispanzer, der verbirgt, abweist, irre führt, zerbricht und schmilzt. Die Frau behauptet ihren Adel, indem sie so lange wie möglich sich weigert, ihr Ich aus den Händen zu geben, indem sie den Schatz ihrer Liebe aufspart und aufbewahrt. Sie erhält sich ihren Adel, indem sie ihr Ich ausschliesslich in die Hände eines Einzigen legt und der übrigen Welt gegenüber abweisend dasteht. Sie ist keiner blinden Macht unterworfen. Ist der Mädchenstolz gebrochen und besiegt, so findet sie sich selbst auf der anderen Seite des Schlundes, und gibt sich frei, naturfrei möchte ich sagen. Nie kommt bei Heyse eine Verführung vor; wird eine solche ein einziges Mal als vergangenes Ereigniss erwähnt („Mutter und Kind“), so dient sie nur dazu, die stolze Selbstbehauptung und die ebenso stolze, bewusste Selbsthingebung in das schärfste Licht zu stellen.

      Diese Selbstbehauptung, diese Widerstandskraft (Rabbia) wird in der Schilderung auf's mannigfaltigste variirt: Atalante in dem Drama „Meleager“ hat die ganze frische Wildheit des Amazonentypus; sie zieht das Leben und das Spielen in der freien Natur, Wettlauf, Speerkampf und das Geschäft des Waidwerks weichlicher Zärtlichkeit und schmeichelnder Liebkosung, den Siegeskranz dem Brautkranze vor. In Syritha wird die erste Schamhaftigkeit geschildert, die aufgescheucht von der Hochzeit entflieht; in L'Arrabbiata der Mädchenstolz, der es weiss, wie nahe bei der schüchternen Bitte in der Seele des Mannes das rohe Verlangen liegt; im Mädchen von Treppi die instinctive Weigerung der Jungfräulichkeit; in Marianne („Mutter und Kind“) der Frauenstolz, der bei dem sogenannten gefallenen Weibe sich unter dem Gefühl der unverschuldeten Schmach verdoppelt; in Madeleine („Die Reise nach dem Glück“) das Pflichtgefühl gegen den von Kindheit an eingeprägten Sittlichkeitsbegriff; in Lore („Lorenz und Lore“) das Schamgefühl des jungen Mädchens, dem Angesichts des Todes das Liebesgeständniss entschlüpft ist; in Lottka die melancholische Verschlossenheit im Gefühl angeerbter Erniedrigung; im schönen Käthchen der verzweifelte Unwille darüber, Allen zu gefallen, welcher alle Bewunderer und die eigene Schönheit zum Kukuk wünscht; in Lea die Scheu des entwickelten und reservirten Weibes, ihre Schwäche ahnen zu lassen; in Toinette der Abscheu des eingefrorenen Herzens, eine Leidenschaft zu heucheln, die es noch nicht fühlt; in Irene die Sittenstrenge einer kleinen Prinzessin; in Julie die Kälte einer Cordelia-Natur — bis der Augenblick kommt, da alle diese Bande gesprengt werden, da alle diese Herzen flammen, da der Männerhass der Amazone und die Schüchternheit des Mädchens und die Schamhaftigkeit der Jungfrau und der Stolz der Frau und die Pflicht der Strengerzogenen und die Schwermuth der Erniedrigten und die Hülle der Schneekönigin, Alles, Alles als Holz eines einzigen ungeheuren Scheiterhaufens in süssem Rauch auf dem Altare des Liebesgottes aufgeht.

      Denn nicht im Widerstande, der nur Form und Schleier ist, sondern in der Hingebung sieht Heyse das Wesen des Weibes und ihre wahre Natur; und Naturanbeter, wie er ist, preist er Eros als den Unwiderstehlichen, der alle Schranken durchbricht. Das Weib bereut es nie, sich seiner Macht unterworfen zu haben, aber es kann seinen Trotz bereuen. Bettina sagt irgendwo in ihren Briefen ungefähr so: „Die Erdbeeren, die ich pflückte, hab' ich vergessen, aber die, welche ich stehen liess, brennen mir noch auf der Seele“. Heyse hat mehr als eine Variation dieses Themas gegeben: nachdem das Mädchen von Treppi sieben Jahre hindurch ihre jugendliche Sprödigkeit bereut hat, überwindet sie, als der Geliebte durch einen Zufall wieder in ihr Dorf kommt, kraft einer begeisterten und abergläubischen Ueberzeugung von der Macht und dem Recht ihrer Liebe, alle äusseren und inneren Hindernisse, die sich ihrem Glücke in den Weg stellen, sogar die Gleichgültigkeit und die Kälte des Zurückgekehrten. Madeleine in der „Reise nach dem Glück“ hat, wie oben erwähnt, in einer Nacht ihren Geliebten von ihrer Thür fortgewiesen, und da er in der Finsterniss wegreisen muss, ist er mit dem Pferde gestürzt und auf der Stelle gestorben. Die Reue über ihren Trotz gegen die Liebe lässt ihr keine Ruhe: „Was half mir meine Tugend?“ sagt sie; „sie war heil und ganz, und durchaus nicht fadenscheinig, und doch fror mich darin bis in's innerste Herz“.[13] Doch nicht genug damit, dass sie es bereut, der herkömmlichen Moral gefolgt zu sein: das Bild des Todten verfolgt sie Jahr aus Jahr ein; eifersüchtig scheint er über sie zu wachen. Jedes Mal in ihrem Leben, wenn sie glaubt, das Geschehene vergessen und das Glück auf's neue finden zu können, hört sie den Finger des Todten an die Thür klopfen, wie er klopfte in der Nacht, als er abgewiesen wurde. Streng straft Eros den, der nicht auf seinem Altare opfert. Und Heyse führt in anderen Dichtungen diesen Gedanken noch weiter aus. Hier hat der abgewiesene Liebhaber den Tod doch nur als zufällige Folge der Strenge gefunden, welche die Heissbegehrte gegen ihn erwiesen hat. Lasst uns den Fall setzen, dass er sich nicht als Bittender, sondern als Gewaltthäter nähert, und dass der Widerstand des stolzen Weibes statt auf einem Pflichtgefühl zu beruhen, das die Versuchung besiegt, nur Nothwehr gegen eine gefürchtete Ueberrumpelung ist, was dann? Auch dann straft Eros wie ein eifriger Gott. Das Drama „Die Sabinerinnen“ hat Heyse augenscheinlich um einer einzigen Gestalt willen geschrieben. Wie konnte er sonst darauf verfallen, diesen für die Tragödie so wenig geeigneten, rein burlesken Stoff sich zu tragischer Behandlung zu wählen! Jene Gestalt ist Tullia, die sabinische Königstochter. Von einem römischen Krieger geraubt, in seinem Hause eingeschlossen, tödtet sie ihn, da er in der Brautnacht es wagt, sich ihr zu nähern. Wenn ein tragisches Leid jetzt als Rache der Römer die Tollkühne träfe, würde sich Niemand darob wundern; aber die psychologische Pointe ist in Uebereinstimmung mit der ganzen Erotik Heyse's die, dass sie durch Ermordung ihres Gatten die erwachenden Triebe ihres eigenen Herzens zu tödten versucht und sich dadurch irreligiös gegen Eros empört hat.

      Er neigte

       Sein Angesicht herab zu meiner Stirn,

       Dass mich des Athems Hauch umrieselte,

       Und seine leise Stimme mir wie Gift

       Schleichend durch alle Adern rann.


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