Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes

Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert - Georg Brandes


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sie überall, aber noch mehr als der Anblick seiner Leiche die Erinnerung an seine Liebkosungen. Nur Tag und Nacht, sagt sie, ist's her, dass jene That vollbracht wurde, und doch liegt's hinter mir, wie tausend Jahre und tausend Tode. Eins nur ist gegenwärtig und ich werd' es immer empfinden: sein Kuss auf meiner Wimper, seine Hand in meiner. Gegen den Schluss spricht sie dann zu ihrer Schwester die Grundidee des Stückes in diesen Worten aus:

      Flieh' vor der Liebe nicht,

       Sie holt dich dennoch ein. Geh' ihr entgegen

       Und beuge dich vor ihr. Denn tödtlich zürnt sie

       Dem der ihr trotzt, und saugt das Blut ihm aus.

       Hat nicht der grimme Gott die Jungfrau'n alle

       Sich unterworfen? Ich allein, o Schwester,

       Entgelt' es, dass ich frei mich aufgelehnt.[14]

      Selbst den Gewaltthäter kann die Jungfrau nicht hassen. Er brach den Frieden; aber was thut Liebe anders? Er überlistete; aber die Liebe ist listig. Er höhnte: aber spottet nicht die Liebe selbst des Gewaltigsten und Freiesten? Mit andern Worten: ist nicht Eros selbst ein Gewaltthäter ohne Scheu und Scham, ein Verbrecher, der alle herkömmlichen Gesetze sprengt?

      Alle? Das ist zu viel gesagt. Heyse hat wohl bisweilen, wie in den angeführten Fällen, eine an Kleist erinnernde Neigung zu rein pathologischen erotischen Problemen, aber er ist allzu harmonisch angelegt, allzu reif und allzu deutsch-national, um ohne weiteres die Leidenschaft als Ordnung und Gesetz der Gesellschaft durchbrechend zu schildern. Er ist entwickelt genug um einzusehen, dass die Gesetze der Leidenschaft und die Gesetze der Gesellschaft zwei höchst ungleichartige Dinge sind, die sehr wenig mit einander gemein haben; aber er bezeigt letzteren die Verehrung, die sie verdienen, d. h. eine bedingte. Seit seiner frühesten Jugend hat es ihn gereizt und gelockt, die nur relative Wahrheit und den nur bedingten Werth dieser Gesetze darzustellen, Fälle zu erdichten, wo sie auf solche Weise übertreten werden, dass die Ausnahme gegen die Regel Recht zu haben scheint, und sogar der verhärtetste Spiessbürger sich bedenken wird, hier zu verurtheilen. In seiner Besorgniss, der Ausnahme volles, unumstössliches Recht zu geben, hat Heyse bisweilen — wie in seinem ersten, in die gesammelten Werke nicht aufgenommenen Drama „Francesca von Rimini“ — völlig barocke Ausnahmen aufgesucht; aber durchgehends ist es sein Bestreben, den Fall so mit Pallisaden zu umzäunen, dass kein Sturmlauf der gewöhnlichen Moral diese Schutzwehr umstürzen könne. Wenn Goethe Egmont und Clärchen zusammenführt, stellt er das Verhältniss nicht dar, als ob es einer Entschuldigung bedürfe; das Verhältniss wird durch seine Schönheit vertheidigt. Heyse, der minder grossartige, ebenso vorsichtige als kühne Dichter, hat immer ein Auge auf die conventionelle Moral geheftet und bestrebt sich stets, sie zu versöhnen, entweder dadurch, dass er ihr so zu sagen Recht gibt in allen andern Fällen als eben diesem einen, wo ihre Uebertretung unvermeidlich war, oder dadurch, dass er das Vergehen wider die Sittenlehre sühnt, indem die Persönlichkeit mit Wissen und Willen das verbotene Glück um einen so hohen Preis erkauft, dass es, so theuer bezahlt, keinen Philister locken würde.

      In „Francesca von Rimini“ liegt der Fall so: Lanciotto ist hässlich, roh und verderbt, sein Bruder Paolo edel und schön. Lanciotto entbrennt leidenschaftlich für Francesca. Durch Bruderliebe zu dem durchaus unwürdigen Lanciotto verleitet, hat sich Paolo dazu missbrauchen lassen, nicht nur als Liebeswerber, sondern sogar auf dem Hochzeitstage als Bräutigam verkleidet, den Bruder zu vertreten, welcher befürchtet, dass seine Hässlichkeit nie das Jawort des Mädchens erringen könne. Erst im Dunkel des Brautgemachs wagt Lanciotto sich seiner Braut zu nähern. Aber auch Paolo liebt Francesca, wie sie ihn wieder liebt. Es ist also kein Wunder, dass die junge Frau, als sie den plumpen Betrug entdeckt, dessen Beute sie geworden, sich durch die Liebkosungen ihres Gatten entehrt fühlt, und weit entfernt davon, ihre Liebe zu Paolo als Sünde zu betrachten, sie als berechtigt und heilig ansieht:

      Der Kuss von Deinem Munde war die Hostie

       Die den entehrten Mund mir neu gereinigt.

      Um seine Verschanzung recht tüchtig zu bauen, hat also der Dichter in dieser naiven Jugendarbeit sich den unmöglichsten, an den Haaren herbeigezogenen Fall construirt; denn was kann ungereimter sein, als dass Paolo aus purer einfältiger Gutmüthigkeit gegen einen verächtlichen Bruder, seine Geliebte dem gemeinsten Betruge preisgibt, der noch dazu sein eigenes Lebensglück vernichtet. Aber man findet in diesem grellen Beispiel den Typus, nach welchem in Heyse's so zahlreichen späteren tactvollen und feinen Arbeiten die moralische Collision construirt wird. Ich greife auf's Gerathewohl einige Beispiele heraus: in „Beatrice“ ist die gesetzliche Ehe, welche die Liebesgeschichte durchbricht, eine Zwangsehe, ebenso unheilig, wie die Ehe Francesca's, obschon besser motivirt. In „Cleopatra“ wehrt der junge Deutsche sich so hartnäckig gegen die Liebe der schönen Aegypterin, wie Graf Wetter von Strahl bei Kleist sich gegen die Leidenschaft des Käthchens von Heilbronn. Erst als die Sehnsucht nach ihm, Cleopatra dem Tode nahe bringt, entsteht zwischen ihnen das Liebesverhältniss. Die stolze Gabriele, in der Novelle „Im Grafenschlosse“ lässt sich erst dann zu ihrer „Gewissensehe“ mit dem Grafen überreden, als er sein Leben ihretwillen aufs Spiel gesetzt hat. Die junge Frau in „Rafael“ erkauft sich einige Stunden des Zusammenseins mit dem Geliebten für lebenslängliche Einsperrung im Kloster: die Hingebung Garcinde's und Lottka's wird geadelt, indem das nach aussen gebundene, aber innerlich freie Ich sich eine Hingebung, welche die Verhältnisse verbieten, unter keiner anderen Bedingung denken kann, als unter der, dass sie den Tod zur Folge hat. Das Anrecht zum Glücke eines flüchtigen Augenblicks wird durch Selbstmord erworben.

      Den Glücksbecher, den diese Persönlichkeiten leeren, hat ihr Schicksal mit Gift gewürzt. Heyse behauptet mithin für diese heroischen Seelen das Recht, einen Streit der Pflichten anders zu lösen, als „der ängstliche, von kleinen Gewohnheiten und Rücksichten eingeengte Mittelschlag der Philister“ es zu thun pflegt, und in der Einleitung zu seiner „Beatrice“[15] hat er selbst seine ethische Ketzerei mit diesen Worten theoretisch formulirt: „Geniale Naturen, die auf sich selbst beruhen, erweitern durch ihre Handlungen, indem sie das Maass ihrer innern Kraft und Grösse als ein Beispiel vorleuchten lassen, eben so sehr die Grenzen des sittlichen Gebiets, wie geniale Künstler die hergebrachten Schranken ihrer Kunst durchbrechen und weiter hinausrücken. Und was an Uebermass und Uebermuth des Selbstgefühls in jenen heroischen Seelen sich rühren mag, wird es nicht eben durch den tragischen Untergang geläutert und gebüsst?“

      Nicht weniger als durch diese immer nahe liegende Association mit Untergang und Tod adelt Heyse die Liebe, legitim oder illegitim, wie oben berührt, durch die Art der Hingebung. Sie ist immer bewusst. Diese Weiber lassen sich nie hinreissen, sie verschenken sich als eine freie Gabe — wenn sie sich überhaupt verschenken. So schon in Arbeiten aus Heyse's früher Jugend, wie „Der Kreisrichter“,[16] so in „Rafael“, in „Lottka“ und so vielen andern Novellen in Prosa und Versen. Ueberall ist die Selbstherrlichkeit und das Selbstbestimmungsrecht des Individuums gewahrt. Frei gibt das Weib sich dem Geliebten hin, frei geht es der Vernichtung entgegen oder gibt sich mit eigener Hand den Tod, und wo das Liebesglück nicht geadelt wird, durch den Preis, den es kostet, da wird es wenigstens durch den Stolz, womit es verschenkt und genossen wird, erhöht. Kraft dieses Stolzes fühlt sich die Persönlichkeit, selbst von der stärksten Naturmacht beherrscht, unabhängig und souverän in dem Behaupten ihrer Herrscherwürde. In dem Roman „Im Paradiese“ hat Heyse aber zum ersten Male principiell die Freiheit der Liebe im Gegensatz zu den Gesetzen der Gesellschaft als Problem behandelt und als Recht vertheidigt. Die Grundidee des Romans ist keine andere als die, dass die Sittlichkeit und Würde der Liebe zwischen Mann und Frau von der äusseren Bestätigung des Ehebundes unabhängig sei. Nach seiner Gewohnheit hat Heyse den hier gegebenen Fall mit den kräftigsten Beweggründen versehen: Jansen kann nicht, ohne seinen Freund zu beschämen, von seiner verächtlichen Frau sich befreien, und ohne Julie wird er als Künstler und Mensch verkümmern. Doch als Julie in der Gegenwart aller Freunde, mit dem Myrthenkranze geschmückt, sich frei mit Jansen vermählt, wird ganz entschieden ein Angriff auf die gewöhnliche Moral der Gesellschaft gerichtet, obwohl der Vorgang nicht als Beispiel zur Nachfolge hervortritt. Der Dichter, der in „Kinder der Welt“ seinen Zeitgenossen es eindringlich an's Herz legte, dass die Moralität des Einzelnen nicht von seinen metaphysischen Ueberzeugungen abhänge, hat im „Paradiese“ lehren wollen, dass die


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