Mami Staffel 5 – Familienroman. Eva-Marie Horn
Aber da kam gestern ein Brief von meiner Ex-Frau, und schon war die Sehnsucht da.«
»Sehnsuchcht nach ihr?« Ei-
fersucht schwang in dieser Frage mit.
»Nein, aber nach deutschem Essen, deutscher Gründlichkeit, Ordnung und Sauberkeit. Gewiß, das kann ich hier in der Ferienanlage auch haben, aber es ist nicht dasselbe. Die Menschen machen Urlaub hier und geben sich ganz anders, als sie wirklich sind. Du denkst sicher, daß dies doch angenehm ist. Stimmt. Aber auf die Dauer wird es langweilig. Ich lebe hier wie in einem Getto mit Zaun und patrouillierenden Wachen. Und wenn ich herauskomme, begegne ich Menschen, die keine Arbeit haben und sich deshalb all das nicht leisten können, was den Touristen geboten wird. Ich sehe Kinder, die um Seife betteln oder um einen Kaugummi. Das alles habe ich satt.«
»Du willscht für immer weggehen?« erkundigte sich Pedros Gesprächspartnerin erstaunt. »Hascht du vergessen, wie kalt es in Europa ischt? Da gibt es kein badewannenwarmes Meer und Bananen vom Baum hinterm Haus.«
»Im Moment ist drüben in meiner Heimat Frühling. Die Bäume blühen, und in den Vorgärten brummen die Rasenmäher. Das muß ich einfach mal wieder erleben. Du wirst es nicht glauben, aber auch den Luxus einer Ferienanlage wie dieser bekommt man irgendwann über.«
»Du spinnscht ja!«
»Kann sein. Vielleicht freue ich mich deshalb so auf verstopfte Straßen, richtige Busse und Bahnen und nicht ausgediente Militärlaster, die als Transportmittel für die Einheimischen dienen.« Den Inhalt von Gudruns Brief hatte Pedro längst wieder vergessen. Das Kind, von dem sie schrieb, daß es den Vater vermisse, interessierte ihn nicht. Dagegen war er neugierig auf Gudrun. Ob sie noch so hübsch und begehrenswert war wie früher? Eigentlich war es dumm von ihm gewesen, nach dem Tod seiner Mutter nicht wieder zu ihr zurückzukehren. Gudrun nahm auch heute noch in seinen Empfindungen eine Sonderstellung ein. Seine zweite Frau, die temperamentvolle Mexikanerin, und auch die zahlreichen Freundinnnen, die er danach hatte, wollte er nie wiedersehen. Auf Gudrun dagegen freute er sich.
»Das hier ischt ein Paradies, landschaftlich wunderbar, klimatisch ideal. Du willscht das doch nischt eintauschen gegen Regen, Nebel und beklemmende Enge in den Städten.« Die Schweizerin schüttelte verständnislos den
Kopf.
»Doch, ich will, und ich bedauere nur, daß im Moment, außer vielleicht auf der Zugspitze, nirgendwo Schnee liegt. Seit ich die Leitung dieses Feriendorfes übernommen habe, hatte ich nicht einen Tag Urlaub.«
»Das brauchscht du auch nichcht, weil hier immer Urlaub ischt.«
»Das ist es ja. Ewig habe ich den blauen Pool vor Augen, die Cuba-libre-schlürfenden Barbesucher, die Palmen und den hellen Strand. Du empfindest das alles mit der Zeit als Kitsch.«
»Und was ischt mit mir?« Die Schweizerin rückte ewas näher, legte den Arm um Pedros Oberkörper und gewährte ihm einen tiefen Einblick in den großzügig bemessenen Ausschnitt.
Auch Anblicke wie dieser ließen Pedro längst kalt, denn sie waren zur Gewohnheit geworden. So manche Touristin sonnte sich ›oben ohne‹ am Strand, obwohl die
Hausordnung dies verbot. »Du tröstest dich mit Angelo, unserem schokobraunen Animateur. Er steht auf Blondinen, aber das weißt du sicher längst.« Pedro lachte amüsiert. Die Touristinnen machten es den Männern hier oft zu leicht, und das minderte den Reiz solcher Abenteuer.
»Ichch mag aber dichch, nichcht den Angelo.«
»Vielleicht komme ich wieder zurück. Weiß noch nicht.« Pedro wollte nicht erwähnen, daß dies ganz von Gudrun abhing. Sie
schien noch immer ihren Mäd-chennamen zu tragen, also war sie nicht verheiratet. Aber vielleicht hatte sie einen festen Freund. Doch hätte sie ihn dann gebeten, mit ihrer kleinen Tochter Verbindung aufzunehmen? Wahrscheinlich war Cornelias Sehnsucht nach ihrem Erzeuger nur ein Vorwand. Pedro machte sich die schönsten Hoffnungen.
Damals, vor etwa zehn Jahren, hatte er Gudrun aus Liebe geheiratet. Doch sie waren zu verschieden, lebten sich rasch auseinander, und auch das Baby konnte ihre Ehe nicht kitten. Vielleicht war jetzt alles anders. Vielleicht war Gudrun vernünftig geworden.
»Du waischt, daß ichsch nur wegen dir…« Die schlanke Blondine drückte Pedro einen Kuß auf die Wange. »Schließlich ischt dieses Feriendorf nichcht billig.«
»Du wirst ohne mich ebenso viel Spaß haben. Entschul-
dige, aber ich habe noch im Büro einiges zu erledigen. Ich muß meinem Stellvertreter alles übergeben.«
»Kommscht du dann zu mir?« Die Schweizerin hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß sich Pedro alles anders überlegen würde. Sie würde ihn schon umstimmen.
»Ich kann nicht, weil ich morgen sehr früh raus muß. Aber schau mal, dort winkt dir der Angelo.« Pedro küßte die Blondine und erhob sich rasch.
Verblüfft blieb sie zurück, trank ihr Glas aus und schlenderte dann hinüber zu Angelo.
*
Für Conny war es ein langweiliger Sonntag, denn ihre Mami bestand darauf, daß sie auf der Couch lag und ihr Bein schonte. Daß der Knöchel gar nicht weh tat, wagte Conny niemand einzugestehen, da sie am Vormittag das Gegenteil behauptet hatte. Noch mehr als über sich selbst ärgerte sich Conny über Udo, der sich sehr um ihre Mami bemühte.
Er rückte ihr im Lokal den Stuhl zurecht, er bestellte das beste Menü und mixte zu Hause Drinks für sie und unterhielt sie bestens. Es waren hauptsächlich geschäftliche Dinge, die die beiden besprachen, und Conny fand das alles zum Gähnen.
Entsprechend schlecht gelaunt kam sie am Montag zur Schule. Sie zerstritt sich mit Sabine und saß in den übrigen Stunden mißmutig auf ihrem Platz.
Nur am Biologie-Unterricht beteiligte sie sich lebhaft und glänzte durch ihre erstaunlich guten Kenntnisse.
»Du gibst ja nur an«, stichelte Sabine, der das mißfiel.
Conny beachtete ihre Bank-nachbarin nicht. Sie hatte nur Augen für Jens Seeger.
Er behandelte alle Kinder gleich, obwohl ihm das nicht leicht fiel. Irgendwie fühlte er sich zu Conny hingezogen. Er freute sich über ihre rege Beteiligung am Unterricht, verzichtete aber darauf, sie zu loben, denn das hätte der Kleinen nur die Mißgunst der Klasse eingebracht.
Sehr anschaulich erklärte Jens das Brutgeschäft der Vögel. Er ließ auch das präparierte Nest mit den Vogeleiern durch die Reihen seiner Schüler gehen. Viele von ihnen hatten so etwas noch nie gesehen und staunten entsprechend.
Besonders gut fühlte sich Jens allerdings nicht, denn er war am Wochenende mit Heidi und ihren Freunden auf der Mosel gepaddelt, was recht anstrengend war. Muskelkater hatte er in beiden Armen, und vom langen Sitzen in dem engen Boot tat ihm der Rücken weh. Sportlich, wie Heidi war, wollte sie nachts im Zelt schlafen. Auch das war Jens nicht gewohnt. Entsprechend steif und mit schmerzenden Gliedern wachte er morgens auf. Heidi hatte für seine Beschwerden nur ein schadenfrohes Lachen. Ein Rätsel aber blieb es für Jens, wie Bulli, der Bandleader, diese Tortur ohne Schaden überstand.
Diese Paddeltour hatte Jens wiederum gezeigt, daß er den Anforderungen, die Heidi an ihn stellte, nicht gewachsen war. Oder waren es gar nicht die sportlichen Qualitäten, die ihm fehlten, sondern die Liebe, die ja bekanntlich alles überwinden konnte.
Jens verbot es sich, darüber nachzudenken, denn lebhafte Drittklässler zu unterrichten, forderte volle Konzentration.
Jens war froh, als die Pausenglocke das Ende des Unterrichts ankündigte. Er bat seine Schüler noch, zu Hause eine Zeichnung des Vogelnestes und seines Inhalts anzufertigen, was die Kenntnisse vertiefen würde.
Dann aber wurde es in der Klasse laut. Stühle wurden gerückt, Bücher zugeklappt und Schultaschen gepackt. Viele der Jungen und Mädchen hatten sich noch rasch viel zu erzählen. Um andere zu übertönen, mußten sie schreien, wodurch der Lärmpegel stieg.
Nur zu gerne verließ Jens die Klasse, denn so richtig war