Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf

Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf


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wohl eben erst bestellt war, denn er konnte nicht einen einzigen grünen Halm darauf erblicken, – nach der Südebene in Schonen hinuntersauste, wo der Roggen um diese Zeit schon Ähren angesetzt hatte!

      Die Tannenwälder sahen hier oben ganz anders aus. Die Bäume standen weit auseinander, die Zweige waren kurz, die Nadeln waren fast schwarz, viele Bäume waren an den Wipfeln verdorrt und sahen krank aus. Die Erde unter ihnen war mit alten Stämmen bedeckt, die wegzuschaffen sich niemand die Mühe gemacht hatte. Wenn nun ein solcher Wald so weit käme, daß er den Kolmården sehen konnte! Da würde er sich gewiß sehr ärmlich vorkommen.

      Und der Garten, den er jetzt unter sich sah! Es waren schöne Bäume darin, aber weder Obstbäume noch edle Linden und Kastanien, nur Ebereschen und Birken. Es waren schöne Büsche darin, aber weder Goldregen noch Flieder, nur Faulbäume und Hollunder. Gemüsebeete waren auch da, aber sie waren noch nicht umgegraben und bepflanzt. Wenn nun so ein Küchengarten ganz nach einem Schloßgarten in Sörmland angefahren käme! Da würde er sicher von sich selbst denken, daß er nichts weiter sei als eine Einöde.

      Oder die Wiese dort, die mit so vielen kleinen, grauen Scheunen bedeckt war, daß man glauben sollte, die halbe Erde sei zu Bauplätzen geworden! Wenn die nach der Ostgötaebene hinunter triebe, da würden alle Bäume dort unten wahrlich große Augen machen.

      Aber wenn das große Moos, das nun unter ihm lag, ganz mit Fichten bewachsen wäre, die nicht steif und kerzengerade daständen wie in gewöhnlichen Wäldern, sondern buschige Zweige und üppige Kronen hätten und sich in anmutigen Gruppen auf dem schönsten Teppich aus Weißem Renntiermoos aufgestellt hätten, wenn dies Moos dann den Weg nach dem Ovedkloster-Park hinab einschlüge, da würde der prächtige Park schon einräumen müssen, daß er seinesgleichen gefunden habe.

      Und wenn die hölzerne Kirche da unten unter ihm mit ihren mit rotem Holz bekleideten Wänden, mit dem buntbemalten Glockenturm und mit einer ganzen kleinen Stadt von grauen »Kirchenbuden« daneben an einer der gotländischen Kirchen mit ihren dicken Ziegelsteinmauern vorbeigesaust kämen! Die mußten einander wirklich viel zu erzählen haben.

      Aber der Stolz und die Ehre der ganzen Landschaft waren die gewaltigen, finsteren Elfe mit ihren prächtigen Tälern voll von Höfen, ihren Unmengen von Bauholz, ihren Sägewerken, ihren Städten mit dem Gewimmel von Dampfschiffen an den Mündungen. Ließ sich so ein Elf unten im Lande blicken, so würden alle Bäche und Elfe südlich vom Dalelf vor Scham in die Erde versinken.

      Und wenn so eine unermeßlich große Ebene, die so gut gelegen und so leicht zu bebauen war, vor den Augen der armen Bauern in Småland dahergeglitten käme! Da würden sie von ihren mageren Grundstücken und den kleinen, steinigen Äckern herbeigestürzt kommen, um sie zu roden und zu bestellen.

      Etwas aber war da, woran diese Landschaft reicher war als alle anderen, nämlich an Licht. Die Kraniche schliefen stehend auf den Mooren, die Nacht mußte gekommen sein, aber das Licht war noch da. Die Sonne war noch nicht südwärts gewandert wie alles übrige. Dahingegen war sie nun so weit nach Norden gegangen, daß sie dastand und ihm gerade ins Gesicht schien. Und sie schien gar nicht die Absicht zu haben, über Nacht noch bis an den Horizont hinabzusinken. Wenn dies Licht und diese Sonne auf Bester Vemmenhög herabschienen! Das würde etwas für den Häusler Holger Nielssen und seine Frau sein,– ein Arbeitstag, der vierundzwanzig Stunden lang, war!

      Der Traum.

       Sonntag, 19. Juni.

      Niels Holgersen hob den Kopf und sah sich um, auf einmal ganz wach. Das war doch sonderbar! Hier lag er und hatte an einem Ort geschlafen, wo er nie zuvor gewesen war. Nein, er hatte noch nie das Tal gesehen, in dem er lag, und auch nie die Berge, die ihn umgaben. Er kannte nicht den runden See, der mitten in dem Tal lag und hatte nie im Leben solche armselige und verkrüppelte Birken gesehen wie die, unter denen er jetzt lag.

      Und wo war der Adler? Er konnte ihn nirgends entdecken. Gorgo mußte ihn verlassen haben. Welch ein Abenteuer!

      Der Junge legte sich wieder an die Erde nieder, schloß die Augen und versuchte sich darauf zu besinnen, wie alles gewesen war, ehe er einschlief.

      Er erinnerte sich, daß es ihm die ganze Zeit, während er über den Västerbotten dahinflog, so gewesen war, als stünden er und der Adler da oben in der Luft ganz still auf demselben Fleck, während das Land unter ihnen gen Süden zog. Aber dann bog der Adler nach Nordwesten ab, sie bekamen den Wind von der Seite, er konnte wieder den Luftzug spüren, und im selben Augenblick stand das Land da unten still, und er fühlte, daß der Adler ihn mit Windeseile davontrug.

      »Jetzt fliegen wir nach Lappland hinein!« sagte Gorgo, und der Junge beugte sich vor, um die Landschaft zu sehen, von der er so viel gehört hatte.

      Er fühlte sich jedoch ziemlich enttäuscht, als er nichts weiter sah als große Wälder und weite Moore. Da war Wald und Moor und Moor und Wald bis ins Unendliche. Die große Einförmigkeit machte ihn schließlich so schläfrig, daß er nahe daran war, herunterzustürzen.

      Da sagte er zu Gorgo, daß er es nicht länger aushalten könne, auf dem Adlerrücken zu sitzen, er müsse durchaus ein wenig schlafen. Gorgo ließ sich sofort auf die Erde herabsinken, und der Junge warf sich auf das Moos, dann aber packte ihn Gorgo mit den Fängen und schwang sich mit ihm in die Luft empor. »Schlafe du nur, Däumling!« rief er. »Mich hält der Sonnenschein wach, und ich will die Reise fortsetzen.«

      Und obwohl der Junge höchst unbequem zwischen den Fängen des Adlers hing, schlief er wirklich ein und im Schlaf hatte er einen Traum.

      Es war ihm, als sei er auf einer breiten Landstraße unten in dem südlichen Schweden und als laufe er so schnell, wie seine kleinen Beine ihn tragen konnten. Er war nicht allein, sondern eine Menge anderer zogen desselben Weges. Dicht neben ihm kamen die Roggenhalme mit schweren Ähren an der Spitze und mit Kornblumen vermischt dahermarschiert, die Apfelbäume keuchten schwer von Früchten und ihnen folgten Bohnen und Erbsen voller Schoten, große Büsche Margeriten und ein ganzes Gehege von Obststräuchern. Große Laubbäume, Eichen und Eschen und Linden, gingen in Ruhe und Gemächlichkeit mitten auf der Landstraße, stolz rauschten sie mit ihren Kronen und gingen niemand aus dem Wege. Zwischen seinen Beinen kamen die kleinen Pflanzen gelaufen: Erdbeeren, Anemonen, Löwenzahn, Klee und Vergißmeinnicht. Zuerst meinte er, daß es nur Pflanzen waren, die so des Weges dahinzogen, bald aber entdeckte er, daß sowohl Menschen als auch Tiere mit dabei waren. Die Insekten umsummten die dahineilenden Pflanzen, in den Gräben schwammen Fische, die Vögel saßen in den dahinwandernden Bäumen und sangen, zahme und wilde Tiere liefen um die Wette, und mitten zwischen all diesem Gewimmel gingen Menschen mit Spaten und Sensen, andere mit Äxten, wieder andere mit Flinten und einige mit Angelruten.

      Der Zug bewegte sich munter und fröhlich, und das verwunderte ihn gar nicht, als er sah, wer ihn anführte. Es war niemand Geringeres als die Sonne selbst. Sie kam die Straße dahergerollt wie ein großer, schimmernder Kopf mit Haar aus vielfarbigen Strahlen und einem Gesicht, das vor Frohsinn und Güte strahlte. »Vorwärts!« rief sie ununterbrochen. »Niemand braucht bange zu sein, wenn ich dabei bin! Vorwärts! Vorwärts!«

      »Ich möchte wohl wissen, wohin uns die Sonne führen will,« sagte der Junge vor sich hin. Aber der Roggenhalm, der neben ihm ging, hatte gehört, was er sagte, und antwortete sogleich: »Sie will uns nach Lappland führen, um gegen den großen Versteinerer zu kämpfen.«

      Niels Holgersen sah bald, daß mehrere von den Fußgängern bedenklich wurden, ihre Schritte mäßigten und schließlich zurückblieben. Er sah, daß die große Buche stehen blieb, das Reh und der Weizen blieben am Grabenrand stehen und ebenso die Brombeerbüsche, die großen gelben Sumpfdotterblumen, die Kastanienbäume und die Rebhühner.

      Er sah sich um, denn er wollte ergründen, warum so viele zurückblieben. Da gewahrte er, daß er sich nicht mehr in dem südlichen Schweden befand; die Wanderung war so schnell vor sich gegangen, daß sie schon in Svealand angelangt waren.

      Hier oben begann die Eiche zurückzubleiben. Sie blieb ein wenig stehen, machte einige zögernde Schritte und stand dann ganz still. »Warum kommt die Eiche nicht mehr mit?«


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