Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf
rang er die Hände in unsagbarer Angst. Er sah vor sich die eingeschüchterten Augen, die zusammengekniffenen Lippen, die kleinen abgemagerten Hände. Das arme kleine Wesen sollte Schutz und Pflege haben, das Brandmal der Erniedrigung sollte aus ihrem Körper getilgt werden wie das Böse aus ihrer Seele. Jetzt ward ihm der Weg zu den ewigen Wäldern verschlossen.
»Ich werde mir das Leben nicht nehmen, solange sie unter Eurem Schutze steht«, sagte er. »Ich wußte es ja, daß die Majorin stärker sei als ich, daß sie mich zwingen würde zu leben.«
»Gösta Berling«, sagte sie feierlich, »ich habe um dich gekämpft wie um meine eigene Seligkeit. Ich sagte zu Gott: Wenn noch eine Spur von Margarete Celsing in mir ist, so mache, daß sie sich zu erkennen gibt und den Mann verhindert, sich das Leben zu nehmen. Und Gott erhörte mein Flehen, und du hast sie gesehen, und deswegen konntest du nicht gehen. Und sie flüsterte mir zu, daß du vielleicht um des armen Kindes willen den Gedanken an den Tod aufgeben würdest. Ach, ihr fliegt so kühn, ihr wilden Vögel, Gott aber kennt das Netz, das euch fangen kann.«
»Er ist ein großer, wunderbarer Gott!« sagte Gösta Berling. »Er hat mich zum Narren gehabt und mich verworfen, aber er will mich nicht sterben lassen. Sein Wille geschehe.«
Seit jenem Tage wurde Gösta Berling Kavalier auf Ekeby. Zweimal versuchte er es, sich loszumachen und sich einen Weg zu bahnen, um von der eigenen Arbeit zu leben. Das eine Mal gab ihm die Majorin ein Haus in der Nähe von Ekeby; er zog dahin und wollte versuchen, als Arbeiter zu leben. Es gelang ihm auch einige Zeit, aber er ward bald der Einsamkeit und der täglichen Arbeit müde und wurde wieder Kavalier. Das zweitemal ward er Hauslehrer auf Borg bei dem jungen Grafen Heinrich Dohna. Dort verliebte er sich in Ebba Dohna, des Grafen Schwester; als sie aber starb, gerade als er sie zu gewinnen meinte, gab er jeden Gedanken, etwas anderes als ein Kavalier auf Ekeby zu werden, auf. Es schien ihm, als seien einem abgesetzten Pfarrer alle Wege zur Wiederherstellung seiner Ehre verschlossen.
Die Christnacht
Sintram heißt der böse Gutsherr auf Fors, mit dem schwerfälligen Körper, den langen Affenarmen, dem kahlen Kopf und dem häßlichen, grinsenden Gesicht, der nichts Schöneres kennt, als Unfrieden zu stiften.
Sintram heißt er, der nur Landstreicher und Raufbolde als Knechte annimmt, der nur keifende, verlogene Mägde in seinem Dienst hat, er, der die Hunde bis zur Raserei quält, indem er ihnen Kopfnadeln in die Schnauze steckt, der sich am glücklichsten zwischen bösen Menschen und wütenden Tieren fühlt.
Sintram heißt er, dessen schönstes Vergnügen es ist, sich wie der leibhaftige Teufel anzuputzen mit Hörnern und Schwanz und Pferdefuß, und der dann plötzlich aus den dunklen Ecken, aus dem Backofen oder hinter dem Holzschober hervorstürzt, um furchtsame Kinder und abergläubische Frauen zu erschrecken.
Sintram heißt er, der sich freut, wenn er alte Freundschaft in flammenden Haß verwandeln und die Herzen mit Lügen vergiften kann.
Sintram heißt er – und eines Tages kam er nach Ekeby.
»Zieht den großen Brennholzschlitten in die Schmiede, stellt ihn in die Mitte des Raumes, legt einen Karren darüber, den Boden nach oben gewendet, dann haben wir einen Tisch. Hurra, der Tisch soll leben!
Jetzt herbei mit Stühlen und mit allem, was sich zum Sitzen benutzen läßt. Herbei mit dreibeinigen Schusterhockern und leeren Kisten! Herbei mit zerfetzten Lehnstühlen ohne Lehne und her mit dem alten Einspännerschlitten ohne Kufen und mit der alten Karosse. Ha, ha! her mit der alten Karosse! Das soll die Rednertribüne sein. Nein, seht nur, das eine Rad ist ab und der ganze Wagenkasten fehlt! Es ist nichts als der Bock übriggeblieben. Das Polster ist zerfetzt, die Krollhaare quellen daraus hervor, das Leder ist rot von Alter. Hoch wie ein Haus ist das alte Stück Rumpelzeug. Stoßt, stoßt, sonst stürzt es um!«
Hurra! Hurra! Es ist Christnacht auf Ekeby. Hinter den seidenen Gardinen des Doppelbettes schlafen der Major und die Majorin, schlafen und glauben, daß auch der Kavalierflügel schläft. Knechte und Mägde können schlafen, übersättigt von dem festlichen Reisbrei, müde von dem starken Weihnachtsbier, nicht aber die Herren im Kavalierflügel. Kann überhaupt jemand glauben, daß der Kavalierflügel schläft?
Keine barfüßigen Schmiede rasseln mit den eisernen Stangen, keine rußgeschwärzten Knaben ziehen die Kohlenkarren hinter sich her, der große Hammer hängt wie ein Arm mit geballter Faust vom Dach herunter. Der Amboß steht leer, die Öfen sperren ihren roten Schlund nicht auf, um Kohlen zu verschlingen, die Bälge knirschen nicht. Es ist Weihnacht. Die Schmiede schläft.
Sie schläft, schläft! Oh, du Menschenkind, sie schläft, wenn die Kavaliere wachen! Die langen Zangen stehen aufrecht auf dem Fußboden, Talglichter in ihrem Schnabel haltend. Aus dem Zehnkannenkessel aus blankem Kupfer schlägt die blaue Flamme des Punsches zu dem dunklen Dach empor.
Beerencreutz’ Hornlaterne hängt an dem Stangeneisenhammer. Der gelbe Punsch schimmert in der Bowle wie die helle Sonne. Hier ist ein Tisch, und hier sind Bänke. Die Kavaliere feiern Weihnachten in der Schmiede.
Hier ist Lärm und Lustigkeit und Musik und Gesang. Das mitternächtliche Getöse weckt niemand. Aller Lärm, alles Geräusch aus der Schmiede ertrinkt in dem mächtigen Brausen des Gießbaches da draußen.
Da ist Lärm und Lustigkeit. Wenn die Frau Majorin sie jetzt sähe?
Nun, was dann? Sie würde sich sicher bei ihnen niederlassen und einen Becher mit ihnen leeren. Eine tüchtige Frau ist sie, sie läuft nicht davon vor einem donnernden Trinkliede, vor einem Spiel Rabouge. Die reichste Frau in ganz Wermland, barsch wie ein Kerl und stolz wie eine Königin. Gesang liebt sie, gellende Waldhörner und Violinen. Wein und Spiel hat sie gern und lange Tische, umringt von fröhlichen Gästen. Sie sieht es gern, wenn die Vorräte schwinden, wenn Tanz und Lustbarkeit in Kammer und Saal herrscht und der Kavalierflügel voller Kavaliere ist!
Sieh sie dort rings im Kreise um die Bowle sitzen, Kavalier an Kavalier! Es sind ihrer zwölf, zwölf Männer! Keine Eintagsfliegen, keine Modehelden, sondern Männer, deren Ruf erst spät in Wermland ersterben wird, mutige Männer, starke Männer!
Keine dürren Pergamente, keine zugeschnürten Geldbeutel, sondern arme Männer, sorglose Männer, Kavaliere vom Morgen bis zum Abend.
Jetzt hat der Kavalierflügel schon seit Jahren leer gestanden. Ekeby ist kein Zufluchtsort für heimatlose Kavaliere mehr. Pensionierte Offiziere und arme Edelleute fahren nicht mehr in wackeligen Gefährten auf den Landstraßen Wermlands umher; hier aber sollen sie wieder auferstehen, die Fröhlichen, Sorglosen, die ewig Jungen!
Alle diese weitberühmten Männer konnten ein oder mehrere Instrumente spielen.
Alle sind sie voller Eigenheiten, voller Redensarten, Einfälle und Lieder wie der Ameisenhaufen voller Ameisen, aber ein jeder von ihnen hat doch seine besondere vorzügliche Eigenschaft, seine hochgeschätzte Kavaliertugend, die ihn von den übrigen unterscheidet.
Zuerst von allen denen, die um die Bowle herumsitzen, will ich Beerencreutz nennen, den Obersten mit dem großen weißen Schnurrbart, den Rabougespieler, den Bellman-Sänger, und neben ihm seinen Freund und Kriegskameraden, den wortkargen Major, den großen Bärenjäger Anders Fuchs, und als dritten im Bunde den kleinen Ruster, den Trommelschläger, der lange Bursche des Obersten gewesen war, aber infolge seiner Geschicklichkeit im Punschbrauen und im Generalbaß Kavalierrang erhalten hatte. Dann muß der alte Fähnrich, Rutger von Örneclou, erwähnt werden, der Herzensbrecher in Perücke, steifer Halsbinde und Jabot, der geschminkt war wie eine Frau. Er war einer der hervorragendsten Kavaliere, und das war auch Christian Bergh, der starke Hauptmann, ein großer Held, aber ebenso leicht an der Nase herumzuführen wie der Riese im Märchen. In Gesellschaft dieser beiden sah man oft den kleinen kugelrunden Patron Julius, fröhlich und munter, ein heller Kopf, Redner, Maler, Liedersänger und Anekdotenerzähler.
Er ließ seine gute Laune gewöhnlich über den gichtbrüchigen Fähnrich und den