Um den Finger gewickelt. Edi Finger

Um den Finger gewickelt - Edi Finger


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Wir hatten Glück und liefen ihm direkt in die Arme. Ich war damals ja noch ein ganz junger Reporter, aber Happel kannte meinen Vater sehr gut aus den Zeiten, in denen er noch selbst Spieler war. In der Zeit, als die österreichischen Fußball-Clubs die spielfreie Zeit im Winter noch zum Geldverdienen nutzen mussten, waren die Vereine in Südamerika oder irgendwo auf der ganzen Welt, wo es warm war, unterwegs, um anderen Mannschaften gegen Bezahlung als Aufbaugegner zu dienen. Weihnachten und Silvester zu Hause gab’s nicht. Fußballer war ein Ganzjahres-Job. Das galt auch für die Reporter. Mein Vater war damals mit den Vereinen unterwegs und schickte »Fröhliche Weihnachten« aus Rio oder »Frohes neues Jahr« aus Caracas. Ende der 1950er war Ernst Happel mit Rapid wieder einmal auf Tournee, und mein Vater als Reporter mit dabei. In der spärlichen Freizeit ging man ins Kino. Es wurde ein Abenteuerfilm gezeigt, in dem der Haremswächter Aschyl vorkam, der Happel zum Verwechseln ähnlich sah. Seitdem hieß Ernst für die Fingers und auch für viele Fußballerkollegen nur mehr »Aschyl«. Aber das nur so nebenbei.

      Man muss sich vorstellen, in dem Hotel waren mindestens 50 deutsche Journalisten, die alle nur eines wollten: ein Interview mit dem Meistermacher. Und was machte der? Der setzte sich mit einer kleinen Gruppe Österreicher an die Hotelbar und bestellte seelenruhig Drinks für uns alle. Die Horde deutscher Journalisten stürmte wie ein Schwarm wildgewordener Hornissen auf den Happel zu und bombardierte ihn mit Fragen. Der blieb ganz ruhig, hob die Hand und sagte mit ernster Miene: »Stopp. Pressekonferenz nur für Österreich. Für die deutschen Journalisten erst später.«

      Die Kollegen waren zwar vor den Kopf gestoßen, aber Happel war eben Happel. Er konnte sich erlauben, was für andere undenkbar gewesen wäre. Die Medien hätten sie in der Luft zerrissen. Doch der Meistermacher war eine außergewöhnliche Persönlichkeit und so warteten die Deutschen (un)geduldig, bis wir unsere Drinks geleert und das Gespräch beendet hatten.

      Das ist etwas, das ich an Happel so sehr schätzte: seine Verbundenheit zu Österreich. Egal, wo er gerade als Trainer arbeitete, sein Herz gehörte seinem Vaterland. Auch, wenn er damit jemandem auf den Schlips trat.

      Happel galt als griesgrämig, war aber unheimlich nett und ein Mann mit einem ganz, ganz großen Herz. Er war als Aktiver der klassische »Fußball-Pülcher«, also einer, der bei allem Ernst für die Sache nie den Spaß an der Sache vergaß. Ein Beispiel: Bei einem Vorbereitungsmatch gegen einen Regionalligaverein stand es schon 12 oder 14 zu null für Happels Mannschaft. Alles spielte sich nur vor dem gegnerischen Tor ab und »Aschyl« langweilte sich als Verteidiger zu Tode. Als sich endlich der Ball zu ihm verirrte, drehte sich Happel um und knallte das Leder seinem eigenen Tormann Walter Zeman unhaltbar ins Kreuzeck. Nur so, zum Spaß.

      Spaß hatte »Aschyl« auch am Kartenspielen – und am Roulette. Beim Bauernschnapsen war er ja unschlagbar. Als ich ihn einmal fragte, wie seine Erfolgsbilanz am Roulette-Tisch aussähe, antwortete er: »Ich hab’ immer nur gewonnen.« Damit wäre er der Erste, dem das gelungen ist. Aber wer stellt schon eine Aussage von einem Ernst Happel in Frage?

       Die Cola-Dose

      Ernst Happel war für mein Dafürhalten einer der besten Fußballer aller Zeiten. Er hatte ein Ballgefühl wie kaum ein anderer. Wenn er also als Trainer einen Spieler kritisierte, dann mit Recht. Denn er wusste es tatsächlich besser – und konnte das auch beweisen. Ich war Zeuge, als er den Uneinsichtigen seiner Mannschaft zeigte, wo der Bartl den Most holt. Beim Schusstraining war er von der Treffgenauigkeit seiner Kicker alles andere als begeistert und sagte zu mir: »Die Fußballer glauben immer, sie sind die besten Fußballer. Und was können sie? Nix.« Nichts ärgerte Happel mehr, als wenn der eine oder andere Spieler trotz mangelnder Technik zu überheblich war.

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      Aschyl Happel

      »Ihr könnt ja überhaupt nicht schießen! Ich zeig’ euch, wie man Fußball spielt.« Happel stellte eine Cola-Dose auf die Querlatte beim Kreuzeck des Tores und legte den Ball auf den Sechzehner. »Wenn einer glaubt, er kann Fußball spielen, und meint, er verdient so viel Geld zu Recht, dann muss er mit einem Schuss die Dose runterschießen. Wer das nicht kann, kann nicht Fußball spielen!« Die Spieler lachten nur: »Haha, das kann keiner!« Happel ging zum Sechzehner, lief kurz an und »bumm«, der Ball knallte die Dose von der Querlatte. Danach hat keiner mehr an der Autorität des Trainers gezweifelt.

      »Von seinem Fußballsachverstand her war Ernst Happel einer der größten Trainer aller Zeiten.« Das sagte niemand Geringerer als Franz Beckenbauer.

       Der Hut des Schreckens

      Happel war darauf erpicht, dass in seiner Mannschaft alles problemlos lief. Wenn es Unstimmigkeiten oder Streitigkeiten gab, griff er hart durch. Dazu muss ich sagen, dass Happel niemals die jungen Spieler zur Verantwortung zog. Immer nur die Stars und Routiniers, denn die mussten von der Erfahrung (und der Bezahlung) her die Vernünftigeren sein. Happel erzählte mir, wie er Probleme innerhalb seiner Mannschaft löste: mit einem Hut. Da war einmal ein »Wickel« in der Mannschaft – Namen sind uninteressant – und Happel holte die drei in den Streit verwickelten Spieler zu sich: »Wir haben da ein Problem. Einen von euch hau’ ich heute raus. Ihr drei seid alle gleich schuld, und einer fliegt. Ich zeig euch jetzt, wie ich das mach’.« Er nahm ein Blatt Papier, zerriss es in drei Teile, schrieb auf jeden einen Namen, knüllte sie zusammen und warf sie in einen Hut. Er schüttelte den Hut, griff hinein und zog einen Namen. »So, du fliegst, die anderen können bleiben.« Das war’s. Er hat das auch tatsächlich durchgezogen. Ab diesem Moment musste Happel nur mit dem Hut drohen und schon war Ruhe im Team.

       Jetzt muss es raus

      Für mich war Happel der Mann mit der stoischen Ruhe. Selbst die fragwürdigste Schiedsrichterentscheidung regte ihn nicht auf. Happel blieb ungerührt. Doch gegen Ende seiner Karriere als Trainer ging mit ihm eine Verwandlung vor. Er begann vom Spielfeldrand die Schiris anzuschreien. Wegen jeder Kleinigkeit. Ich war ob des neuen Happels verwundert und fragte ihn. »Herr Happel« – er hat immer Du zu mir gesagt und ich Sie zu ihm. Obwohl er mir immer wieder anbot, ebenfalls Du zu sagen, weil er doch meinen Vater so lange und so gut kannte. Aber er war für mich eine derartige Respektsperson, zu der ich einfach nicht Du sagen konnte – »Herr Happel, wieso regen Sie sich plötzlich so auf?« Er antwortete: »Dreißig Jahre habe ich alles in mich hineingefressen, was sich diese schwarzen Idioten geleistet haben. Und jetzt ist Schluss! Jetzt lass ich alles raus!« Er hatte sich einfach geändert, zeigte seine Ungeduld ganz ungeniert.

      Von 1987 bis 1991 war Happel Trainer des FC Swarovski Tirol. Zwei Meistertitel und ein Cupsieg gingen auf sein Konto. Er hatte alles bewiesen, was zu beweisen war. Als Spieler wurde er unter anderem sechsmal Österreichischer Meister, Cupsieger und Dritter bei der WM 1954. Als Trainer führte er deutsche, belgische und niederländische Mannschaften zu insgesamt sieben (!) Meistertiteln, zwei Siegen im Europacup der Landesmeister und etlichen Vizemeistertiteln und Finaleinzügen, um nur die wichtigsten Erfolge aufzuzählen. Tirol war seine letzte Station, bevor er als österreichischer Nationaltrainer 1992 an Lungenkrebs verstarb.

      Es lag sicher auch an seiner fortschreitenden Krankheit, dass Happel weniger geduldig wurde. Bei einem Match von Tirol auf dem Wiener-Sportklub-Platz wechselte er kurz vor Spielende noch einen Abwehrspieler ein. Bevor dieser aufs Feld lief, fragte er den Trainer: »Trainer, wen soll i decken?« Happel schrie ihn an: »Such dir an!« Für lange Erklärungen hatte er einfach keine Lust mehr.

      Elegante Gärtner

      Walter »Schoko« Schachner spielte von 1981 bis ’83 beim AC Cesena in der italienischen A-Liga. Bei einem seiner Besuche in Wien fragte ich den steirischen Legionär, wie es ihm denn in Italien bei seinem Verein gefiele. Schoko, der kurz zuvor auf einer Party seines Clubpräsidenten war, schwärmte: »Eine Villa – kannst du dir nicht vorstellen. Personal – kannst du dir nicht vorstellen. Ein Garten – kannst du dir nicht vorstellen. Und Gärtner – kannst du dir nicht vorstellen.


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