Perlen der heiligen Vorzeit. János László Pyrker
sie nicht um der fünfzig willen verschonen?
Nein, du Erbarmer, nein, das wirst du nicht thun: dem Gerechten
Und dem Gottlosen ein und dasselbe Verderben bereiten
So, daß es hieß’: Ein’s sey’s, ob gottlos, oder gerecht wir
Leben! Nicht wirst du, o Herr, der du der Richter des Weltalls
Bist, so richten im Zorn — so wirst du nicht strafen, Erbarmer!“
Sanft entgegnet’ ihm d’rauf der Herr: „So ich fünfzig der Frommen
Fänd’ in der Stadt, soll sie noch um dieser willen verschont seyn.“
Hastig trat jetzt Abraham ihm noch näher, und sagte:
„Hab’ ich zuvor es gewagt — ich, Staub und Asche, zu reden
Vor dem Antlitz des Herrn, und er zürnte nicht, will ich noch einmal
Flehend ihm nah’n! Wenn dort der Gerechten nur vierzig und fünf noch
Lebten — verschonst du sie nicht? So klein ist der Mangelnden Anzahl.“
„Nein,“ sprach wieder der Herr, „nicht treffe sie Fluch und Verderben,
Wenn sie in ihrem Schooß der Gerechten nur vierzig und fünf zählt.“
„Auch um der Zahl von vierzigen nicht?“ rief jener mit Angst auf.
„Auch um der vierzig wegen noch nicht,“ so erscholl ihm die Antwort.
Abraham wandte sich jetzt, vergehend vor Schmerz, von dem Herrn ab,
Stand, und zitterte. Sollt’ er noch einmal es wagen, und flehen
Um Erbarmen, wo ihm schon jegliche Hoffnung dahinschwand?
Dennoch, es sprach der Erhab’ne so mild! begann er, gewendet,
Wieder vor ihm: „Ach, Herr, nicht zürne mir, daß ich zu reden
Mich erkühnte! Vielleicht sind doch noch dreißig — noch zwanzig
Fromme daselbst: willst du auch um dieser willen verschonen?“
„Ja,“ sprach jetzt, nach einigem Zögern zu ihm der Erbarmer,
„Find ich die zwanzig nur, so sey dir die Bitte gewähret!“
Abraham stand verstört. Zwei Mal erhob er die Augen,
Wollte sprechen — umsonst! Die erstarrende Zunge versagt’ ihm
Jegliches Wort; doch endlich rief er mit sterbendem Laut noch:
„Fändest du zehn?“ „Auch dann verschon’ ich,“ so tönte die Antwort.
Jetzt schwand ihm auf immer der Muth: er ließ sich, ermattet,
Nieder im Gras’, verhüllte mit beiden Händen die Augen,
Und ihm rann, wie ein Strom, die Thräne herab von den Wangen.
Sieh’, und als er sich wieder erhob, und forschend umhersah,
Stand er allein: ihm war der Herr entschwunden im Nachtgraun!
Doch wie erfüllete sich das Gottesgericht an den Städten
Sodoma und Gomorra, schon heut’, am dämmernden Morgen?
Beide Gefährten des Herrn (ihm dienende Geister des Himmels)
Nahten in Menschengestalt den Thoren der ersteren, gestern
Noch in dem Abendlicht, und fanden, im Kreise der Richter
Sitzend daselbst, auch Lot.[17] Er ward ein Städtebewohner.
Als er die beiden jetzt gastfreundlich zur nächtlichen Herberg
Führete; d’rauf die schändlichen, gottvergessenen Städter,
Schauend das holde Gesicht und die Jugendanmuth der Fremden,
Schmähliches dort mit entflammter Begier zu verüben entschlossen,
Stürmten das Haus mit Geschrei in todandräuender Anzahl:
Da kämpft’ er mit redlichem Eifer, die wüthenden Frevler
Abzuhalten von ihm, bis jene die himmlischen Bothen
Blendeten so, daß alle herum im Finsteren tappend,
Nicht mehr fanden die Thür’, und heim, entmuthiget, kehrten.
Aber die beiden Gefährten des Herrn ermahneten dringend
Lot, daß er eile sogleich mit der Gattinn vereint und den Töchtern,
Nach den Bergen hinaus, und sich rette von nahem Verderben.
Und da er zögerte, nahm der ein’ ihn bei’m Arm, und der and’re
Führte die Frau mit den Töchtern entlang des offenen Stadtthors
Wölbung, voll Hast, durch Hain und Flur nach dem winkenden Bergpfad.
Sieh’, und eh’ sie ihm nahten, begann der eine der Engel:
„Lot, nun rette dich schnell! Wenn dir dein eigenes Leben
Werth ist, und jenes der Deinen mit ihm, so wende die Augen
Nicht mehr zurück; nicht rast’ in dem Thal; erklimme die Berghöh’n.“
„Herr,“ entgegnete Lot, „nach Zoar, dem sicheren Städtchen
Laß uns zieh’n, uns droht auch dort auf den Höhen Verderben!“
„Wohl, so ziehet denn hin,“ sprach jener, „bis ihr’s nicht erreichet,
Kann ich die Rach’ an den fluchbeladenen Städten nicht üben.“
Laut rief er’s, und entschwand den Augen der flüchtenden Wand’rer
Dann mit dem trauten Gefährten zugleich. Doch jene gedachten
Seines dräuenden Wort’s, und eileten rascher den Pfad fort.
Abraham saß auf den Höh’n, wo er gestern in flehender Stellung
Stand vor dem Herrn, und sah auf die dämmernden Fluren hinunter.
Lieblich weht’ ihn der Frühwind an, und der herrlichste Morgen
Sank vom Himmel herab, zum letzten Male die Gegend
Noch um die Städte herum, zu schau’n, paradiesischer Schönheit:
Ach, denn es solle sie bald unendliche Trauer umhüllen!
Aber schon hob sich der junge Tag, rothwangig, in Osten
Heiter empor. Wie das Kind an dem Busen der zärtlichen Mutter,
Leise geküsset von ihr, erwacht, und mit glänzenden Augen
Schaut, holdlächelnd, umher: so sah er, mit Rosen bekränzet,
Drüben aus Osten heran. Schon glühete heller und heller
Ueber ihm hoch das zarte Gewölk, bis jetzt von dem Erdrand
Plötzlich ein Strahl auffuhr, und d’rauf in erschütternder Hoheit
Sich die Sonn’ erhob, zu beginnen die herrliche Laufbahn.
Sie begrüßte vom Feld, von dem säuselnden Hain und des Himmels
Blauem Gezelt der jubelnde Ruf unzähliger Vögel,
Und die Wälder, die duftende Blum’, und ein jeglicher Grashalm,
Schimmernd im reichsten Schmuck von des Thau’s hellblitzenden Perlen,
Beugten sich ihr in des Lüftchens Hauch, willkommend, entgegen.
Aber ach, da erscholl urplötzlich