Was der Tag mir zuträgt. Peter Altenberg

Was der Tag mir zuträgt - Peter Altenberg


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allem ist die Natur, und mit einem Kodak in einer wirklich menschlich-zärt­lichen Hand erwirbt man mühelos ihre Schätze. Sehet euch die Birken an, die Pappelbäume, zur Winters- und zur Sommerszeit, die Hausgärten voll Schnee und strohumhüllten Rosenstöcken. Sehet euch den rotgrauen Käfer aus Ceylon an oder die drapfarbige Muschel aus dem Ozean –, und ihr werdet die Künst­lerin "Natur" in euch aufnehmen mit liebevoll be­reicherten Augen. Und der blaubraun schillernde Schmetterling aus China, auf weißes Holz gespannt unter Kristallglas, ist schöner als alles, was ihr von Menschenunzulänglichkeit in euren öden Zimmern aufhäuft! Auf euren Nippes-verunreinigten Tischen!

      Die Kunst ist die Kunst, das Leben ist das Leben, aber das Leben künstlerisch zu leben ist die Lebenskunst!

      Wir wollen die Kunst, dieses Exzeptionelle, dem Alltage vermählen. Die Hand der Dame R. H. ist ein Kunstwerk Gottes. Oder das im Volksgarten spielende Kind R. O. Oder das Schreiten eines Alt-Aristokraten über die Straße. Der Reichtum des Daseins, nahegerückt für die, deren notwendige Geschäftigkeit sie hindert, ihn zu erleben! In deinen Tätigkeiten eingekapselt, kannst du nicht rechtzeitig Halt machen vor einem regenbeperlten Spinnennetz im abendlichen Walde und kannst nicht schauen, staunen und verharren! Wir wollen dich erziehen, das heißt aufhalten in deinen Rastlosigkeiten, auf dass du verweilest, schauest, staunest! Es gibt so viel zu schauen und zu staunen! Innezuhalten, zu verharren! Stillgestanden, Allzugeschäftiger! Nütze deine Augen, den Rothschildbesitz des Menschen! Wir wollen euch nur zeigen, woran ihr blindlings vorüberraset! Es gibt Menschen, die nichts zu tun haben. Vollkommen überflüssige des Daseins. Mit weit aufgerissenen Augen schauen sie und schauen. Diese hat das Schicksal bestimmt, die Vielzuvielbeschäftigten zum Verweilen zu bringen vor den Schönheiten der Welt!

      Der Kuss

      Ich saß auf einer Gartenbank im "Tiergarten". Auf meinem Schoße saß Bibi Akolé und zählte ihr Geld, welches in drei Portemonnaies wundervoll verteilt war, in jedem Fache 25 Kreuzer, Geschenke von Bewunderern.

      Eine wunderschöne junge Dame kam und ihr Gatte.

      Akolé sah die Dame an, stand auf, ging auf sie zu, breitete die Arme aus, wollte sie auf den Mund küssen, weil sie schön war.

      Die Dame wich zurück.

      Das Kind schmiegte sich an mich an, tief beschämt. "Madame – –", sagte ich, "ich bitte Sie, ich bitte Sie – – –."

      "Nicht auf den Mund – –", sagte die Dame verlegen.

      Ich nahm Akolé in meine Arme, küsste ihren geliebten Mund, dessen Atem wie der Hauch von Abend-Wiesen war.

      "Tue es doch – – –", sagte der Gatte, "il sera offensé".

      "Ich kann nicht – – –", sagte die wunderschöne junge Dame.

      Da sagte ich: "Diese Dame ekelt sich vor dir, Akolé. Wie eine dumme stupide Mutter benehme ich mich, welche die anderen Menschen nicht begreift. Verzeihen Sie mir, Madame. Ich war wie eine stupide Mutter, das Dümmste, das Beschränkteste, was es auf der Erde gibt. Die Liebe eines Vogelgehirnes ganz einfach."

      Die Dame gab dem Kinde eine Krone.

      Das Kind gab sie zurück, sogleich.

      Der Gatte dachte: "War das Ganze notwendig?! Solche überspanntheiten."

      Die Dame sagte Adieu, gab mir die Hand, blickte mich traurig an.

      Langsam ging das Ehepaar weg.

      Akolé verkroch sich in meinen Armen, die sich in unermesslicher Liebe um sie schlossen.

      "Was möchtest du am liebsten von der Welt, Tíoko?!"

      "Green bills cutted, Sir – – –." (Geschliffene grüne Glasperlen.)

      "Und?!"

      "And lila bills cutted, Sir – – –."

      "Und?!"

      "And nothing, Sir – – –."

      Ein Brief aus Afrika. Wann ist er aufgegeben?! Am 20. Juli. Wann ist er angekommen?! Am 26. August. Die Tränen der Absender sind bereits versiegt, während die der Empfänger fließen. Monambôs Bruder ist gestorben, 14 Jahre alt. "Er war so groß wie Tíoko – – –", sagt Monambô, "und ebenso schön".

      The big Akolé sitzt bei ihrem Verkaufstische, zählt Geld. Die Tränen rinnen über ihr edles Gesicht.

      "II me semble, qu'elle est encore plus noire aujour­d'hui", sagt die französische Sekretärstochter und küsst sie.

      "War er verwandt mit ihr?!", fragte ich den Häupt­ling auf englisch.

      "Wir weinen um alle", sagte der Häuptling, "so sind die Black-men. Wenn ich in Afrika sein werde, werde ich um dich weinen, Sir."

      Akóschia sitzt auf dem Tanzplatze, macht Musik mit eisernen Kastagnetten; die Tränen rinnen über ihr edles Antlitz.

      Tíoko sitzt vor ihrer Hütte, singt leise vor sich hin und weint. Wie Harfenbegleitung zu Tränen. Wie Psalmen.

      Monambô weint nicht.

      "Du bist nicht traurig, Monambô?!"

      "Sir, ich bin in der Fremde. Ich werde weinen, bis ich in Afrika bin – – –."

      "Diese allgemeine Trauer ist doch ein bisschen unverständlich", sagt die junge Sekretärstochter zaghaft zu mir. Und ich:

      "Glauben Sie es doch nicht, dass es dieser Knabe ist, um welchen sich diese edlen sanften Geschöpfe grämen. Sie weinen um Afrika, c'est le mal du pays, die zarteste Krankheit unserer Seele, welche zum Vorschein kommt. Wie wenn ein kleines Mädchen eine neue Bonne bekäme. 'Merkwürdig', sagen die besorgten Eltern, 'wirklich, niemand hätte es gedacht, unser Schatz ist ganz freundlich mit ihr; wie alte Bekannte. Alles geht gut, sie vertragen sich, das Fräulein ist aber auch so lieb mit ihr, sie hat keine leichte Position.' Plötzlich aber ein unscheinbares Wort der Bonne, eine Gebärde. Das Kind bricht in heiße Tränen aus. Ist es das Wort, diese Gebärde?! Keineswegs. Sie schluchzt um ihre alte Kinderfrau – – –."

      Neun Uhr abends. Die Tränen sind versiegt. Der Mond macht die Birken im Garten glitzern. Still sind die afrikanischen Hütten. Tíokos Hütte ist finster. Monambô ruft mich. Ich trete in die Hütte. Auf dem Boden liegen Monambô, Akolé, die Wunderbare, und Akóshia. Kein Polster, keine Decke. Die idealen Oberkörper sind nackt. Es duftet nach edlen reinen jungen Leibern. Ich berühre leise die wunderbare Akolé.

      "Go to Tíoko", sagt sie sanft, "du liebst nur diese!"

      Monambô, welche die Traurigkeit für Afrika auf­spart, sagt: "Sir, morgen bringst du uns einen piss-­pot; es ist zu kalt, um in der Nacht aus der Hütte zu treten. Er muss außen blau und innen weiß sein. Was er kostet, werden wir drei zusammen bezahlen. Freilich, Tíoko würdest du einen schenken! Was wird er kosten?!"

      "Monambô, niemals habe ich noch einen piss-pot be­sorgt. Ich kenne die Preise nicht. Zwischen 50 Kreuzer und 500 Gulden. Königinnen benützen goldene."

      "Sir, es war heute ein trauriger Tag. Gute Nacht. Du liebst Tíoko. Der piss-pot muss außen blau und innen weiß sein. Bringe ihn bestimmt, tomorrow. Man kann in diesen Nächten nicht aus der Hütte treten, verstehst du?!"

      Ich küsste den drei Mädchen auf ihren harten Lagern die Hände. Akolé war zu schön! Ich kniete mich nieder, küsste sie auf die Stirn, die Augen, den Mund – –.

      "Go to Tíoko – – –", sagte sie sanft.

      Monambô, Akóshia verkrochen sich in ihren Kat­tunen. "Go to Tíoko – – –!"

      Als ich aus der Hütte trat, waren die Birken grau im Frühlichte


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