Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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bringen, triumphierend verkündet ein Professor: »Cet auteur ne se lit plus en France«, »dieser Autor wird in Frankreich nicht mehr gelesen«. Ängstlich rücken die Kameraden von dem Verfemten ab, einer seiner ältesten Jugendfreunde, der »ami de la première heure«, jener »Freund von der ersten Stunde«, dem Rolland eines seiner Werke gewidmet hatte, versagt in diesem entscheidenden Zeitpunkt und läßt ein schon vorbereitetes, schon gedrucktes Buch über Rolland ängstlich einstampfen. Auch der Staat zielt immer schärfer auf den Unerschrockenen hin: vergeblich sendet er seine Agenten um »Material«, und in einer Reihe von »Defaitistenprozessen« visiert er deutlich Rolland, dessen Buch der Tiger der Anklageprozesse, Leutnant Mornet, öffentlich »abominable« nennt. Nur die Autorität seines Namens, die Unantastbarkeit seines offenen Lebens, die Einsamkeit seines Kampfes, die sich nie in unreine Gemeinschaft verstrickt, machen den Angebern und Hetzern den wohlbereiteten Plan zunichte, Rolland neben Abenteurern und kleinen Spionen auf der Anklagebank zu sehen.

      Mit einer gewissen Mühe – all dieser Irrsinn war ja nur in der überreizten Atmosphäre einer Katastrophenpolitik verständlich – vermag man heute aus jenen Broschüren, Büchern und Pamphleten zu rekonstruieren, was das patriotische Verbrechen Rollands in der Mentalität jener Menschen damals gewesen ist. Aus den eigenen Werken vermöchte auch das phantasievollste Gehirn sich einen »Cas Rolland«, eine »Affäre« nicht mehr zu erklären und am wenigsten den Fanatismus der ganzen französischen Geistigkeit gegen diesen Einzigen, der ruhig und verantwortungsvoll seine Gedanken entwickelte.

      Aber dies war schon das erste Vergehen im Sinn jener Patrioten, daß Rolland überhaupt öffentlich über die moralischen Probleme des Krieges nachdachte. »On ne discute pas la patrie«, »man spricht nicht über Dinge, die das Vaterland angehen.« Man schweigt, wenn man nicht mit der Masse reden kann oder will, war ja das erste Axiom der Kriegsethik. Pflicht ist, die Soldaten zur Leidenschaft, zum Haß anzufeuern, nicht zum Nachdenken. Eine Lüge, die Begeisterung erzeugt, taugt im Kriege besser als die beste Wahrheit. Nachdenkender Zweifel ist – ganz im Sinne der katholischen Kirche – ein Verbrechen am unfehlbaren Dogma des Vaterlandes. Die Tatsache allein also schon, daß Rolland über diese Dinge der Zeit nachdenken will, statt die Thesen der Politik zu bejahen, ist keine »attitude française«, keine patriotisch-französische Haltung und stempelt ihn zum »neutre«, zum Neutralen. Und »neutre« war damals Reimwort auf »traître«.

      Das zweite Vergehen war, daß Rolland gerecht sein wollte gegen alle Menschen der Menschheit, daß er nicht aufhörte, auch in den Feinden noch Menschen zu sehen, daß er auch bei ihnen zwischen Schuldigen und Unschuldigen unterschied, für die deutschen Leidenden das gleiche Mitleid hatte wie für die französischen und ihnen das Wort »Brüder« nicht versagte. Das patriotische Dogma aber verlangte, daß man auf Kriegsdauer das Humanitätsgefühl abkurble wie einen Motor, die Gerechtigkeit bis zum Sieg suspendiere wie die Worte des Evangeliums: »Du sollst nicht töten«, und pathetisch trägt eine Broschüre gegen Rolland das Motto: »Pendant une guerre tout ce qu’on donne de l’amour à l’humanité, on le vole à la patrie«, »Alles, was man an Liebe während eines Krieges der Menschheit gibt, stiehlt man dem Vaterlande«, – ein Motto, das man freilich auch umdrehen könnte im Hinblick auf die Menschheit.

      Das dritte Vergehen – das staatsgefährlichste – für jene Mentalität aber war, daß Rolland im militärischen Siege nicht das Wunderelixier der Moral, des Geistes, der Gerechtigkeit erblicken wollte, daß ihm ein nachgiebiger, ein unblutiger Friede, der eine völlige Versöhnung, eine brüderliche Bindung der europäischen Völker brächte, segensreicher schien als eine blutige Bezwingung, die nur wieder Drachensaaten von Haß und neuen Kriegen zeugte. Nun war in Frankreich – in wunderbarem Parallelismus zum deutschen Wort von den »Flaumachern« und dem »Schmachfrieden« – bei den Parteien, die den Krieg bis zur Vernichtung führen wollten, das Schimpfwort »défaitiste«, »Freund der Niederlage«, für jeden erfunden worden, der einer vernünftigen Verständigung das Wort redete. Und Rolland, der ein ganzes geistiges Leben damit verbracht hatte, der rohen Gewalt höhere sittliche Gewalt entgegenzusetzen, wurde als Vergifter der Kampfmoral, als der »initiateur du défaitisme«, »der Erfinder des Defaitismus«, gebrandmarkt. Als den letzten Vertreter des »sterbenden Renanismus«, als das Zentrum einer sittlichen Macht fühlte ihn der Militarismus und suchte darum seinen Ideen gewaltsam den Sinn zu unterstellen, als wünschte ein Franzose hier Frankreich die Niederlage. Doch sein Wort stand unbeirrt: »Ich will, daß Frankreich geliebt werde, ich will, daß es siegreich sei, aber nicht durch die Macht, nicht bloß durch das Recht (auch das wäre noch zu hart), sondern durch die Überlegenheit seines großdenkenden Herzens. Ich wünschte, daß es stark genug sei, um ohne Haß zu kämpfen und selbst in jenen, die es niederschlagen muß, noch seine Brüder zu sehen, die im Irrtum sind und denen man, sobald sie unschädlich gemacht sind, sein Mitleid bieten muß.«

      Auch auf die verleumderischsten dieser Angriffe hat Rolland nie geantwortet. Ruhig läßt er sich schmähen und verunglimpfen, er weiß, daß der Gedanke unantastbar und unverlierbar ist, als dessen Bote er sich fühlt. Menschen hat er nie bekämpft, nur Ideen. Und den feindlichen Ideen hatten längst die eigenen Gestalten geantwortet: sein Olivier, der freie Franzose, der nur den Haß haßte, sein Girondist Faber, der sein Gewissen höher stellte als die Argumente des Patrioten, sein Adam Lux, der seinen Gegner, den Fanatiker, mitleidig fragt: »N’est-tu pas fatigué de ta haine?« »Bist du nicht deinen Haß schon müde?«, sein Teulier – alle die großen Gestalten, in denen sein Gewissen den Kampf der Zeit um zwei Jahrzehnte vorausgekämpft hat. Daß er allein steht gegen fast die ganze Nation, macht ihn nicht irre, er kennt Chamforts Wort: »Es gibt Zeiten, da die öffentliche Meinung die schlechteste aller Meinungen ist.« Und gerade der maßlose Zorn, die hysterische, schreiende und geifernde Wut seiner Gegner bestärkt das Gefühl seiner Sicherheit, weil er in diesem Geschrei nach der Gewalt die innere Unsicherheit ihrer Argumente fühlt. Lächelnd sieht er herab auf ihren künstlich überhitzten Zorn und fragt mit seinem Clerambault: »Euer Weg ist, sagt ihr, der bessere, der einzig gute? Nun, so geht ihn und laßt mir den meinen. Ich zwinge euch nicht, mir Gefolgschaft zu leisten, ich zeige nur, wohin ich gehe. Was regt euch daran so auf? Solltet ihr am Ende fürchten, daß ich recht habe?«

      Die Freunde

       Inhaltsverzeichnis

      Eine Leere war nach den ersten Worten um den Mutigen entstanden. Es bestand – wie Verhaeren so schön sagte – »Gefahr, ihn zu heben«, und die meisten scheuten die Gefahr. Älteste Freunde, die von Jugend auf sein Werk und seinen Charakter kannten, ließen ihn im Stich, leise rückten die Vorsichtigen von ihm ab, die Zeitungen, die Verleger versagten ihm die Gastlichkeit – keiner, oder fast keiner gerade der ältesten Freunde wagte ihm offen zur Seite zu stehen. So schien Rolland einen Augenblick allein. Aber – wie er im Johann Christof sagt – »eine große Seele ist niemals allein. So verlassen sie von allen Freunden sein mag, schließlich schafft sie sich sie selbst und strahlt um sich einen Kreis jener Liebe, deren sie selber voll ist«.

      Die Not, die Goldprobe der Gewissen, hat ihm Freunde genommen, aber auch Freunde gegeben. Freilich, man hört ihre Stimmen kaum im Gelärm der Gegner. Denn die Kriegstreiber haben alle öffentliche Macht in ihren Händen, sie brüllen ihren Haß durch die Megaphone der Tageszeitungen, die Freunde können nur behutsam ein paar abgedämpfte Worte in kleinen Blättchen der Zensur abringen. Die Feinde sind eine kompakte Masse, wie ein Schwall stürzen sie nieder (um ebenso auch wieder in den Morast des Vergessens zu versickern), die Freunde kristallisieren sich langsam und verborgen um seine Idee, aber sie dauern und werden immer klarer an seinem Element. Die Feinde sind ein Rudel, ein Regiment, blind hinstürmend auf eine Parole, die Freunde eine Gemeinschaft, still wirkend und nur gebunden durch Liebe.

      Die Freunde in Paris haben das schwerste Los. Sie können nur unsichtbar, gleichsam durch magische Zeichen sich ihm verbinden: die Hälfte ihrer Worte und die Hälfte der seinen an sie verliert sich an der Grenze. Aus belagerter Festung grüßen sie den Befreier, der ihre Ideen, ihre verschlossenen und verbotenen, frei vor der Welt sagt, und sie können die Ideen nur verteidigen, indem sie ihn selbst verteidigen. Amedé Dunois, Fernand Deprès, Georges Pioch, Renaitour,


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