Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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zu –, der allen Völkerhaß verabscheute und seine Seele in jenen Höhen hielt, wo man das Glück und Unglück anderer Völker wie sein eigenes empfindet.« Und er fährt fort mit einem Pathos des Selbstbewußtseins, das zum erstenmal nun aus dem Werk dieses Bescheidensten klingt und, seine Mission erkennend, die Stimme über die Zeit erhebt: »Ich habe mein ganzes Leben daran gearbeitet, den Geist unserer beiden Nationen einander nahe zu bringen und alle Gräuel dieses verruchten Krieges, der sie gegeneinander wirft, werden mich nie dazu bringen, meinen Geist von Haß beflecken zu lassen.«

      Aber nun wird Rolland leidenschaftlicher. Er klagt nicht Deutschland des Krieges an – »der Krieg ist die Frucht der Schwachheit und Dummheit der Völker« –, er läßt die Politik beiseite, aber er protestiert gegen die Zerstörung der Kunstwerke. Vehement ruft er Hauptmann entgegen: »Seid Ihr die Enkel Goethes oder Attilas?«, um ihn dann wieder ruhiger zu beschwören, diesen Dingen keine geistige Rechtfertigung zu geben. »Im Namen unseres Europa, zu dessen erlauchtetsten Streitern Sie bis zu dieser Stunde gezählt haben, im Namen der Zivilisation, im Namen der Ehre des deutschen Volkes beschwöre ich Sie, Hauptmann, ich fordere Sie auf, Sie und die geistige Elite Deutschlands, unter der ich manchen Freund besitze, mit der äußersten Energie gegen ein Verbrechen zu protestieren, das sonst auf Euch zurückfiele.« Rolland will, daß, so wie er selbst, sich die Deutschen nicht mit den militärischen Tatsachen solidarisieren, nicht »den Krieg als ein Fatum hinnehmen«. Er hofft auf einen Protest der Deutschen – freilich ohne zu wissen, daß damals in Deutschland niemand eine Ahnung von den politischen Vorgängen hatte oder haben konnte, und daß ein solcher öffentlicher Protest öffentlich nicht möglich war.

      Noch leidenschaftlicher aber antwortet Gerhart Hauptmann. Statt, wie Rolland ihn beschworen, der deutschen militärischen Abschreckungspolitik die Zustimmung zu verweigern, versucht er begeistert, sie moralisch zu rechtfertigen, und übersteigert sich gefährlich in diesem Enthusiasmus. Für ihn gilt die Maxime »Krieg ist Krieg« und, etwas voreilig, verteidigt er das Recht des Siegers. »Der zur Ohnmacht Verurteilte greift zu Beschimpfungen.« Damit weist er die Zerstörung Löwens als Unterstellung zurück und begründet »den friedlichen Durchzug« deutscher Truppen durch Belgien als eine Lebensfrage Deutschlands, verweist auf die Erklärungen des Generalstabes und als höchste Autorität der Wahrheit auf »den Kaiser selbst«.

      Damit ist die Zwiesprache aus dem Geistigen ins Politische geglitten. Rolland weist nun seinerseits erbittert diese Auffassung Hauptmanns zurück, der die agressiven Theorien Schlieffens moralisch mit seiner Autorität stützt, und wirft ihm vor, sich »mit den Verbrechen der Machthaber zu solidarisieren«. Statt sie zu einigen, entzweit die Zwiesprache sie noch mehr. In Wirklichkeit sprechen sie beide aneinander vorbei, denn »le difficile est d’agir sans passion«, »es ist schwer ohne Leidenschaft zu handeln«. Die Stunde ist noch zu früh, in beiden noch die Leidenschaft zu groß, der Nerv des Zeitlichen zu überreizt, als daß sie sich zueinander finden könnten. Noch ist die Lüge stark in der Welt, zuviel Nebel zwischen den Grenzen. Noch steigt die Flut, die unendliche des Hasses und des Irrtums. Noch erkennen sich die Brüder im Dunkel nicht.

      Der Briefwechsel mit Verhaeren

       Inhaltsverzeichnis

      Beinahe zur gleichen Stunde wie zu Gerhart Hauptmann, dem Deutschen, spricht Rolland zu Emile Verhaeren, dem Belgier, der aus einem begeisterten Europäer der erbittertste Feind Deutschlands geworden ist. Daß er es nicht immer gewesen, darf vielleicht keiner berufener bezeugen als ich selbst: nie hatte Verhaeren im Frieden ein anderes Ideal gekannt als das der Brüderlichkeit und des einigen Europas, nichts mehr verabscheut als den Völkerhaß, und in der kurz vor dem Kriege geschriebenen Vorrede zur Anthologie deutscher Dichter von Henri Guilbeaux hat er von »der Glut der Völker« gesprochen, die trotz jener, »die sie in den Kampf gegeneinander treiben wollen, sich suchen und lieben«. Erst der Einbruch Deutschlands in seine Heimat lehrt ihn zum ersten Male das Gefühl des Hasses, und seine Dichtung, bisher Hymnus der schöpferischen Kräfte, dient nun mit aller bewußten Leidenschaft der Feindseligkeit.

      Rolland hatte an Verhaeren seinen Protest gegen die Zerstörung von Löwen und die Beschießung der Kathedrale von Reims gesandt. Verhaeren stimmt zu und schreibt »Traurigkeit und Haß erfüllen mich. Dieses letzte Gefühl war mir bislang fremd: nun lernte ich es kennen. Ich kann es nicht aus mir treiben und glaube doch ein anständiger Mensch zu sein, für den der Haß früher ein niedriges Gefühl war. Wie liebe ich in dieser Stunde mein Vaterland oder vielmehr den Aschenhaufen, zu dem es geworden ist«. Rolland antwortet ihm sogleich: »Nein, hassen Sie nicht! Weder für Sie noch für uns darf es den Haß geben. Wehren wir uns gegen den Haß noch mehr als gegen unsere Feinde! Später werden Sie sehen, daß diese Tragödie noch furchtbarer war als man es wußte, solange wir noch in ihr befangen waren. Auf allen Seiten ist eine düstere Größe und über den Massen der Menschen ein heiliges Delirium… Das europäische Drama hat einen solchen Gipfel erreicht, daß es ungerecht wäre, dafür die Menschen anzuklagen. Es ist ein Krampf der Natur… Bilden wir eine Arche wie jene, die die Sintflut sahen, und retten wir den Rest der Menschheit.«

      Verhaeren aber weicht mit Respekt dieser Aufforderung aus. Er bleibt bewußt bei seinem Haß, obzwar er ihn nicht liebt, und in der Widmung an sich selbst in seinem bedauerlichen Kriegsbuche, worin er sagt, da sein Gewissen durch den Haß, in dem er lebe, sich gewissermaßen gemindert empfinde, widme er dies Buch dem Manne, der er einst gewesen, sehnt er sich nach jenem alten Gefühl des Allumfangens der Welt. Vergebens wendet sich Rolland noch einmal an ihn in einem wundervollen Brief: »Wie sehr müssen Sie, mein Gütiger und Großer, gelitten haben, um dermaßen zu hassen. Aber ich weiß, lange werden Sie es nicht vermögen, mein Freund, nein, denn Seelen wie die Ihre würden in einer solchen Atmosphäre umkommen. Der Gerechtigkeit muß Genüge geleistet werden, aber die Gerechtigkeit fordert nicht, daß man alle Menschen eines Volkes für die Verbrechen einiger hundert Individuen verantwortlich macht. Und gebe es nur einen Gerechten in ganz Israel, so sage ich Ihnen, daß Sie nicht das Recht hätten, ganz Israel zu verurteilen. Denn auch Sie zweifeln nicht daran, daß viele Seelen in Deutschland und Österreich, die unterdrückt und geknebelt sind, leiden und ringen… Tausende Unschuldiger werden überall den Verbrechen der Politik geopfert! Napoleon hatte nicht so unrecht, als er sagte: ›Die Politik ist das moderne Fatum!‹ Niemals war das antike Schicksal grausamer. Verbinden wir uns nicht mit dem Schicksal, Verhaeren! Seien wir mit den Unterdrückten, mit allen Unterdrückten. Sie gibt es überall. Ich kenne nur zwei Völker auf Erden: jene die leiden, und jene, die das Leiden verursachen.«

      Aber Verhaeren bleibt starr in seinem Haß. Er antwortet: »Wenn ich hasse, so ist dies darum, weil, was ich sah, fühlte, hörte, fürchterlich ist… Ich gestehe, daß ich nicht gerecht sein kann, da ich vor Traurigkeit und Zorn brenne. Ich stehe nicht neben den Flammen, sondern inmitten der Glut und leide und weine. Ich kann nicht anders.« Er bleibt dem Hasse treu, freilich auch Romain Rolland Oliviers »Haß gegen den Haß«. Menschlich werden ihre Beziehungen weiterhin noch durch Achtung gebunden, trotz des inneren Widerstreits, und selbst als Verhaeren zu einem Hetzbuch die Vorrede schreibt, trennt Rolland die Person von der Sache. Verhaeren weigert sich, »an die Seite seines Irrtums zu treten«, aber verleugnet nicht seine Freundschaft für Rolland und betont sie um so mehr, als es damals in Frankreich schon »als Gefahr galt, ihn zu lieben«.

      Auch hier sprechen zwei große Leidenschaften aneinander vorbei. Auch hier war der Aufruf vergebens. Der Haß hat die ganze Welt, selbst ihre edelsten Schöpfer und Gestalter.

      Das europäische Gewissen

       Inhaltsverzeichnis

      Wieder wie so oft im Laufe bewegten Lebens hat der unerschütterliche Gläubige einen Brief zur Gemeinsamkeit in die Welt geworfen, wiederum vergebens. Die Dichter, die Gelehrten, die Philosophen, die Künstler, alle stehen sie zu ihren Vaterländern, die Deutschen sprechen für Deutschland, die Franzosen für Frankreich, die Engländer für England, alle für sich, keiner für alle. »Right or wrong – my country« ist ihr einziger Wahlspruch. Jedes Land,


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