Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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jener auf der geliebten Erde, und während sich Christofs Dämon austobt in Gewittern des Zorns und der Ekstase, hat Breugnon seinen gallischen Spott, seine helle gesunde Klarheit gegen das Schicksal. Über Tod und Unglück hilft ihm die Laune hinweg, die wissende große Heiterkeit, die ja auch eine – und nicht geringe – andere Form der seelischen Freiheit ist.

      Freiheit aber ist immer der letzte Sinn von Rollands Helden. Er will immer nur als Beispiel den Menschen zeigen, der sich wehrt gegen das Schicksal, gegen Gott, der sich nicht unterkriegen läßt, von keiner Gewalt des Lebens. Hier hat es ihn gelüstet, diesen Kampf sich nicht in der dämonischen dramatischen Sphäre abspielen zu lassen, sondern im Bürgerlichen, das Rolland in seinem Gerechtigkeitssinn ebenso hoch stellt wie die Welt der Genies oder der Straße. Gerade im kleinen Bild zeigt er die Größe. Mag es komisch wirken, wie der verlassene Alte sich wehrt, ins Haus seiner eigenen Tochter zu ziehen, oder wie er prahlerisch den Gleichgültigen spielt beim Brand seines Hauses, um nicht das Mitleid der Menschen annehmen zu müssen – auch in diesen tragikomischen Szenen ist ein Beispiel gegeben und kaum geringer als im Johann Christof, daß der innerlich unerschütterliche Mensch Herr seines Schicksals und damit Herr des ganzen Lebens bleibt.

      Colas Breugnon ist vor allem der freie Mensch, dann erst Franzose, dann Bürger; er liebt seinen König, aber nur solange, als er ihm seine Freiheit läßt; er liebt seine Frau, aber tut doch was er will; er sitzt bei einem Priester und geht doch nicht in die Kirche, er vergöttert seine Kinder, aber wehrt sich doch aus Leibeskräften, bei ihnen zu wohnen. Er ist gut Freund mit allen und keinem Untertan, freier als der König selbst, und das gibt ihm jenen Humor, den nur eben der freie Mensch findet, dem die ganze Erde gehört. Bei allen Völkern und zu allen Zeiten ist der nur lebendig, der stärker ist als sein Schicksal, der frei durch das Netz der Menschen und Dinge im großen Strom des Lebens schwimmt. »Was ist das Leben? eine Tragödie! Hurra!« sagt der ernste Rheinländer Christof, und sein Bruder Colas aus Burgund, dem Weinland, antwortet: »Das Schwere ist der Kampf, aber der Kampf ist das Vergnügen.« Über die Jahrhunderte und Sprachen blicken sich die beiden mit wissenden Augen an: man spürt, freie Menschen verstehen einander zu allen Zeiten und in allen Nationen.

      Gauloiserie

       Inhaltsverzeichnis

      Als Intermezzo hatte sich Rolland den Colas Breugnon gedacht, als behagliche Arbeit, um gewissermaßen einmal das Vergnügen auszukosten, unverantwortlich zu schaffen. Aber es gibt kein Unverantwortliches in der Kunst. Was man schwer anfaßt, wird oft schlecht, und das Leichteste das Schönste.

      Künstlerisch ist Colas Breugnon vielleicht Rollands gelungenstes Werk. Eben weil es aus einem Gusse ist und, hinfließend in einem einzigen Rhythmus, sich nirgends an Problemen staut. Der Johann Cristof war ein Buch der Verantwortung und des Gleichgewichtes. Jede Erscheinung der Zeit wollte darin besprochen werden, forderte von allen Seiten gesehen zu sein in Spiel und Widerspiel, jedes Land machte seinen Anspruch auf Gerechtigkeit. Das Enzyklopädische, das gewollt Vollständige des Weltbildes zwang notwendig manches gewaltsam hinein, was nicht musikalisch zu bewältigen war. Dieser Roman aber ist ganz auf einen Ton gestimmt, ganz aus einem einzigen Rhythmus gestaltet, wie eine Stimmgabel schwingt der erste Satz, und von ihm aus geht es durch das ganze Buch in der gleichen heiteren Melodie, für die der Dichter hier eine besonders glückliche Form gefunden hat, eine Prosa, die Dichtung ist, ohne zum Vers zu werden, die reimend ineinandergleitet ohne sich in Zeilen zu teilen. Von Paul Fort hat Rolland vielleicht den Grundton übernommen, aber was dort in den »französischen Balladen« rundreimhaft sich zu Kanzonen formt, ist hier durch ein ganzes Buch taktiert und sprachlich auf das glücklichste mit Altfranzösischem im Geiste Rabelais’ durchwürzt.

      Hier, wo Rolland Franzose sein will, geht er gleich auf den Kern des Franzosentums, auf den gallischen Geist, auf die »Gauloiserie« und gewinnt ihr musikalisch diese neue Nuance ab, die unvergleichbar ist mit allen bekannten Formen. Zum erstenmal ist hier ein ganzer Roman so wie Balzacs »Contes drôlatiques« archaisierend erzählt, aber das Schnörkelige, Krause der Diktion immer musikalisch durchwebt: Der »Tod der Alten« oder »Das abgebrannte Haus« sind wie Balladen, so geschlossen und bildhaft. Ihre innige und beseelte Rhythmik löst die Heiterkeit der anderen Bilder ab, ohne sie aber innerlich zu brechen: leicht wie Wolken gleiten die Stimmungen vorüber, und der Horizont der Zeit lächelt selbst unter den finstersten dieser Wolken fruchtbar hell herein. Nie war Rolland dem reinen Dichter in sich näher als in diesem Werke, wo er ganz Franzose ist, und was ihm Spiel und Laune schien, zeigt am sinnlichsten den lebendigen Quell seiner Kraft: seinen französischen Geist gelöst in ewiges Element, in die Musik.

      Das Gewissen Europas

       Inhaltsverzeichnis

      »Wer über sich Werte fühlt, die er hundertmal höher nimmt als das Wohl des ›Vaterlands‹, der Gesellschaft, der Bluts-und Rassenverwandtschaft – Werte, die jenseits der Vaterländer und Rassen stehen, also internationale Werte –, der würde zum Heuchler, wenn er den Patrioten spielen wollte. Es ist eine Niederung von Mensch zu Mensch, welche den nationalen Haß aushält (oder gar bewundert und verherrlicht).« Nietzsche, Vorreden-Material im Nachlaß

       »La vocation ne peut être connue et prouvée que par le sacrifice que fait le savant et l’artiste de son repos, de son bien-être pour suivre sa vocation.«

      Brief Leo Tolstois an Rolland, 4. Oktober 1887

      Die vergebliche Botschaft

       Inhaltsverzeichnis

      Johann Christof war der wissende Abschied von einer Generation. Colas Breugnon ist ein anderer Abschied, ein unbewußter: von dem alten, sorglosen, heiteren Frankreich. Den Späteren seines Blutes wollte dieser »bourguignon salé« zeigen, wie man das Leben mit dem Salz des Spottes durchwürzen und doch freudig genießen kann: allen Reichtum seiner geliebten Heimat hatte er darin ausgebreitet und seinen schönsten: die Freude am Leben.

      Sorglose Welt: sie wollte auch der Dichter für eine erwecken, die sich in Not und unseliger Feindschaft verzehrte. Ein Ruf zum Leben über Jahrhunderte hinweg, sollte aus Frankreich dem Deutschen Johann Christof antworten, auch hier zwei Stimmen sich lösend in die hohe Harmonie Beethovens, den Ruf an die Freude. Im Herbst 1913 waren die Blätter wie goldene Garben geschichtet. Bald war das Buch gedruckt, im nahen Sommer 1914 sollte es erscheinen.

      Aber der Sommer 1914 hatte blutige Saat. Die Kanonen, die Johann Christofs Warnungsruf überdonnerten, zerschmetterten auch den Ruf zur Freude, das Lachen Meister Breugnons.

      Der Hüter des Erbes

       Inhaltsverzeichnis

      Der zweite August 1914 reißt Europa in Stücke. Und mit der Welt bricht auch der Glaube, den die Brüder im Geiste, Johann Christof und Olivier, mit ihrem Leben erbaut, zusammen. Ein großes Erbe liegt verwaist. Voll Haß scharren in allen Ländern die Kärrner des Krieges mit zornigen Spatenschlägen den einst heiligen Gedanken der menschlichen Brüderschaft wie einen Leichnam zu den Millionen Toten.

      Romain Rolland ist in dieser Stunde vor eine Verantwortung ohnegleichen gestellt. Er hat die Probleme geistig gestaltet: nun kehrt das Ersonnene zurück als furchtbare Wirklichkeit. Der Glaube an Europa, den er Johann Christof zu hüten gegeben, ist unbeschützt: er hat keinen Sprecher mehr, und nie war es notwendiger, seine Fahne gegen den Sturm zu tragen. Und der Dichter weiß, jede Wahrheit ist nur eine halbe Wahrheit, solange sie im Wort gefangen bleibt. Der wahre Gedanke lebt erst in der Tat, ein Glaube erst als Bekenntnis.

      In Johann Christof hatte Romain Rolland alles im voraus gesagt zu dieser unvermeidlichen Stunde; aber


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