Fjorgaar - Der rote Vogel. Dorothea Bruszies

Fjorgaar - Der rote Vogel - Dorothea Bruszies


Скачать книгу
deiner Mutter«, gestand Liz.

      »Wunderbar.« Ben warf beide Hände in die Luft. Obwohl er mit diesen Worten gerechnet hatte, schienen sie unvermutet einen wunden Punkt in ihm zu treffen. »Du hast hinter meinem Rücken mit Margaret gesprochen. Über ein Thema, das nur mich etwas angeht. Ich habe dich den Brief lesen lassen und dir gesagt, dass ich nicht darüber sprechen will. Ich habe dir vertraut. Und was tust du? Du kannst nicht einfach … Das ist mein Leben und ich entscheide, was ich damit mache. Und wenn du dich derartig einmischt … Du weißt ganz genau, dass ich nicht hier sein will. Und du kommst noch nicht mal auf die Idee, mich zu fragen? Oder entscheidest vielmehr, mich absichtlich nicht … Verdammt nochmal, Liz!« Bens Arme hingen nutzlos an seinem Körper herab. Seine Hände wollten sich zu Fäusten ballen und doch wieder nicht, und er wünschte, er hätte etwas, an dem er sich hätte festhalten können. Reine Wut zu empfinden, wäre einfach gewesen, doch in ihm herrschte ein wildes Durcheinander.

      »Okay.« Arne schob sich in Bens Blickfeld. »Was auch immer hier los ist – fangen wir nicht an, uns gegenseitig anzuschreien.«

      Hatte Ben denn seine Stimme erhoben? Wenn, dann war es ihm nicht bewusst gewesen.

      »Also«, fuhr Arne fort. Er mochte sich abgeklärt geben, doch seine Hände verrieten zumindest eine gewisse Unruhe. Unablässig drehte er den goldenen Ring an seinem Finger. In seiner Stimme war von dieser vermutlich unbewussten Handlung nichts zu hören. »Wie wäre es, wenn ihr mir jetzt einmal erklären würdet, was Sache ist.«

      Unter dem intensiven Blick seines Freundes kam Ben sich auf einmal ziemlich dumm vor. Schon wieder war er auf dem besten Weg gewesen, seine Beherrschung zu verlieren. Noch weiter zu verlieren als ohnehin schon.

      Überraschenderweise gewann er durch Arne nicht nur seine Vernunft, sondern auch ein wenig Ruhe zurück – was bei genauerer Betrachtung gar nicht so verwunderlich sein mochte. Denn Arnes Einfluss auf Ben war schon immer ein beruhigender gewesen. »Du hättest mich wirklich vorher fragen sollen, Liz.« Diese Bemerkung konnte und wollte Ben sich dennoch nicht verkneifen. Und da seine Worte nun sehr viel gefasster klangen, gewannen sie an Bestimmtheit. Liz warf ihm ein schuldbewusstes Lächeln zu, das teils als Grimasse, teils als Entschuldigung erschien.

      »Vermutlich hat Liz dir vom Inhalt des Briefes erzählt, den mir mein Großvater geschrieben hat?«, wandte sich Ben mit einer gewissen Resignation an Arne. Er hätte mit Händen und Füßen dagegen ankämpfen können, das Thema auch nur im Entferntesten anzusprechen und somit weiterhin wie ein Echo aus der schlimmsten Phase seiner Kindheit gehandelt. Oder er konnte sich zusammenreißen.

      Arne schüttelte den Kopf. Und während Ben eigentlich erfreut sein sollte, dass Liz diese privaten Details wohl tatsächlich mit niemandem geteilt hatte, zog ihr Schweigen doch ein Problem nach sich. Denn Ben wollte den Inhalt des Schreibens nicht wiedergeben. Aber nachdem er den Brief nun bereits angesprochen hatte, blieb ihm kaum eine andere Wahl. Es sei denn natürlich, er würde seinen Freund trotz allem weiterhin im Dunkeln lassen.

      Seit seinem Geburtstag hatte Ben den Brief nicht wieder angerührt. Er lag noch immer dort, wo Liz ihn zurückgelassen hatte. Und auch wenn Ben das so harmlos anmutende Papier tagtäglich sah, hatte er sich bisher immer geweigert, seine Existenz bewusst zur Kenntnis zu nehmen.

      Arne blickte Ben noch immer an und auch Liz war in eine abwartende Haltung verfallen. Und Ben traf einen Entschluss, den er noch im selben Moment wieder bereute.

      Er wiederholte für Arne die Worte, die er in dem Brief gelesen hatte. Und obwohl er zu dem damaligen Zeitpunkt kaum in der Lage gewesen war, einen klaren Gedanken zu fassen, erinnerte er sich zu seiner eigenen Überraschung sehr gut an den Inhalt des Schreibens. Er sprach von der ungeheuerlichen Enthüllung, dass sein Großvater die Vergangenheit keinesfalls vergessen hatte. Er erwähnte das Amulett, welches seinem Vater gehört haben sollte und das er auch jetzt noch immer trug. Zuletzt legte Ben die Aufforderung des Großvaters offen, den Ort wieder aufzusuchen, an dem man sie vor Jahren aufgefunden hatte. Sogar die Erwähnung des »Alten Bundes« fand in seiner Schilderung ihren Platz. Das beunruhigende Detail hingegen, wie sehr diese Landschaft der aus seinem Traum glich, »vergaß« er zu erwähnen. Aber natürlich funktionierten die Instinkte von Liz wieder einmal besser als ihm lieb war.

      »Kann es sein, dass du diesen Ort in deinem Traum gesehen hast?«, fragte sie und schien seinen vorherigen Unmut vergessen zu haben. Was natürlich kaum möglich war.

      »Absolut nicht«, log Ben. Er musste sich nun wirklich nicht genötigt fühlen, alles zu offenbaren. »Diese Lichtung ist mir vollkommen fremd.«

      »Und woher weißt du dann, wo wir uns gerade befinden?«, hakte Liz mit freundlicher Stimme nach.

      In Ben stieg das unbändige, doch in dieser Vehemenz gleichermaßen nicht ernst gemeinte, Verlangen auf, Liz in den See zu schmeißen und einige Male durch den vermutlich äußerst schlammigen Untergrund zu ziehen. »Ich werde jetzt wieder gehen«, verkündete er entschlossen und bewegte sich ein paar Schritte in Richtung des Pfades.

      »Du wirst dich verlaufen«, stellte Liz fest. Sie hatte sich keinen Millimeter vom Fleck gerührt. Arne stand mit auf den ersten Blick ausdruckslosem Gesichtsausdruck neben ihr, während seine Augen zwischen den beiden Freunden hin und her wanderten.

      Tatsächlich war Ben sich nicht sicher, den Rückweg alleine finden zu können, aber er hatte nicht vor, noch einen Augenblick länger an diesem Ort zu verweilen. Und wenn sich Liz auf den Kopf stellte. Sie würde schon nachgeben, wenn sie sah, wie ernst es ihm war.

      Doch genau das tat sie natürlich nicht. Ben hatte sich bereits einige Schritte durch das Dickicht geschlagen, als er möglichst unauffällig hinter sich schielte. Weder Liz noch Arne hatten sich vom Fleck gerührt. Durch die Baumstämme und Sträucher hindurch sah er, dass sie intensiv zu flüstern begonnen hatten. Liz hielt Arne am Arm zurück, als sich dieser in Bewegung setzen wollte, redete weiter auf ihn ein. Und zu Bens Enttäuschung ließ er sich offensichtlich überzeugen.

      Was nun? Ben mochte zwar die Orientierung einer tauben Fledermaus haben, doch so groß konnte dieser Wald auch wieder nicht sein. Selbst wenn er den Pfad aus den Augen verlor, musste er irgendwann den Waldrand wiederfinden. Und von dort aus konnte es nicht weit bis zum nächsten Ort sein. Immerhin befanden sie sich hier in Deutschland. Ein zivilisiertes Land, das mit großem Eifer darauf bedacht war, selbst den letzten Rest Wildnis langsam vom Angesicht der Erde zu tilgen. Sich hier derartig zu verlaufen, dass er tagelang hilflos umherirren würde, erschien Ben äußerst unwahrscheinlich. Andererseits … Nun war er schon einmal hier, wenn auch keineswegs freiwillig. Aber wenn er diese Möglichkeit nutzte und hinter sich brachte, was nötig war, würde es vermutlich sehr viel einfacher sein, mit dem Brief abzuschließen. »Genau, Ben. Stell dich der Situation, anstatt wieder mal davonzulaufen«, meinte er Liz’ Stimme förmlich zu hören. Verärgert schüttelte Ben den Kopf – und gab sich einen Ruck.

      Mit weit ausgreifenden Schritten ging er zurück zu seinen Freunden und ignorierte das triumphierende Funkeln in Liz’ Augen. Vermutlich war sie sich dessen selbst nicht bewusst und nur mit ihrem hehren Motiv beschäftigt, einem Freund zu helfen.

      »Also gut, da bin ich wieder. Und nun? Bleiben wir jetzt hier, bis wir zu Staub zerfallen?«

      »Aber nicht doch. Jetzt gehen wir in die Hütte. Du und dein Großvater lagt direkt davor, als man euch fand.«

      Ben runzelte die Stirn. Er wollte sich der Hütte definitiv nicht weiter nähern. Doch dies konnte er nicht äußern, ohne auf seine Träume eingehen zu müssen. Also schob er, den Tadel seiner inneren Stimme übertönend, die Verstimmung über einen anderen Punkt vor. »Du weißt wirklich sehr genau über sehr viele Dinge Bescheid, die dich nichts angehen«, sagte er zu Liz.

      Diese zuckte nur mit den Schultern. »Ich musste wissen, wo man euch gefunden hat. Und du hattest davon ja offiziell keine Ahnung.«

      »Und natürlich liegt alle Schuld bei mir, nicht wahr?« Kurz flammte die Verärgerung wieder in Ben auf.

      »Aber nicht doch, Sonnenschein«, erwiderte Liz in einem für diesen Moment unerwartet neckischen Tonfall. »Du bist wie immer unser Unschuldslamm.« Und sie grinste Ben derart unverschämt an,


Скачать книгу