Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
da gab es Männer, die ihre Frauen verliessen und unter frommem Vorwand andern anhingen; Frauen, welche Jünglinge zu geistlichen Söhnen annahmen und am Ende mit denselben in sinnlichen Umgang gerieten u. dgl. m., namentlich aber gewisse Frömmler, welche als eine Art von Beichtvätern sich bei Frauen einnisteten und mit denselben lebten. Die eigentlichen Kleriker kommen, wie bereits angedeutet wurde, nicht besser weg. Hieronymus verdammt die Sitte ihres Zusammenlebens mit geistlichen Schwestern, den sogenannten Agapeten (sonst Syneisakten) unbedingt864, noch stärker aber ihr Auftreten in den vornehmen Häusern, zum Behuf der Erbschleicherei865, der Herrschaft und der Üppigkeit. Einige spielen die Asceten, mit langem Haar, Bocksbart, schwarzem Mantel und blossen Füssen; sie betrügen sündige Weiblein durch scheinbares Fasten, das sie durch nächtliches Essen wieder einbringen. Andere – den Abbés des letzten Jahrhunderts vergleichbar – lassen sich zu Presbytern und Diakonen weihen, nur um die Weiber mit grösserer Freiheit zu sehen; diese Art geht zierlich gekleidet, reich toupiert, duftend von Wohlgerüchen, alle Finger von Steinen blitzend; ihrer netten Fussbekleidung zuliebe schweben sie auf den Zehen; ihr Ansehen ist eher das eines Bräutigams als eines Priesters. So etwa mag sich Jovinian ausgenommen haben »in seidenem Kleid, in feinem Zeug von Arras und Laodicea, rotwangig, mit glänzender Haut, die Haare teils nach hinten, teils über der Stirn gekräuselt866«. Einige geben sich bloss damit ab, Namen, Wohnung und Gemütsart der Damen zu erkunden. Hieronymus kannte einen solchen Geistlichen, der sich durch Herumtragen des bösartigsten Geschwätzes von einem Haus ins andere wahrhaft furchtbar zu machen gewusst hatte. Er fuhr mit schönen raschen Pferden von früh bis spät durch die Stadt, so dass man ihn nur den Stadtpostillon (veredarius urbis) nannte; oft überraschte er die Leute noch im Schlafzimmer; was ihm von Zeug oder Gerätschaften gefiel, lobte er mit einem solchen Ton, dass, wer klug war, ihm damit ein Geschenk zu machen pflegte. Selbst das Bild eines geistlichen Wüstlings der interessanten Art fehlte nicht867; mit glühendem Unwillen erzählt Hieronymus, wie der Wolf in die Hürden brach, wir dürfen aber eine Episode, die uns bereits in die zweite Generation nach Constantin hinabgeführt hat, nicht durch eine geheime Liebesgeschichte noch weiter ausdehnen.
Offenbar war die Einrichtung von Klöstern mit Klausur, welche den Asceten ein für allemal von den Versuchungen des Stadtlebens abschied, damals ein wahres Bedürfnis. Denn die Ascese lag unabwendbar in der Zeit, weil die Zahl derer gar zu gross war, welche durch das Zusammentreffen der alten und neuen Religion und Sitte an sich selber irre geworden waren und in einem extremen Entschluss ihr Heil suchten, ohne sich doch gegen Rückfälle schützen zu können. Hieronymus setzt alle Kräfte daran, wenigstens in dem andächtigen Kreise, der ihm gehorcht, die völlige Entsagung zum Lebensprinzip zu erheben. Möglich, dass Vorbild und Ermahnung des einseitigen, aber gewaltigen Mannes den Gesichtskreis und die Gedanken seiner Paula, Marcella, Eustochium lebenslang beherrscht und sie gegen alles Erdenglück unempfindlich gemacht haben. Die Ehelosigkeit (S. 449) erscheint ihm als die unumgängliche Bedingung jedes höhern Lebens, um ihretwillen seien schon dem jungfräulichen Apostel, Iohannes, höhere Geheimnisse offenbar geworden als den übrigen, welche verheiratet gewesen868. Der Einbruch der Völkerwanderung und das drohende Zusammenbrechen aller Verhältnisse – orbis ruit!869 – schärften ohne Zweifel die Stimmung des Entsagens in ihm und andern ausserordentlich. Es gab schon in Rom und im ganzen Westen (S. 487) viele Männer und Weiber, welchen es mit der Ascese ein tiefer, bleibender Ernst war; bereits bevölkerten sich die Felsklippen des Mittelmeeres und die einsamem Uferstellen Italiens mit Anachoreten870 und bald mit Klöstern; einzelne Inseln wurden auch als Todesstätten von Märtyrern besucht, wie zum Beispiel eine der Ponza-Inseln871. Mitten in Rom selber war es möglich, in wahrer Abgeschiedenheit zu existieren, wie zum Beispiel die reiche Asella, die ihr Geschmeide verkaufte, mit Brot, Salz und Wasser in einer engen Zelle lebte, keinen Mann mehr anredete und nur ausging, um die Apostelgräber zu besuchen872; von ihrer Familie war sie gänzlich getrennt und freute sich, dass überhaupt niemand mehr sie kannte. Hieronymus traute sich die seltene Fähigkeit zu, diese wahren Stadtnonnen ganz genau von den unechten unterscheiden zu können.
Was gewiss nicht in der Wirklichkeit fehlte, wohl aber in den Schilderungen des eifrigen Kirchenvaters, ist das Bild einfacher, wohldenkender Christenfamilien ohne Ascese und ohne Ausschweifung. Er gibt am liebsten das Ausserordentliche und Extreme.
Zwischen diese christliche Gesellschaft und die gebildetern, edlern Heiden des vierten Jahrhunderts hinein setzen wir die Schilderung der grossen Masse in Rom, wie sie uns, freilich auch nicht ohne künstliche Beleuchtung, Ammianus Marcellinus überliefert hat873.
Er beginnt bei Anlass eines Aufruhrs wegen Mangels an Wein und lehrt uns das römische Volk als sehr trinksüchtig kennen, wie denn auch noch heute in Rom wenigstens etwas mehr gezecht wird als in Florenz und Neapel. Die seit Constantin eingeführten Weinverteilungen genügten nicht; wer es irgend aufzuwenden hatte, lag ganze Nächte in den Tavernen. Als dem Stadtpräfekten Symmachus nachgesagt wurde, er wolle lieber mit dem Wein Kalk löschen, als den Preis herabsetzen, zündete man ihm das Haus an. Wenn irgendwo von Rom die Rede war, hörte man auch gleich von »Krawall und Weinhäusern« sprechen. Wie jetzt die Morra, so war das Würfelspiel in und ausser der Wirtschaft der Zeitvertreib, der alle Lücken ausfüllte; dabei ertönte ein schnarrendes Geschrei, welches dem Hörer durch Mark und Bein ging. Wenn das Spiel mit den tesserae für vornehmer galt als das mit den aleae, so meint doch Ammian, der Unterschied sei nicht grösser als der zwischen einem Dieb und einem Strassenräuber; leider seien die Spielfreundschaften die einzigen, welche noch die Leute fest zusammenhielten. – Die gemeinen Römer waren übrigens noch immer ein trotziges Volk, voller Selbstgefühl; es gab, ungeachtet des Zustroms aus allen Ländern seit einem halben Jahrtausend, noch viele uralte Bürgersgeschlechter, die sich auf ihre Namen Cimessor, Statarius, Cicimbricus, Pordaca, Salsula usw. etwas zugutetaten, auch wenn sie barfuss liefen. Bisweilen erging, wenigstens im Theater, der wilde und bedenkliche Ruf: »Hinaus mit den Fremden!« – diese Fremden, sagt Ammian, die doch ihre einzige Stütze und Hilfe sind! – Der Hauptruf Roms aber war noch immer panem et circenses! – Was das Brot betraf, so gab es keine angstvollern Augenblicke, als wenn die Kornflotten aus Afrika durch Krieg oder widrige Winde aufgehalten wurden; ein Stadtpräfekt Tertullus (359) stellte bei einem solchen Anlass dem wütenden Pöbel seine Kinder als ein Pfand vor und besänftigte ihn damit so weit, dass man nach der immergrünen, rosenduftenden Tiberinsel mit dem Dioskurentempel bei Ostia ziehen konnte, wo sich sonst jährlich das römische Volk einen heitern Festtag zu machen pflegte; dort opferte Tertullus dem Castor und Pollux, und das Meer wurde ruhig und ein sanfter Südwind brachte die vollen Flotten herbei874. – Wer von dem müssigen Volk mit dem ausgeteilten Brot, Wein, Öl und Schweinefleisch nicht zufrieden war, stellte sich an die Luke einer Garküche und genoss wenigstens den Duft der Braten und anderer Speisen.
Ganz unersättlich war der Römer aber in all dem, was Schauspiel hiess. Im vierten Jahrhundert waren es bei weitem nicht mehr die von Staats wegen bewilligten Geldmittel875, welche hier für den Hauptbedarf sorgten, sondern die Munifizenz der neuernannten höhern Beamten, auch der Senatoren. Es lastete damit eine sehr schwere Abgabe auf diesen nicht immer reichen Leuten, indem jeder nicht bloss aus Ehrgeiz, sondern noch mehr wegen der Ungenügsamkeit des Volkes seine