Sex Revolts. Simon Reynolds
Jungs aus der Arbeiterklasse vorgedrungen, wo er in ihrem homosozialen Jungengehabe eine perfekte Heimat findet. Wie bei Mod und Northern Soul auch, ist die Asexualität der Ravekultur bemerkenswert: Die Tänzerinnen und Tänzer tanzen für den Kick des Tanzes an sich, nicht um mögliche Sexualpartner anzulocken. Diese »Androgynität« könnte in Wirklichkeit ein unbewusster Versuch sein, sich weiblicher Potenz zu bemächtigen und so gänzlich ohne Frauen auszukommen. In Holland gibt es einen ultraschnellen Gegenpart zum britischen ’ardkore namens Gabberhouse7, in dem die Tracks Geschwindigkeiten von bis zu suizidalen 200 bpm erreichen. Einer der größten Gabber-Hits stammte von einer Band namens Sperminator. Der simple Titel: »No Woman Allowed«.
1Charles Atlas gilt als Erfinder des Bodybuildings. Laut eigener Aussage fing er an, seinen Körper zu trainieren, nachdem er während eines Dates am Strand von einem Schläger Sand ins Gesicht getreten bekam und so vor dem Mädchen, mit dem er aus war, blamiert wurde. Diese Geschichte ist seitdem vielfach parodiert worden. Anm. d. Ü.
2Zitat aus Baudelaires »My Heart Laid Bare«. Die deutsche Entsprechung lautet in etwa: »Das große Leiden, der Horror des eigenen Zuhauses«. Anm. d. Ü.
3Dt.: »Haushaltsnebel«. Anm. d. Ü.
4Eine Anspielung auf das englische Sprichwort »A rolling stone gathers no moss«, dt.: »Ein rollender Stein setzt kein Moos an«. Anm. d. Ü.
5Die deutsche Entsprechung von »black and blue« – im englischen Original doppeldeutig bezogen auf Black Music und Blue Notes – wäre »grün und blau«, wie in »jemanden grün und blau schlagen«. Anm. d. Ü.
6Sie nennt John Sinclair, den wegen Besitzes von Marihuana zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Aktivisten aus Michigan, der als Manager von MC5 und Mitbegründer der White Panther Party bekannt wurde, als klassisches Beispiel.
7»Gabber« heißt so viel wie »Kumpel«.
BROTHERS IN ARMS: COMBAT ROCK UND ANDERE GESCHICHTEN FÜR JUNGS
Die Grenze, die Straße, die Wildnis: Das Reich des Rebellen ist eine Welt ohne Frauen. Eine weitere solche frauenfreie Zone ist das Schlachtfeld. In Männerphantasien psychoanalysiert Klaus Theweleit die Kriegermentalität und entlarvt den »Soldatenmann« als jemanden, der die Brüderlichkeit der Schlacht nutzt, um Robert Blys »Kraftfeld« der Frauen zu entkommen. Theweleits Fokus liegt auf den Freikorps, rechten Milizen, die aus Veteranen des Ersten Weltkriegs bestanden und Aufstände der deutschen Arbeiterklasse im Nachkriegschaos niederschlugen. Diese Soldaten glaubten an eine tiefe Verbindung zwischen der Schmach des Deutschen Reiches durch die Siegermächte des Ersten Weltkriegs und ihre eigenen Gefühle der Entmannung durch die Abrüstung nach Kriegsende. Diese bedeutete für sie eine entwürdigende Rückkehr ins bürgerliche Leben, in die Häuslichkeit – die Welt der Frauen. Sie sehnten sich nach einer neuen kraftvollen Vaterfigur und fanden diese später in Hitler. In der Zwischenzeit erlaubten es ihnen die bürgerkriegsartigen Zustände – im Kampf gegen den »inneren Feind«, das deutsche Proletariat –, ihren Traum von einem heldenhaften Leben aufrechtzuerhalten.
Von protofaschistischen Freikorps zu den linken, aufrührerischen Punkhymnen von The Clash scheint es ein großer Sprung. Und doch strotzen Clash-Songs nur so vor Sehnsucht nach Ruhm und verwenden als Munition ihre militaristische Bildsprache. All ihre Vorbilder sind jung, maskulin und in irgendeinem Sinne im Krieg – manchmal wortwörtlich, wie die Guerillaorganisation der Sandinisten oder die Baader-Meinhof-Gruppe, und manchmal symbolisch, als Abtrünnige, die eine gescheiterte, verhängnisvoll gefährdete Gesellschaft ablehnen. Ihr Œuvre gleicht einem Fest der Rebellen-Ikonografie, von den klassischen amerikanischen Außenseitern (James Dean, Montgomery Clift, Marlon Brando, Robert De Niro als Travis Bickle, die Selbstjustiz übende Hauptfigur aus Taxi Driver, die Revolverhelden aus Die glorreichen Sieben) bis zu den jamaikanischen Rude Boys aus The Harder They Come und den Rastafari-»Exiles on Main Street« des Roots Reggae.1
Neben ihrer Heldenbesessenheit war auch The Clashs Weltanschauung homosozial bis ins Extrem. Nun ist es zwar nicht so, dass ihre Songs frauenfeindlich wären. Vielmehr haben sie nichts zu, über oder für Frauen zu sagen. Die Anzahl der Songs in ihrem riesigen Katalog, die sich an eine Frau richten oder eine solche auch nur erwähnen, lässt sich an einer Hand abzählen. Dafür gibt es eine schier endlose Menge an Hymnen, die die »Jungs« zum Handeln aufrufen. Die wahre Leidenschaft von Clash gilt eben nur der Glückseligkeit männlicher Kameradschaft, der Stärke einer Gruppe, die sich irgendwo zwischen Jugendgang und militärischer Formation einordnen lässt. Ein sogenannter »Traumbrief« des Beatpoeten John Clellon Holmes an Allen Ginsberg von 1954 illustrierte The Clashs Spirit bereits Dekaden, bevor sie überhaupt existierten: »Die reinste soziale Institution, die sich dem Künstler als Heimat bietet, ist die Jungs-Gang.« Ginsberg fügte hinzu: »nicht die parfümierte gesellschaftliche Heirat.« Vielleicht brachte die Erkenntnis dieser gemeinsamen homosozialen Empfindsamkeit Ginsberg dazu, für den Track »Ghetto Defendant« auf The Clashs Combat Rock (1982) einige Zeilen zu schreiben und darauf vorzutragen.
Schon früh wurden The Clash mit den Sex Pistols in Bezug gesetzt, jede der beiden Bands repräsentierte eine Seite der Seele von Punk. The Clash waren sein Über-Ich: sozial engagiert (wenn auch selten mit expliziter politischer Zugehörigkeit), idealistisch und generell lebensbejahender. Die Sex Pistols hingegen waren das Es von Punk: ungebändigte Negativität, die zwischen Zorn und Selbstverletzung schwankte und letzten Endes zu Solipsismus und Selbstzerstörung tendierte. Bei The Clash ging es um das Zusammenkommen, darum, einen Sinn für Gemeinschaft zu entwickeln, die von politischer Unzufriedenheit zusammengehalten wird. Die Sex Pistols wollten die Gemeinschaft sprengen, ihre Kunst glich einem perversen Theaterstück. Darum konnten die Pistols die Existenz von Sexualität zumindest anerkennen, wenn auch nur in den Begrifflichkeiten von Horror und Ekel (wie in »Bodies« und »Submission«). Die Musik von The Clash gehört dagegen mit zum Keuschesten, was je im Rock ’n’ Roll erschaffen wurde: mit heiserer Stimme gebrüllte Hymnen des Aufstands, getragen von martialischen, unsynkopierten Rhythmen.
»Wir haben darüber viel in der Gruppe diskutiert«, erinnerte sich Joe Strummer. »Bernie2 pflegte zu sagen: ›Ein Thema, ein Thema. Schreibt nicht über Liebe, schreibt darüber, was euch bewegt, was wichtig ist.‹« Einer der wenigen Songs über eine Beziehung zu einer Frau stammte aus der Feder von Mick Jones und hieß »I’m So Bored with You«. Joe Strummer hatte sich jedoch verhört und stattdessen »I’m So Bored with the U.S.A.« verstanden, also schrieb er einen antiamerikanischen Text für den Song. Man kann kein dramatischeres Beispiel dafür verlangen, wie Punk die Kunst der Ablehnung von den Herabsetzungssongs der Mods abgeschaut und Frauenfeindlichkeit in Militanz verwandelt hat. Der einzige Track auf ihrem Debütalbum The Clash (1977), der Sexualität auch nur zur Kenntnis nimmt, ist »Protex Blue«, in dem es um die Seelenlosigkeit flüchtiger sexueller Kontakte geht.
Ihre wahres Thema fanden The Clash in Frustration, Langeweile und der Gier nach Taten. In »London’s Burning« lodert die Metropole vor lauter Langeweile. »Career Opportunities« richtet sich gegen seelenlose Jobs und »48 Hours« gegen den Wochenend-Lifestyle mit seiner faden Jagd nach Kicks, während sich der Montag stets drohend im Hintergrund abzeichnet wie ein »jail on wheels« – ein Gefängnis auf Rädern.