VERLIEBT IN DAS LEBEN. Osho
wertvolles Mittel an die Hand, die Wahrheit zu finden: den sokratischen Dialog. Aber wie vergalten die Menschen es ihm? Sie vergifteten ihn. Der alte Heilige hat nicht ganz unrecht, wenn er sagt:
„Gib ihnen nichts. Nimm ihnen lieber etwas ab und trage es mit ihnen – das wird ihnen am wohlsten tun: wenn es dir nur wohltut!“‘
Gehört es zur Psychologie des Menschen, ein Gebender sein zu wollen? Niemand möchte nur Empfänger sein. Aber es gibt Dinge, die ihr empfangen müsst, die ihr unmöglich geben könnt, weil ihr sie gar nicht habt. Was könnt ihr schon einem Gautam Buddha oder Jesus Christus oder Zarathustra geben? Man ist ein Bettler, aber dennoch verlangt es die Selbstachtung, dass man ihnen etwas geben muss, um sich wohlzufühlen. Sie mögen euch ungeheure Schätze geben, aber ihr werdet ihnen niemals verzeihen, dass sie die Gebenden sind, und ihr die Nehmenden seid. Man fühlt sich als Bettler. Wie soll man dem vergeben, der dich zum Bettler gemacht hat?
Ich habe einen Freund, der arm geboren und von einer der reichsten Familien Indiens adoptiert wurde. Er ist ein sehr großzügiger Mann. Er hat all seine armen Verwandten reich gemacht, gut versorgt. Er gibt ununterbrochen – Freunden, Verwandten, sogar Fremden. Aber er hat mir auf einer gemeinsamen Zugfahrt gebeichtet: „Ich wollte dich immer schon mal was fragen, aber ich scheute davor, mich bloßzustellen. Ich habe alle meine Verwandten beschenkt. Sie waren arm, und jetzt sind sie reiche Leute. Ich habe meine Freunde gefördert, ich habe sogar Fremde gefördert, wenn sie mich baten. Ich habe niemandem etwas abgeschlagen. Ich habe so viel, dass ich unentwegt geben kann. Aber sie sind allesamt böse mit mir; sie machen mich schlecht.“
Ich sagte: „Es ist ganz einfach. Hast du ihnen je gestattet, dir etwas zu schenken?“
Er sagte: „Ich brauche nichts.“
Ich sagte: „Da hast du’s. Schon Kleinigkeiten genügen, zum Beispiel kannst du einen Freund, dem du Geld oder eine Fabrik geschenkt hast, den du zum reichen Mann gemacht hast, anrufen und ihm sagen: ‚Grad bin ich an deinem Haus vorbeigekommen und hab gesehen, was für schöne Rosen du im Garten hast. Könntest du mir ein paar von diesen Rosen vorbeibringen?‘ Und der Freund wird seine Einstellung zu dir ändern. Oder du kannst, wenn du krank bist, jemanden anrufen und sagen: ‚Ich liege mit schlimmen Kopfschmerzen und Fieber im Bett, und verspüre den großen Wunsch, dich in meiner Nähe zu haben.‘ Das wird genügen. Du hast zwar selber genug Autos, aber du hättest jeden deiner Verwandten bitten können: ‚Leih mir für einen Tag mal deinen Wagen.‘ Du brauchst gar nicht damit zu fahren. Lass ihn einfach in der Garage stehen und gib ihn abends zurück. Aber dein Verwandter oder dein Freund wird merken, dass er dir auch etwas geben kann, dass er auch gebraucht wird.“
Er sagte: „Ich will es versuchen, obwohl ich es sehr ungern tue. Ich habe sie zu dem gemacht, was sie sind. Warum also sollte ich sie um irgendwas bitten? Ich habe Rosen in meinen Garten. Ich habe meine eigenen Autos, und ihre Autos habe ich ihnen selber geschenkt. Ich habe ihnen ihre Häuser geschenkt.“
Ich sagte: „Entscheide selbst. Es ist dein Stolz, der sie alle verletzt – dass du der Gebende bist, und sie immer nur die Empfänger. Wenn du willst, dass sie ihre Einstellung zu dir ändern, musst du auf irgendeine Art zum Empfänger werden. Gönne ihnen für eine kleine Weile den Stolz des Gebens.“
Er probierte es aus, und als er mich das nächste Mal traf, sagte er: „Es wirkt, es wirkt Wunder! Wer hätte das je gedacht! Diese Leute sind plötzlich voll des Lobes. Sie preisen meine Großzügigkeit. Jetzt, wo ich etwas von ihnen annehme, bin ich plötzlich ein großzügiger Mann! Sonst haben sie mich immer nur schlecht gemacht und gesagt: Er ist nur ein Egoist. Er hat uns nicht beschenkt, weil wir etwas brauchten, sondern er hat uns nur beschenkt, um uns zu demütigen.“
Der alte Heilige hat recht:
„Gib ihnen nichts … Nimm ihnen lieber etwas ab und trage es mit ihnen – das wird ihnen am wohlsten tun: wenn es dir nur wohltut! Und willst du ihnen geben, so gib ihnen nicht mehr als ein Almosen, und lass sie darum noch betteln!“
Sein Rat ist sehr wichtig und beruht auf einer tiefen psychologischen Erkenntnis. Gib ihnen nur Almosen; gib ihnen nicht zu viel. Gib ihnen genug, um mehr zu wollen. Dann werden dich nur noch mit wedelndem Schwanz bedrängen. Gib ihnen nur, wenn sie betteln, und sie werden zufrieden mit dir sein; denn dann warst nicht du es, der sie zu Bettlern degradiert – sie haben selber gebettelt. Es ist nicht deine Schuld, sie können es dir nicht übelnehmen. Aber ein Mann wie Zarathustra bringt so etwas nicht fertig.
„Nein“, antwortete Zarathustra, „ich gebe keine Almosen. Dazu bin ich nicht arm genug.“
Ein großes Wort: „Dazu bin ich nicht arm genug.“ Einen andern zum Bettler zu machen und ihm nur so wenig zu geben, dass es in ihm den Wunsch nach mehr weckt, ist ein Armutszeugnis.
„Dazu bin ich nicht arm genug.“
Ich habe Überfluss – Liebe im Überfluss, Frieden im Überfluss, Wahrheit im Überfluss, Weisheit im Überfluss, Freiheit im Überfluss – und diese Dinge kann man nicht häppchenweise geben, sondern nur als Ganzes. Man kann die Wahrheit nicht zerstückeln. Man kann die Liebe nicht zerstückeln, vielmehr muss wer Liebe schenkt sie von ganzem Herzen, rückhaltlos schenken. Auch wenn sie dich dafür kreuzigen; auch wenn sie sich über dich das Maul zerreißen und ärgern.
Der Heilige lachte über Zarathustra und sprach also: „So sieh zu, dass sie deine Schätze annehmen.
Denn sie haben sie noch jedes Mal zurückgewiesen. Tief drinnen wollen sie die Schätze, aber wenn jemand kommt, sie ihnen zu geben, weisen sie sie zurück. Das Zurückweisen macht euch eine gewisse Freude: Warum habt ihr Buddha oder Mahavira oder Jesus zurückgewiesen? Indem ihr sie zurückweist, habt ihr ihnen gezeigt: „Du magst zwar den Schatz haben, aber wir brauchen ihn nicht anzunehmen – wir sind nicht so arm. Es mag dich reich machen, ihn zu besitzen. Es macht uns reich – reicher als dich –, seine Annahme zu verweigern.“
Der Rat des alten Mannes beruht auf großer Weisheit:
„So sieh zu, dass sie deine Schätze annehmen! Sie sind misstrauisch gegen die Einsiedler und glauben nicht, dass wir kommen, um zu schenken. Unsere Schritte klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie, wenn sie nachts in ihren Betten einen Mann gehen hören, lange bevor die Sonne aufgeht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb?
Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den Tieren!“
Ich habe diesen Rat des alten Heiligen immer geliebt; denn die Tiere sind unschuldig. Sie werden dich nicht abweisen, und sie werden sich nicht über dich ärgern, und sie werden dich nicht kreuzigen. Ich möchte seinem „Geh zu den Tieren“ noch etwas hinzufügen: Geh zu den Bäumen – sie sind sensibler als der Mensch, der praktisch abgestumpft ist. Und je höher der Wert, desto abgestumpfter ist er dafür. Er versteht nur die Sprache von Geld, Macht, Ansehen. Die Sprache der Liebe, die Sprache der Freude, die Sprache des Tanzes hat er vergessen.
„Warum willst du nicht sein wie ich – ein Bär unter Bären, ein Vogel unter Vögeln?“
„Und was macht der Heilige im Walde?“, fragte Zarathustra.
Der Heilige antwortete: „Ich mache Lieder und singe sie, und wenn ich Lieder mache, lache, weine und brumme ich: also lobe ich Gott. Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich den Gott, der mein Gott ist. Doch was bringst du uns zum Geschenke?“
Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüßte er den Heiligen und sprach: „Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, dass ich euch nichts nehme!“ –
Und so trennten sie sich voneinander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei Knaben lachen.
Zarathustra sagt: „Was habe ich dir zu geben? Du singst, du erfindest Lieder, du bist frohen Herzens. Du bist in deinem Alleinsein absolut glücklich. Was kann ich dir geben? Lass mich gehen, ich habe Angst, ich könnte dir sonst etwas nehmen. Und ich bin schon allzu beladen mit Liedern, mit Seligkeit. Wir sind beide beladen. Du hast dich entschieden, als Bär unter Bären zu leben, als Vogel unter Vögeln zu leben, als Baum unter Bäumen zu leben. Ich habe mich entschieden, zu den Menschen zurückzukehren und wie ein Mensch zu leben.