Sarah Penrose. Priska M. Thomas Braun
«Sicher, ich werde mich auch auf meine eigenen Ziele konzentrieren müssen», sagte Sarah, und etwas zu enthusiastisch: «Ich werde in meiner Freizeit dazuverdienen, damit ich mir zwischendurch ein paar neue Kleider oder Schuhe kaufen kann.»
Ausnahmsweise stritten sie sich nicht, sondern diskutierten die Situation. Zum Schluss hob Hannes sie hoch, trug sie über die Türschwelle in sein Schlafzimmer und legte sie aufs Bett.
«Jetzt schauen wir einmal», sagte er. «Lass uns erst darüber schlafen.»
Sarah wohnte während der nächsten Wochen bei Hannes. Ein Zimmer bei einer Seniorin in Basel, wie dies Sarahs Vorstellungen entsprach, fand sich nicht so leicht. Zudem suchte sie verzweifelt eine Arbeit, schrieb Galerien an und klapperte Museen ab, bloss um abgewiesen zu werden.
«In Basel muss es Tausende von Kunstvermittlern, Kulturmanagerinnen, PR- und Kommunikationsfachleuten und Akademikerinnen geben, die ein Studium in Kunstgeschichte absolviert haben», sagte sie zu Hannes.
«Die haben keine Verwendung für eine wie mich, die nicht einmal weiss, wie man Wassily Kandinsky schreibt.»
«Wie kommst du denn darauf?», fragte er.
«Och, einer der Galeristen hatte einen Fragebogen zu den Wegbereitern der abstrakten Kunst aufliegen. Da habe ich den Namen falsch geschrieben.»
«Oh Sarah!», lachte Hannes. «Das ist nicht das Ende der Welt. Lass uns in eine Gartenwirtschaft gehen und dort etwas Kleines essen. Ich lade dich ein.»
Während er sein Steak und sie ihre Salate genoss, schlug Hannes Sarah vor, sich bei einem Restaurant in Basel, dem Primo Piatto, vorzustellen, da er gesehen hatte, dass sie dort Personal suchen.
«Headhunter. Du könntest dich selbständig machen, als Headhunter», spöttelte sie, als er ihr ungefragt die Adresse aufschrieb. Kaum war ihr die Bemerkung herausgerutscht, meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Sie wusste, dass ihr Spott von ihrer scheinbaren Unfähigkeit herrührte, eine Arbeit zu finden.
Er zuckte mit den Schultern. «Wenn du nicht hingehen möchtest, ist das deine Sache. Ich dachte bloss. Auf dem Zettel, der dort an der Türe klebt, steht, dass sie eine Aushilfe suchen, beschränkt auf August.»
«Natürlich schaue ich vorbei. Danke, Hannes», lächelte sie und bekannte: «Es ist bloss, dass, wenn es mir gelingt, den Job zu bekommen, dies der dritte wäre, den du mir organisierst. Erst im Tannwald, dann im Café Frey und nun in einem italienischen Restaurant.»
«Ja und?»
«Mein Kellner ist in Italien. Er verbringt einen ganzen Monat dort. Al mare, con la mamma», erklärte Massimo Messina und verwarf die Hände. Der Restaurantbesitzer glich dem stereotypen Italiener aus Sarahs Italienischlehrbuch: Gegeltes Haar, dunkler Schnauzbart über weissem Gebiss, und Augen wie Kohlen. Sie antwortete auf Italienisch, dass sie ab sofort einspringen könne, sehr gerne sogar; sie habe Erfahrung gesammelt, sowohl in einem Nobelhotel wie auch in einem Café im Schwarzwald. Ihr Studium beginne erst Ende September, und auch dann könne sie weiter aushelfen.
«D’accordo. Für eine Woche auf Probe», willigte Massimo ein und führte sie durch den Betrieb, von der blitzblanken Küche über die Vorratsräume bis zu den Toiletten. Als er den Lohn nannte, schluckte sie. So viel hatte sie nicht erwartet. Massimo hatte das Schlucken verkehrt interpretiert. Jedenfalls sagte er rasch: «Ich bezahle Sie auf die Hand, ohne Abzüge. Sie müssen nix versteuern. Zudem dürfen Sie das ganze Trinkgeld behalten. Die Gäste sind grosszügig. Gente molto generosa.»
«Umso besser», dachte Sarah und hatte keine Skrupel, schwarz zu arbeiten. Offiziell hätte sie als ausländische Studentin frühestens sechs Monate nach Ausbildungsbeginn einen Nebenjob annehmen dürfen. Doch solange sie noch keine Vorlesungen besuchte, schien es ihr sinnvoll, jetzt so viel wie möglich zu verdienen. Zudem war ihr Massimo sympathisch, und er bot hauptsächlich Business-Lunches an. Das Primo Piatto war nur werktags über Mittag offen. Massimo und sie waren sich rasch einig und besiegelten die Abmachung mit einem Handschlag.
Eine Woche später stiess Sarah auf eine Annonce für ein möbliertes Zimmer in Grossbasel – mietfrei für Hilfe. Das Viertel war sicher, mit Gärten und einem schönen Park. So nah an der Stadt gelegen, dass sie die Uni zu Fuss oder mit dem Fahrrad würde erreichen können. Es gab Quartiere, durch die sie nachts nicht hätte radeln wollen. Sarah hatte sich genau erkundigt und wusste, dass diese Vakanz ein Glücksfall war. Sie rief umgehend dort an, und die betagte Dame lud sie zu einem Beschnupper-Stündchen ein.
«Perfekt, wie sich plötzlich alles zum Guten wendet», sagte Hannes an jenem Abend, als Sarah ihm erzählte, dass sie sich morgen das Zimmer anschauen wolle. «Da war eine Zeitlang ganz schön Sand im Getriebe. Aber nun, wo du schon einmal eine Arbeit hast, scheint auch der Rest zu klappen.»
Wohlwollend fügte er hinzu: «Falls nicht, bin ich für dich da.»
Jetzt tauschte Sarah trotz der 30 Grad, die das Thermometer in Hannes Wohnung schon Mitte Vormittag anzeigte, ihr enganliegendes Top mit den Spaghetti-Trägern gegen eine locker sitzende Kurzarmbluse und schlüpfte in eine weisse Leinenhose. Bevor sie Hannes’ Wohnung verliess, stopfte sie ihren Geldbeutel, das Telefon und weiteren Kleinkram in ihre lederne Handtasche. Sie war, seit sie das Angebot zwei Tage zuvor auf der Website von ‘Mietfrei für Hilfe’ entdeckt und mit der Hausherrin den Besichtigungstermin vereinbart hatte, bereits einmal so unauffällig wie möglich an der Liegenschaft vorbeispaziert. Dabei hatte sie sich die Räume und wie wohl der Garten dahinter aussehen mochte, vorgestellt. Sarah war gespannt auf die Frau, die am Telefon erst Basler Dialekt gesprochen und, als Sarah mehrmals nachfragte, auf Hochdeutsch gewechselt und dabei freundlich geklungen hatte. Sie wurde nervös, als sie nach dem Klingeln warten musste. Sie meinte, einen Schatten hinter dem Erkerfenster im Erdgeschoss zu erkennen und fragte sich, ob sie noch einmal, dieses Mal etwas länger, läuten sollte. Doch dann öffnete eine betagte, gross gewachsene Frau die Tür.
«Sarah Penrose?», fragte sie, reichte Sarah die Hand und ging ihr voran, durch einen schmalen Gang in ein lichtdurchflutetes Wohnzimmer.
Sarah bemerkte als erstes einen grossen Flachbildschirm und ein Klavier. Dann nahm sie die gepflegten Möbel, die dicken Orientteppiche, den Erker zur Strasse hin und eine gläserne Flügeltüre mit weissen Sprossen, die zum Garten offen stand, wahr.
«Bitte nehmen Sie Platz», sagte Anni Haberthür und deutete auf das Sofa. Sie selber setzte sich Sarah gegenüber auf einen Fauteuil und musterte sie. Erst nachdem Sarah ihre persönliche Situation und die Gründe für die Zimmersuche umrissen hatte, zeigte ihr Anni Haberthür das Haus.
Neben dem Wohn- befanden sich auch das Esszimmer, die Küche und eine Gästetoilette im Erdgeschoss. Schlafzimmer und Bad der Vermieterin lagen auf der ersten Etage. Sarahs Zimmer war auf dem zweiten Stockwerk. Es blickte ins Grüne, war geschmackvoll möbliert, mit knarrenden Holzdielen, weiss verputzten Wänden und Zentralheizung. Zudem hätte Sarah ein Bad zur alleinigen Benutzung. Sie hoffte, dass sie das Zimmer bekommen würde.
Zum Schluss des Rundgangs stieg Frau Haberthür vorsichtig die steile Treppe in den Keller, wo eine Waschmaschine stand und daneben Drähte zum Hängen der Wäsche gespannt waren.
«Was wären denn meine Aufgaben?», fragte Sarah vorsichtig.
«Nun, Sie müssten vor allem die täglichen Einkäufe erledigen, und im Sommer den Rasen hinter dem Haus mähen, abends die Pflanzen wässern und solche Sachen halt», zögerte Frau Haberthür. «Vielleicht auch etwas Wäsche waschen und hie und da ein Kleid oder eine Bluse bügeln. Es ist nicht viel.»
Sarah nickte aufmunternd und sagte, das sei nun wirklich kein Problem.
«Ja, kehren wir zurück ins Erdgeschoss. Ich mache uns schon einmal einen Kaffee, und den Rest besprechen wir im Wohnzimmer.»
Sarah setzte sich erneut aufs Sofa. Sie überlegte, ob sie hätte anbieten sollen, Frau Haberthür bei der Zubereitung des Kaffees zu helfen. Oder wäre es passend gewesen, Gebäck mitzubringen? Sarah wollte sich hilfsbereit, aber nicht aufdringlich zeigen und keine Fehler machen.
«Ich