Sarah Penrose. Priska M. Thomas Braun
«Man hilft sich», sagte Sarah. «Ich habe im Kollegienhaus der Uni eine Werbung dafür entdeckt. Ich werde mich morgen genauer erkundigen.»
«Jetzt mache mal den zweiten Schritt nicht vor dem ersten. Ich fände es schöner, wenn wir zusammen wohnen würden. Du müsstest halt den etwas weiteren Weg in Kauf nehmen.»
«Bitte Hannes. Ich möchte in einer Stadt leben. Basel ist wunderschön.»
«Aber …»
«Bis jetzt haben wir auch getrennt gelebt, sogar in zwei unterschiedlichen Ländern … » argumentierte sie, «wir freuten uns immer von neuem, uns zu sehen. Falls wir zusammen leben würden, wäre das ganz anders.»
«Und jetzt? Wie geht es jetzt weiter?», fragte Brigitte ihre Freundin, die ihr in der folgenden Woche in Pinos Pizzeria in Fleckenbronn gegenübersass und in ihrem gemischten Salat stocherte.
«Weiss nicht», sagte Sarah und nörgelte: «Warum müssen sie hier beständig Speck darunter mischen? Haben sie noch nie etwas von Vegetariern gehört?» Sie schob ihren Krautsalat an den Tellerrand.
«Jetzt such einmal nicht das Haar in der Suppe. Seit du beschlossen hast, wegzugehen, störst du dich plötzlich an allem», grollte Brigitte.
«Ja und? Es war Finlay, der sagte, wenn mir die Chance geboten wird, in der Schweiz zu studieren, so müsse ich diese packen.»
«Da hat er ja recht. Und soweit ich verstanden habe, machst du das auch. Sag schon: Wann geht es los?»
«Ende Woche. Aber irgendwie bin ich traurig», antwortete Sarah. «Als ich in Basel war, da freute ich mich. Aber hier im Schwarzwald denke ich immer, wie schön es im Tannwald war und wie nett die Menschen sind. Und die Arbeit in der Backstube war ja auch okay.»
«Das darf nicht wahr sein!», rief Brigitte. «Du möchtest in Fleckenbronn bleiben, weil es hier so schön ist. Denk zurück an den eisigen Winter! Und nun kannst du in der Nähe von Hannes studieren. Das ist doch wunderbar!»
«Ja», sagte Sarah kleinlaut und erinnerte sich an ein Gespräch, das sie und ihre Freundin Moira in Italien geführt hatten. Damals war Moira versucht gewesen, bei einem attraktiven Witwer, der ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, und seinen drei süssen Kindern in Florenz zu bleiben. Sarah hatte Moira vehement davon abgeraten. Doch jetzt, wo Sarah in wenigen Tagen in die Schweiz ziehen würde, konnte sie nachempfinden, wie traurig sich Moira damals gefühlt haben musste. Abschiede schmerzen immer. Man kann die Landschaft nicht mitnehmen. Einige Menschen, die einem lieb sind, vielleicht. Aber nicht alle. Sarah seufzte.
«Könntest du denn ohne Bedauern weggehen?», fragte sie Brigitte.
«Selbstverständlich. Sobald ich genügend Erfahrung habe, suche ich mir eine neue Stelle. Am liebsten in einem Hotel an einem See in der Schweiz.»
«Wirklich?»
«Aber klar doch. Ich möchte etwas von der Welt sehen, bevor ich heirate und ein Häusle baue», sagte Brigitte. «Meine Mutter hätte jedoch gerne Enkel so lange sie und Papa noch rüstig genug sind, Oma und Opa zu spielen.»
«Und was sagt sie zu deinen Plänen?»
«Nicht viel. Ich bin ja schon jung von zuhause weggezogen.»
«Ja, ich auch. Meine Mum vertraut mir», sagte Sarah. «Sie hat mir meine Abschlusszeugnisse geschickt und Finlay hat mir gleichzeitig Geld auf mein Konto überwiesen. Er hat versprochen, während des Studiums in der Schweiz für meinen Lebensunterhalt aufzukommen.»
«Super! Da seid ihr euch ja endlich wieder gut.»
«Ja, vermutlich, weil ich meine Deutschprüfung fürs Sprachzertifikat C1 des Goethe Instituts bestanden habe. Er findet das ganz toll.»
«Und das erwähnst du so nebenbei?», rief Brigitte. «Ich gratuliere. Das müssen wir feiern, bevor du gehst. Unbedingt.»
«Ja», strahlte Sarah. «Ich bin heimlich nach Tübingen an die Prüfung gefahren. Ich hatte solche Angst, durchzufallen. Doch jetzt kann ich es ja allen erzählen.»
«Oh Sarah!», rief Brigitte und umarmte ihre Freundin. «Ich bin ja so etwas von stolz auf dich. An deiner Stelle würde ich es auch Izzy schreiben.»
Am Freitag holte Hannes sie ab. Sie fuhren noch am gleichen Abend los.
«Warum interessierst du dich eigentlich für Ethnologie?», fragte er, als sie in seinem altersschwachen Golf auf der Autobahn Karlsruhe-Basel Richtung Süden tuckerten. «Ich habe dich das nie gefragt.»
«Ich möchte fremde Kulturen kennenlernen, fremde Menschen verstehen. Ich will wissen, wie sie handeln und warum sie es so und nicht anders tun, und was ihrem Leben Sinn gibt.»
«Und was tust du mit diesem Wissen, wenn du deinen Bachelor hast?»
«Das weiss ich jetzt noch nicht. Erst möchte ich die natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen und Zusammenhänge und ihren Einfluss auf das Verhalten der Menschen studieren und verstehen.»
«Toll. So steht es vermutlich auf der Website der Uni.»
«Ja und?», fragte sie.
«Ich finde, Naturwissenschaften hätten dir danach bessere Möglichkeiten geboten. Oder vielleicht Sprachen. Da bist du überdurchschnittlich begabt. Das weisst du.»
«Ich kann im Nebenfach immer noch Sprachen studieren. Ich will später reisen und fremde Kulturen erforschen», sagte sie bestimmt. «Afrika und Ozeanien sind Schwerpunkte der Uni Basel, und mich interessiert Ostafrika. Mum hat immer wieder davon erzählt, wie es meinem Dad dort gefallen habe. Und wir beide haben uns in Kenia kennengelernt. Das war doch wirklich wunderschön.»
«Natürlich. Aber ich würde trotzdem gerne wissen, was du mit deinem Diplom zu tun gedenkst. Ausser nach Afrika zu reisen.»
«Sei nicht albern. Du nimmst mich nicht ernst.»
«Doch, natürlich: Ich frage dich ernsthaft, denn ich weiss es nicht. Vielleicht kannst du nach deinem Abschluss ja wirklich reisen.»
«Ich könnte forschen oder in die Entwicklungszusammenarbeit gehen. Da gibt es bestimmt viele interessante Projekte. Andere studieren auch Ethnologie und finden nach ihrem Abschluss eine Arbeit.»
Hannes und Sarah liebten sich an jenem Abend. Doch als er für ihre Begriffe etwas zu schwer auf ihr lag, dachte sie, so liebt sich ein altes Ehepaar.
Er hatte ihre Gedanken wohl erraten, denn, nachdem sich sein Atem beruhigt hatte, fragte er: «Welche deiner erregendsten Sex-Fantasien würdest du mir nie verraten?»
Sarah musste lachen, flüsterte irgendetwas Banales, und dann liebten sie sich von neuem. Sie dachte dabei an Moira. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte, war, dass Moira in Kenia lebte und dort den Wassermann, Sarahs vermeintlich verstorbenen Vater, getroffen hatte.
«Hannes, erinnerst du dich an diese generationenübergreifende Wohnform ‘Mietfrei für Hilfe’? Ich habe mich inzwischen darüber erkundigt.»
«Und?»
«Es klingt gut.»
«Was? Wie klingt es gut?»
«Senioren bieten Studenten eben Wohnraum an. Die Miete wird mit Hilfe entschädigt. Es ist gut organisiert. Mit Verträgen und so.»
Hannes schwieg.
«Ich würde das gerne tun. Lieber als alleine in der Stadt zu wohnen.»
«Dann würdest du mit jemandem Fremden leben?»
«Klar doch. Nicht mit einem Ehepaar. Aber mit einer alten Frau. Warum denn nicht?»
«Und wir beide? Was ist mit uns?»
«Wir wären am Wochenende zusammen», und als Hannes erneut schwieg: «Komm schon. So schlecht wäre das nicht.»
«Ja,