Sarah Penrose. Priska M. Thomas Braun

Sarah Penrose - Priska M. Thomas Braun


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dich, Sarah. Das wurde vor etwa einer Stunde abgegeben», sagte sie.

      Sie wusch und trocknete sich die Hände, bevor sie nach der Rolle griff, das Band löste und die Zeichnung betrachtete. Jessica hatte einen Christbaum und ein grosses rotes Herz gemalt und darunter ALLES LIIBE VON JESSICA + JENS gekritzelt».

      Sarah hatte längst Geschenklein für die beiden Kinder gekauft, diese hübsch eingepackt und sie im Tannwald vorbeibringen wollen. Nun war ihr Jessica zuvorgekommen. Sarah musste plötzlich gegen Tränen ankämpfen. Gustav beobachtete sie.

      «Frauen glauben an Intuition. Aber Männer?», murmelte sie und zeigte ihm die Zeichnung, bevor sie sie wieder aufrollte und die Schleife neu band.

      «Das kommt auf den Mann an. Du kannst das nicht verallgemeinern.»

      «Glaubst du daran?», fragte sie, nahm ihre Blechform erneut zur Hand und stach damit flink weiter Weihnachtssterne aus.

      «An Telepathie nicht so recht. An Intuition hingegen schon. Das gibt es.»

      «Zum Beispiel?», fragte sie und war froh, sich mit Gustav unterhalten zu können, während sie Seite an Seite arbeiteten.

      «Als Jäger. Auf der Jagd spürst du das Tier, bevor du es siehst. Weisst, woher es kommen und in welche Richtung es fliehen wird. Da stellt sich ein Bauchgefühl ein, wenn alle Sinne involviert sind. Der Kopf allein macht es nicht.»

      «Ich meinte eigentlich nicht die Jagd», sagte Sarah, die seit kurzem vegetarisch ass, «sondern Zufälle und Vermutungen im Alltag. Ganz gewöhnliche Dinge, die du ableitest. Du erfährst und kombinierst die unterschiedlichsten Sachen, spekulierst und ziehst deine Schlüsse daraus.»

      «Sicher, auch das ist möglich. Das ist dann wie Rätselraten», stimmte Gustav zu. «Wir beide, wir könnten zum Beispiel verwandt sein.»

      «Wie denn das?», fragte sie.

      «Nun. Du hast mir erzählt, dein verstorbener Vater sei Mitte der 50er Jahre in Leeds geboren. Seine Mutter sei bei seiner Geburt sehr jung gewesen. Mein Vater war in jener Zeit in London. Dort traf er ein Girl aus Leeds. Blaue Augen, dunkle Locken. Später verlor er sie aus den Augen. Jene wunderhübsche 15-Jährige könnte deine Oma gewesen sein.»

      «Das ist mir zu kompliziert», wiegelte Sarah ab.

      «Nein», sagte Gustav. «Dein Vater war unehelich, hast du mir erzählt. Falls seine Mutter die Freundin meines Vaters gewesen wäre, und er mit ihr damals in London diesen Sohn – nämlich deinen Vater – gezeugt hätte, so wäre das möglich. Solche Dinge kommen vor.»

      «Dann wären wir ja wirklich verwandt!», rief sie.

      «Genauso wäre es. Aber meine Eltern sind inzwischen tot. Mein Vater kann uns keine Auskunft mehr geben. Er hinterliess weder Fotos noch Briefe aus jener Zeit. Meine Story beruht also auf Spekulation. Sie ist ein Hirngespinst, wie wir solche Luftschlösser auf Deutsch auch nennen.»

      «‘Hirngespinst’ und ‘Luftschlösser’ sind wunderbare Ausdrücke», sagte Sarah und überlegte laut: «Doch inzwischen kann man DNA-Tests machen lassen. Damit würden wir Klarheit schaffen.» Aber dann fiel ihr ein, dass sie Gustavs Meinung zu ihren eigenen Spekulationen hatte herausfinden wollen. Rasch schob sie nach: «Meine Grossmutter hätte die Liebesgeschichte deines Vaters geglaubt. Sie hat auch immer gemutmasst, dass mein Vater noch lebe.»

      «Es gibt solche Menschen und andere», sagte Gustav diskret.

      «Ich habe ebenfalls etwas schier Unglaubliches erlebt», setzte Sarah zu ihrer Erzählung über Izzy und Adolf Müller an. «Ich weiss gar nicht, ob ich es dir berichten soll. Du hältst mich bestimmt für verrückt. Es ist hier passiert.»

      «Jetzt machst du mich aber neugierig», lachte Gustav, während er neuen Teig anrührte. «Erzähl schon.»

      «Also», begann sie und berichtete, wie sie im Sommer in der FAZ zufällig diese Kurzmeldungen über den verstorbenen Senior entdeckt hatte und am nächsten Vormittag, wiederum zufällig, ein Telefongespräch zwischen Izzy und ihrer Oma mithörte, in dem es um diesen Todesfall ging.

      «So, wie sie es ihrer Oma berichtet hat, war ich sicher, Izzy sei die Mörderin.»

      «Na hör mal!», rief Gustav und liess die Knetmaschine laufen.

      «Was hat sie denn genau gesagt, deine Izzy?»

      «Sie sprach von einem, der den Tod verdient hatte. Und von Küchlein, über die er sich freute und über das Vertrauen, das er ihr entgegenbrachte», zählte Sarah auf. «Alles Dinge, die so nicht in der Zeitung standen.»

      Gustav rieb sich die Hände.

      «Das ergibt keinen Sinn. Du weisst ja nicht, woran dieser Alte starb.»

      «Richtig, Adele Bohnert meinte auch, dass er einfach alt war, beinahe 100.»

      «Und wer ist Adele Bohnert?»

      «Brigitte Bohnerts Oma. Der Verstorbene lebte bis zu seinem Tod im gleichen Seniorenheim in Sachsenhausen. Angeblich war er ein … a dirty old man

      «Ein Dreckskerl», erriet Gustav. «Wie so viele. Noch kein Grund, ihn abzumurksen. Ich sehe auch keinen Zusammenhang mit Frau Rothfuss.»

      «Ja, ich sah ihn auch erst, oder meinte, ihn zu sehen, weil ich weiss, dass Izzys Oma eine Frankfurter Jüdin war und, weil die besagte FAZ schon am Folgetag entsorgt wurde und ich den Zeitungsausschnitt zwischen Izzys Modejournalen fand. Zudem sagte mir Brigitte, dass der Tote zweimal Gast im Tannwald gewesen war. Izzy muss ihn gekannt haben. Und das Wichtigste», schloss sie: «Izzy war an jenem Tag, als der Alte starb, in Frankfurt.»

      «Nun kommen wir der Sache näher», fand Gustav und stellte ein paar weitere Fragen, die Sarah, so fand sie wenigstens, schlüssig beantworten konnte. «Was soll ich nun tun?», fragte sie.

      «Hast du Brigitte oder ihrer Grossmutter davon erzählt?»

      «Nein, nur Hannes und jetzt auch dir.»

      «Dann vergiss es rasch wieder.»

      «Glaubst du mir etwa nicht?», fragte Sarah enttäuscht.

      «Natürlich glaube ich dir. Jedes Wort», versicherte ihr Gustav. «Aber ich glaube auch, dass du keine schlafenden Hunde wecken solltest.»

      «Still dreaming of a white Christmas?», fragte Gustav, ein Bing Crosby-Fan, nachdem Sarah die ganze Woche über gejammert hatte, wie enttäuscht sie über den nassen und warmen Dezember sei.

      «Nein», antwortete sie. «Aber es wäre schön gewesen. In Cornwall schneit es nur alle zehn Jahre einmal. Und nie an Weihnachten. Doch jetzt kommt hier auch kein Schnee mehr.»

      «So müssen wir wenigstens nicht schippen. Warte es ab. Im Januar wird es schneien. Mehr als uns lieb ist.»

      «Genauso wie bei meiner Ankunft. Jene Pferdeschlittenfahrt mit Izzy und ihren Kindern, von der ich dir erzählt habe, war filmreif.»

      «Ja. Wenn du magst, fährt Hannes morgen bestimmt mit dir auf den Ruhestein. Im Auto halt, und nicht im Schlitten. Doch dort oben hat es reichlich Schnee», tröstete Gustav sie und begann die Arbeitsflächen aus Edelstahl zu reinigen.

      Es war kurz vor Mittag. Sarah war dabei, den Boden der Backstube feucht aufzunehmen. An Heiligabend schloss die Bäckerei um 13 Uhr. Anders als in England, wo die Geschenke am 25. Dezember geöffnet wurden, war hier schon heute Bescherung. Zuvor wollte Emma mit ein paar Nachbarn und Sarah in den Heiligabend-Gottesdienst gehen. Sarah hoffte, es gebe auf der Autobahn Basel-Karlsruhe keinen Stau, und Hannes sei rechtzeitig in Fleckenbronn, um sie in die nahe Kirche zu begleiten.

      «Genug für heute», riss Gustav sie aus ihren Gedanken und warf die Schmutzwäsche in den grossen Korb, der zu diesem Zweck in einer Ecke der Backstube stand. «Ich lege mich nach dem Essen für ein Stündchen aufs Ohr.»

      «Perfekt», sagte sie. «Ich ruhe mich auch ein wenig aus.»

      Als Sarah, Emma und Hannes nach der Andacht ins Haus


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