Sarah Penrose. Priska M. Thomas Braun

Sarah Penrose - Priska M. Thomas Braun


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Rothfuss», hob Hannes Susannes sozialen Aufstieg hervor.

      Sie wurde wütend. «Genau. Und was soll ich nun tun?»

      «Du kannst nicht viel ändern. Sobald etwas Gras über die Sache gewachsen ist, wird es besser werden. Es gibt viele Patchwork-Familien, die funktionieren. Am Ende wird oft alles gut.»

      «Für Männer ist es so einfach. Neue Frau, neues Kind. Alles gut.»

      «Sarah, du darfst das so nicht verallgemeinern. Es gibt durchaus treue und fürsorgliche Männer. Genauso wie wortbrüchige Frauen.»

      «Wortbrüchig? Bin ich etwa auch wortbrüchig, wenn ich jetzt vom Tannwald weg will?»

      «Nein, die Rothfussens sind nicht deine Familie. Wenn du Susanne nicht magst, kannst du das Arbeitsverhältnis auflösen.»

      «Ja, und dann stehe ich auf der Strasse.»

      «Du kannst dich neu orientieren. Nichts ist für die Ewigkeit.»

      «Ich will mich aber nicht neu orientieren. Sie waren eine perfekte Familie», trotzte sie.

      «Aber nicht deine Familie, mein Herz. Jede zweite Ehe wird geschieden …»

      «Am besten kehre ich gleich nach England zurück. Krieche bei Finlay zu Kreuze und bitte ihn um ein Stipendium.»

      «Nein, Sarah. Meine Eltern würden dich schon morgen als Bedienung im Café oder als Hilfe in der Backstube einstellen. Sie mögen dich beide. Oder du kommst zu mir in die Schweiz», besänftigte sie Hannes. Sarah tat es plötzlich leid, dass sie den Streit mit ihm gesucht hatte.

      Als Sarah Brigitte das nächste Mal in deren Personalzimmer abholte, übergab diese ihr einen Brief aus Frankreich.

      «Er ist heute gekommen. Ich habe ihn zufällig gesehen und an mich genommen», sagte sie und fragte: «Wer schreibt dir denn per Schneckenpost?»

      «Danke. Keine Ahnung», sagte sie, griff nach einer Schere, die auf Brigittes Tisch lag und schlitzte damit den Umschlag auf. Ihre Freundin musste sich noch umziehen, so konnte Sarah den Inhalt in Ruhe lesen.

      Der kurzen Mitteilung ihrer Tante Claire war eine Einladungskarte zu einer Vernissage einer Frankfurter Galerie beigelegt. Der Termin war zwar bereits vorüber, doch die Ausstellung dauerte noch weitere zwei Monate. Sie zeigte einen Teil von John-Pierres Nachlass. Sarah beschloss, hinzufahren.

      «Komm, lass uns zu Pino gehen», schlug sie vor, nachdem Brigitte nach ihrer Jacke, Tasche und ihrem Schlüsselbund gegriffen und ihre Zimmertür im Personalhaus zugesperrt hatte. «Bei ihm können wir uns eine Pizza teilen.»

      «Wer hat dir geschrieben?», fragte Brigitte während sie in der Pizzeria auf den gemischten Salat als Vorspeise warteten.

      «Meine Tante Claire. Schau, die Karte sieht super aus.»

      «So schön», sagte Brigitte.

      «Ja, es ist eines von John-Pierres schönsten Bildern. Es hing im Haus, er wollte es nie verkaufen.»

      «In welchem Haus?», fragte Brigitte.

      «In seinem, in Cancale. Claire und er lebten bis zu seinem Tod vor einem Jahr dort. Seither pendelt sie zwischen Frankreich und England.»

      «Woran ist er gestorben? Du hast mir nie von ihm erzählt», sagte Brigitte und lächelte Pino an, der ihnen, da sie lange warten mussten, einen Drink spendierte.

      «Herzstillstand. Er war 21 Jahre älter als meine Tante Claire. Und sie wiederum ist neun Jahre älter als meine Mum. Ich habe seine Beerdigung verpasst, da ich letzten Sommer in Florenz lebte und weder die Zeit noch das Geld hatte, nach Frankreich zu fahren. Zudem war ich in jener Woche krank. Aber ich mochte ihn. Sehr sogar. Er war sehr einfühlsam und sehr charmant.»

      «Wie alt war er nun wirklich, als er starb?»

      «Über 80. Claire ist dieses Jahr 62. Sie verkauft alles. Sie braucht das Geld, um zu leben. Daher die Ausstellung in Frankfurt.»

      «Fährst du hin?», fragte Brigitte.

      «Nach dem Drama im Tannwald brauche ich einen Szenenwechsel.»

      «Aber dein Abgang ging ja sehr gesittet über die Bühne. Ich hatte nicht den Eindruck, dass du im Streit gegangen bist.»

      «Nein, natürlich nicht. Die Kinder waren traurig, und Rudi hat mir eine anständige Abfindung bezahlt», nickte sie. «Aber mit Susanne hatte ich ganz zum Schluss noch einen heftigen Zusammenstoss.»

      «Aua. Erzähl schon. Davon weiss ich gar nichts.»

      «Umso besser», seufzte Sarah. «Ich möchte nicht darüber reden. Wichtiger ist Izzy. Sie hat mir ein sehr nettes Dankes-E-Mail aus New York geschickt.»

      «Und nun kannst du erst einmal Urlaub machen», sagte Brigitte.

      Sarah überlegte, dass Claires Einladung genau zum richtigen Zeitpunkt eingetroffen war. Eigentlich hatte sie nun, da sie keine Arbeit mehr hatte und seit Ende Oktober bei Gustav und Emma Frey wohnte, für eine Woche nach Berlin reisen wollen. Doch da diese Galerie nun John-Pierres Werke ausstellte, würde sie stattdessen nach Frankfurt fahren.

      Brigitte seufzte: «Ich käme fürs Leben gerne mit. Meine Eltern wohnen zwar mittlerweile nicht mehr in Frankfurt, aber meine Oma väterlicherseits lebt immer noch dort, in der Goldenen Abendsonne, einer Seniorenresidenz in Sachsenhausen …»

      Sachsenhausen, sann Sarah, rings a bell …

      Brigitte plauderte weiter « … und sie ist auch über 80. Sie hat aber gottlob ein starkes Herz und fühlt sich wohl ….»

      Sarah blinzelte ihrer Freundin zu, die in Jeans und Karohemd, mit ihrem kurzen, weizenblonden Haar androgyn auftrat. Sarah mochte die feinen hellen Strähnchen. Brigitte sah in ihrer Freizeit-kleidung ganz anders aus als im Dirndl, das sie bei der Arbeit trug. Dort bewunderte Sarah jeweils den mit Spitzen besetzten Ausschnitt. Wann immer Brigitte sich vornüberbeugte, fragte sich Sarah, wie das milchige Dekolleté auf Männer wirken mochte. Zudem zeigte Brigitte mit ihrer links der Taille gebundenen Dirndlschleife, dass sie single war. Jedenfalls jenen, die sich auskannten.

      Eine Woche später, an einem strahlenden Novembernachmittag, stand Sarah mit Pralinen am Empfang einer gepflegten Seniorenresidenz in Frankfurt Sachsenhausen und fragte nach Frau Bohnert.

      «Adele Bohnert. Zimmer 417, vierte Etage. Wen darf ich melden?»

      Sarah nahm den Lift in den vierten Stock und folgte auf dem Gang den Zimmernummern. Die Tür zum Zimmer 417 stand bereits offen und eine gebückte Frau mit schlohweissen Haaren schaute ihr erwartungsvoll entgegen.

      «Frau Bohnert?», fragte sie, plötzlich etwas schüchtern. «Ich bin Sarah Penrose und bringe Ihnen schöne Grüsse von Brigitte.»

      «Ja, das bin ich», erwiderte die alte Frau. «Aber kommen Sie doch herein.»

      Sarah bemerkte erst jetzt, dass sich Adele Bohnert auf einen Gehstock stützte. Brigitte hatte ihr erzählt, dass ihre Oma nicht nur zusehends schwerhörig, sondern auch etwas vergesslich geworden sei. Doch auf Sarah machte die alte Dame einen aufgeweckten Eindruck.

      «Wie geht es meiner Brigitte?», erkundigte sich Frau Bohnert als Erstes.

      «Danke, gut, sie arbeitet sehr gerne im Tannwald», antwortete Sarah und stellte ihr rosa Schächtelchen auf den kleinen Tisch im Zimmer.

      «Ist das etwa für mich?», fragte die alte Frau, und als Sarah bejahte, strahlte sie. «Sie sind ein echter Goldschatz. Ich danke Ihnen sehr herzlich.»

      Nachdem sich Sarah gesetzt hatte, wollte Adele Bohnert wissen, wie und wo genau Sarah Brigitte kennengelernt habe, ob sie auch an der Rezeption arbeite, und so weiter und so fort.

      «Ich war übrigens einmal in Cornwall. Das war vor mehr als 40 Jahren mit meinem Mann selig. Ich erinnere mich noch an die Blumen und die Palmen, die ich dort so nicht erwartet hätte», plauderte sie weiter. Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. Sie klingelte nach einer Pflegerin und


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